Rum ist so vielfältig wie nie. Das Zuckerrohrdestillat verursacht keinen Einschlag wie Gin. Seine Strömung verläuft leise, subtil und konstant. Rum zeigt sich von der dunklen wie hellen Seite, und Konsumenten geraten in den Sog der authentischen Premium-Qualitäten, die das story telling des Rums neu aufrollen.
Text: Mia Bavandi
Dieser Artikel erschien in einer ursprünglichen Version in der fizzz 10/21.
„Rum ist die spannendste Spirituose der Welt und verkörpert ein Lebensgefühl“, sagt Solveig Gerz-Stamenkovic, Geschäftsführerin von Fancy Food & Lifestyle, fasziniert von der Vielfalt des Zuckerrohrdestillats: „Man kann gar nicht in zwei Sätzen erklären, was es alles gibt.“ Schließlich wird Rum als eine der ältesten Spirituosen weltweit im Pot Still- oder Column Still-Verfahren destilliert und ungereift, gereift, blended, mit oder ohne Zuckerzusatz abgefüllt. Nicht mehr nur in der Karibik, sondern auch auf Mauritius, in Indien, Australien, Japan, Hawaii, Ägypten, Spanien, Deutschland oder der Schweiz. Und jedes Land schmeckt anders.
Besonders bei hochwertigem weißen Rum hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Auch für den Pur-Genuss liegt hier viel Potential verborgen, welches sich nicht in simplen Party-Longdrinks erschöpft. In der diesjährigen Verkostung des Meininger’s International Spirits Award ISW zeigte sich die herausragende Qualität weißer wie brauner Rums in einer groß angelegten Blindverkostung. Als bester weißer Rum des Jahres ging ein aromatisches Schwergewicht hervor: der Rum Artesanal Burke’s Single Blended White Rum verbindet Pot Still-Destillate aus Jamaika und La Réunion und bringt mit 61% Vol. mehr als genug Kraft für Daiquiris und allerlei kreative Mixgetränke mit.
Dass die große Welt des Rums neu und rege von informationsgestärkten Konsumenten entdeckt wird, war schon vor der Pandemie zu sehen gewesen. Die weltweite Online-Präsenz der vergangenen Monate hat Rum allgemein und besonders Premium- wie Nischenprodukten mehr Beachtung eingeräumt. Die Schar der Rum-Fans wird immer größer und die Lust, neue Produkte zu entdecken ebenso. Auch in hochkarätigen Bars wird noch mehr Wert auf Qualität gelegt und Rum endlich als geschmackstragendes Grundgerüst anerkannt.
Trend zur Reife
Sowohl in der Gastronomie als auch beim Endverbraucher geht der Trend hin zu mehr Vielfalt und einem besonderen Fokus auf gereifte Qualitäten mit unterschiedlichen Aromenspektren für den Pur-Genuss. Besonders „klassische“ Rums ohne exzessiven Zuckerzusatz erleben eine Renaissance – der ursprüngliche Rumgeschmack wird wieder gefragter. Seit Mai dieses Jahres gilt laut EU-Verordnung für Rums mit mehr als 20 Gramm Zucker pro Liter schon die Bezeichnung „Spirituose auf Rumbasis“.
Der Kategorie tue dies laut Experten gut, weil dadurch das klassische Aromenbild wieder mehr betont werde und Transparenz in den Vordergrund rücke. Oft ist es aber süßer Rum, der Konsumenten den Einstieg in das Segment mit anschließender wie fortdauernder Reise in das Genussfeld des neben Gin und Whisky leisen Riesen ebnet.
Es sind die unterschiedlichen Herstellungsverfahren und das Reifen in Whisky-, Sherry- oder Cognacfässern, die Verwendung von Melasse beziehungsweise Zuckerrohrsaft für Rhum Agricole, die die Vielfalt und das weite Spektrum der laut Market Date Forecast weltweit zweitstärksten Spirituose begründen. Mit einem Wert des weltweiten Rummarktes von 15 Milliarden US-Dollar, der bis Ende 2026 um 5,5 Prozent auf 21,5 Milliarden US-Dollar steigen soll, prognostiziert das indische Marktforschungsinstitut der Spirituose weiteres Wachstumspotenzial. Gerade das Altern in tropischem Klima, auf dem Schiffsweg, in der Karibik oder andernorts zeigt enorme Auswirkungen auf das Resultat.
In den USA – dem weltweit größten Absatzmarkt für Rum – wuchs die Kategorie bereits 2019 um vier Prozent und der Trend setzte sich in der Pandemie fort. Besonders gealterte Premium-Qualitäten wurden für den Konsum zuhause und den Boom des Homebartendings gefragter. Premiumisierung und Diversifizierung sind die Stichworte für die großen und kleinen Rum-Hersteller, die auf komplexere Aromen für Pur-Trinker und Freunde kreativer Cocktails zugleich setzen. Rum-Herstellung bleibt ein Handwerk und das Fachwissen über traditionelle, innovative und nachhaltige Produktionsmethoden der Schlüssel zum Erfolg.
Die Verbraucher kehren zurück zu natürlicheren, weniger verarbeiteten Geschmacksrichtungen was Chancen für weniger bekannte Kategorien eröffnet.
mit h oder ohne?
Rhum Agricole aus frischem Zuckerrohrsaft etwa gewinnt mehr und mehr an Popularität. Mit nur 15% Anteil am weltweit verkauften Rum führt er noch ein Nischendasein, aber begeistert mit Terroir und authentischem Aroma regelmäßig neue Fans. Häufig sind es kleine Destillerien, die mit viel Leidenschaft und engem Bezug zum Rohstoff arbeiten, ohne dass große Marketingbestrebungen dahinterstehen. Auch in der Barwelt wächst das Interesse an Rhum Agricole, allen voran zum Mixen. Selbst als simpler Rum & Tonic eröffnen sich im Bereich des Destillats aus frischem Zuckerrohrsaft ungeahnte Aromenwelten, die mit Leichtigkeit und Frische zu überzeugen wissen.
Einen Hype, wie man ihn bei Gin und G&T erlebt hat, kann sich beim Rum dennoch kaum jemand vorstellen. „In dieser Form kommt Rum als vielfältige Spirituose nicht an. Rum ist ein schlafender Riese“, findet auch Gregor Scholl, der zwanzig Jahre lang in der Berliner Bar „Rum Trader“ ein Auge auf den stillen Giganten geworfen hat. Rum ist weit davon entfernt, ins Koma zu fallen. Sein Storytelling über die Vielfalt an Techniken, Stilen und Authentizität ist seine große Stärke, die gerade erst im Entstehen ist.