Hauptsache, es hebt die Laune!
Das veränderte Konsumverhalten in der Spirituosenwelt hat schon etwas vom Festklammern an die letzten Lichtblicke. Anders als in vorherigen Krisen ist es aber nicht der schnöde Suff, der aktuell den Ton angibt, profitieren kann heuer vor allem, wer brachliegende Bedürfnisse befriedigen kann.
Trend #1: Mehr Lametta!
In schlechten Zeiten zeigt sich der wahre Charakter, heißt es. Wendet man diese Formel auf die Spirituosentrinker an, scheinen das am Ende des Tages ganz anständige Menschen zu sein, denn ein großer Teil von ihnen hat sich 2020 vor allem auf eines besonnen: Qualität. Über alle Segmente hinweg hat die Bereitschaft, Geld für hochwertige Spirituosen auszugeben, spürbar zugenommen. Ein Trend, der uns auch nach dem Ende des Lockdowns begleiten wird. Denn wer steigt – einmal auf den Geschmack gekommen – schon gerne wieder in die Niederungen des Gewöhnlichen hinab? Profitieren konnten von dieser Entwicklung nahezu alle Kategorien, besonders stark spürten es aber die etablierten Größen wie Whisky und Rum. Letzterer mauserte sich in UK zudem zum Lockdown-Spirit Nummer 1 und freute sich über Verkaufsrekorde. Möglich, dass das der Startschuss für seine Trend-Offensive war.
Trend #2: Der perfekte Drink – zuhause.
Professionell gemixte Bottled Cocktails haben sich innerhalb kürzester Zeit etabliert und sind zu Erfolgskonzept geworden. Die Kölner Bar „The Grid“ beispielsweise verkaufte im November und Dezember rund 3.500 Flaschen (à 0,5 Liter) davon und ist mit ihren Kreationen mittlerweile auch in einigen Supermärkten und Spezialitätenläden vertreten. Das zeigt, dass Ready-to-Drink-Cocktails ihr altes Stigma des Billig-Stoffs abgelegt und viel Akzeptanz gewonnen haben. Überhaupt ist RTD ein Thema der Zukunft. Gerade im Sommer werden Cocktails to-go an Bedeutung gewinnen, die dann aber auch mal aus der Dose oder der 0,33-Liter-Flasche kommen dürfen. Vielleicht gelingt es in diesem Zusammenhang auch den Hard Seltzern, den bisher etwas trägen Marktstart anzufeuern.
Trend #3: Wenig oder nix
Was anfangs noch mit Verständnisproblemen zu kämpfen hatte, mausert sich mehr und mehr zum vielversprechenden Marktsegment: die alkoholfreien Destillate. Kaum eine Kategorie hat sich derart schnell weiterentwickelt – sowohl geschmacklich als auch in Sachen Vielfalt. Sie treffen damit immer besser den Nerv der Zeit, bei dem Genuss, Nachhaltigkeit und Gesundheit immer wichtiger werden. Wie groß das Potenzial dieser neuen Kategorie ist, lässt sich an dem wachsenden Engagement der Big Player erkennen, die ihre Portfolios allesamt in diese Richtung erweitern. Bacardi Limited prophezeit der Kategorie der alkoholfreien und alkoholarmen Destillate ein Marktvolumen von rund 412 Millionen Euro bis 2024 – allein in Westeuropa. Hinzu kommen Leichtgewichte wie z. B. der Sake, der zwar bereits eine treue Fanbase in Deutschland hat, dem aber noch weitaus Größeres zugetraut werden kann.
Trend #4: Die Freude am Ausprobieren
Die Pandemie hat den Online-Markt für Spirituosen quasi über Nacht in ungeahnte Höhen katapultiert – und das wiederum befeuert die Vielfalt in den heimischen Regalen. Händler wie Importeure werden nicht müde, immer exotischere Liquids zu uns zu bringen. Beispiel Whisky: Klassische Herkunftsländer geben zwar weiter den Ton an, aber wer hätte es sich vor ein paar Jahren träumen lassen, dass wir uns jetzt angeregt über Whiskys aus Frankreich, Australien, Dänemark, Island oder Israel unterhalten? Wir befinden uns nüchtern betrachtet in der wohl spannendsten Zeit in der Geschichte der Spirituose. Auch beim Rum haben wir autochthone Grenzen längst gesprengt und bekommen Außergewöhnliches aus allen Ecken dieser Welt (auch wenn der Grundstoff Zuckerrohr hier nach wie vor das Nadelöhr ist). Und vom anderen Ende der Welt schwappt der Baijiu zu uns. Bei Erstkontakt manchmal durchaus verstörend, kann er aber wie kaum eine andere Kategorie unglaublich überraschen. Hier eröffnet sich eine ganz neue Welt − versprochen! Ausprobiert wird aber auch bei den Herstellern. Themen wie biologischer Anbau, das Vermählen diverser Stile zum Erschließen neuer Geschmackshorizonte oder auch das Herausarbeiten des Terroirs ist kategorieübergreifend längst in der Breite angekommen. Und: Großer Gewinner der Krise werden auch kleine „Craft“-Destillerien sein, die mit Attributen wie Handwerk und regionalem Charme noch mehr punkten können.
Trend #5: Geschmack im Fokus
Die Suche nach neuen Geschmackshorizonten hat auch die Pandemie nicht aufhalten können – ganz im Gegenteil. Immer populärer werden dabei sogenannte Spirit Drinks, Spirituosen also, die aufgrund ihrer Produkteigenschaften nicht jener Kategorie zugeordnet werden können, mit der man sie eigentlich in Verbindung bringt oder die bewusst Grenzen überschreiten und verwischen. Egal ob rumbasierte Liquids, die nach Popcorn, Keksteig, Kräutern oder Kokosnüssen schmecken, oder Gins die mit Obstbränden vermählt werden, oder aber „Whiskys“, die durch technische Kniffe die Reifezeit verkürzen, dabei aber geschmacklich an einen 12-jährigen Malt herankommen. Das Tolle: auch hier gibt es eine große qualitative Spannweite, mit Produkten an der Spitze, die etwa mit hochkreativen Grundstoffkombinationen arbeiten.
(Text: Alexander Thürer)