Text: Tim Allgaier
Eine ausführlichere Version des Artikels finden Sie in der Printausgabe fizzz #02-22. Die Einzelausgabe können Sie hier bestellen.
Premium-Genuss
Special Editions und exklusive Sonderabfüllungen sind in der Spirituosenwelt nichts Neues, aber die Nachfrage nach immer ausgefalleneren Limited Editions steigt und die Konsumenten lassen sich den Premium-Genuss auch immer bereitwilliger etwas kosten. Im Rahmen unseres Whisk(e)y-Roundtables (siehe fizzz #11/21) bestätigten die Whisky-Experten, dass ihnen die exklusiven Abfüllungen geradezu aus den Händen gerissen wurden. Die ein oder andere Barfly musste gezwungenermaßen in Lockdownzeiten die Homebar aufstocken und hat Gefallen daran gefunden, sich (immerhin) eine geschmackliche Weltreise zu gönnen. Tasting-Sets in allen Preisklassen dienen als optimaler Einstieg in die wundersame Welt der Spirituosen-Nerds. Auch die Sammelleidenschaft für exklusive Tropfen hat zugenommen und Vieles davon bleibt dann ungeöffnet im Regal stehen; diese Neugierde vermag die Gastronomie aufzugreifen, indem sie dem Gast auch glasweise Einblick in die Welt der Raritäten ermöglicht.


Die neue Leichtigkeit
Deutsches Wetter lässt einen nicht gerade an dolce vita denken, doch nichtsdestotrotz entwickelt sich hierzulande seit einigen Jahren eine immer vielfältigere Aperitifkultur. Die Coronakrise trug durch den Run auf Terrassen und Außengastronomie ihr Übriges dazu bei. Low-ABV und Genuss ohne Prozente nehmen einen immer höheren Stellenwert ein. Die Bandbreite an qualitativ hochwertigen Aperitiflikören und alkoholfreien Destillaten wächst stetig. Der Aperol Spritz ist zwar nicht vom Thron zu stoßen, aber auch abseits des omnipräsenten orangenen Menetekels tun sich neue Farbpaletten auf; und das weit über den Sommer hinaus. Winterliche Aromen wie Granatapfel und Kardamom erobern die Welt der Aperitifliköre, während die alkoholfreien Destillate eine Evolution über die „Gin-Alternative“ hinaus vollziehen. Ein alkoholfreier Negroni oder Whiskey Sour? Heutzutage gar kein Problem mehr.
Nachhaltigkeit und Transparenz
Spirituosenunternehmen leben von ihrer Historie und Mythen, doch der Genießer fordert heute genaue Einblicke in die Herstellung seiner Lieblingstropfen. Und die Politik zieht mit: die neue EU-Verordnung, begrenzt den zulässigen Zuckergehalt im Rum auf 20g pro Liter. Viele Hersteller, die ihren Rum bisher unter einem Deckmantel des süßen Schweigens verkauft haben, müssen jetzt entscheiden: Rezeptur ändern oder eine „Spirituose auf Rum-Basis“ verkaufen. Ein überfälliger Schritt hin zu mehr hochprozentiger Transparenz. Echte Nachhaltigkeits-Ansätze sind selten bei Spirituosen aus aller Welt, deren schicke Glasflaschen am Ende doch nur im Container landen, können aber gerade in der Gastronomie fruchten. Mit ecoSPIRITS nutzen erste Bars in Deutschland ein vielversprechendes Mehrwegsystem für ihre Pouring-Spirituosen, und sobald mehr (lokale) Hersteller partizipieren, könnte das den ökologischen Fußabdruck der Gastro drastisch reduzieren.


In der Februar-Ausgabe haben wir Moritz Meyn und Wolfgang Hingerl, die Macher der Münchner Mural-Objekte im Porträt. Mit dem Leitsatz "eat local - drink natural" und bald fünf verschiedenen Locations setzen sie stilvoll-lockere Akzente in der Isarmetropole.
Außerdem im Heft:
- New Work
- Spirituosentrends 2022
- Einblicke ins Frauennetzwerk Foodservice
- Designtrends
- und viele weitere spannende Themen!

Fässer, Fässer, Fässer
Die Reifung in Holzfässern zeichnet Premium-Destillate wie Whisky seit Jahrhunderten aus und ist unerlässlich für deren Charakter. Während manche Kategorien wie Bourbon klare Regeln für Fassarten aufweisen, zeigen sich andere experimentierfreudiger, und die Genießer schätzen die Vielfalt. Selbst konservative Player wie die Scotch Whisky Association öffnen sich der Welt und lassen künftig auch Finishes etwa in Mezcal- oder Calvados-Fässern für schottischen Whisky zu. Bei anderen Spirituosenkategorien wie der deutschen Domäne Obstbrand bringen Hölzer jenseits der Eiche – etwa Esche, Maulbeerbaum, Kastanie oder Akazie – einzigartige Ergebnisse hervor. Doch auch mit der Fassgröße oder mechanischen und thermischen Verfahren zur beschleunigten Reifung lässt sich experimentieren. Die Zeiten, in denen eine gelagerte Premium-Spirituose zwingend 15 bis 20 Jahre auf dem Etikett ausweisen musste, sind vorbei, und wir werden künftig noch mehr Spitzen-Produkte sehen, die ihre perfekte Reife auf anderen Wegen erlangen.
Traditionen brechen und Grenzen überschreiten
Im hochprozentigen Business wird gerne und viel ausprobiert, das sich nicht in Schubladen stecken lassen möchte. Wie so oft hat das einiges mit dem Gin-Boom zu tun. Pink, Flavoured und sonst was für Gins genießen eine ungebrochene Nachfrage, obgleich sie in vielen Fällen mit kaum wahrnehmbarem Wacholder die Grenzen der Kategorie Gin ins Unermessliche dehnen. Sei’s drum: am Ende entscheidet der Geschmack. Diesem Credo folgen auch Produzenten anderer Spirits und erschaffen mit Erfindergeist und Qualitätsbewusstsein neue Grenzgänger, für die die EU-Spirituosenverordnung keinen Namen kennt. Rum mit Gin-Botanicals, Bourbon mit Habanero-Infusion oder Agaven-Destillate mit Fichtensprossen aus dem Schwarzwald etwa. Exotische Inspirationen in Verbindung mit heimischer Genusstradition treiben die Innovationen an: veganer Avocado Cream-Likör als Alternative zum Eierlikör gefällig? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
