Reif für die Insel - Zu Besuch auf Islay
Reif für die Insel - Zu Besuch auf Islay

Reif für die Insel - Zu Besuch auf Islay

REIF FÜR DIE INSEL

Man kann wunderbar über sie streiten, man kann sie lieben oder hassen, doch ohne sie kommt keine Scotch-Sammlung aus: die charakterstarken Whiskys von Islay. Was diese ausmacht und warum der Hype um dieses kleine Eiland gerade eine neue Dimension erreicht, haben wir uns vor Ort angesehen.

 

Text & Bilder: Alexander Thürer     

 

Sie ist eine wilde Schönheit, die südlichste Insel der Hebriden. Dank des Golfstroms zumindest nach schottischen Maßstäben mit einem „milden“ Klima gesegnet, begeistert Islay seine Besucher mit über 200 Kilometern Küstenlinie, sattgrünen Hügeln, knuffigen Highland Cattles, 30.000 Schafen, pittoresken Ortschaften und einer im Hinblick auf die gerade mal rund 3.000 Einwohner – das sind dicht gedrängte 5 Leute pro km² – wohl einzigartigen Destilleriedichte. Derzeit sind ganze acht Brennereien auf der Insel aktiv, die allesamt geradezu Kultstatus genießen. Namen wie Bruichladdich, Bunnahabhain, Bowmore, Caol Ila, Kilchoman, Laphroaig, Lagavulin und Ardbeg kennt jeder, der sich schon mal mit Whisky beschäftigt hat, und nicht wenige kokettieren damit, nur Whiskys von Islay zu trinken. 

Je torfiger, desto besser, desto männlicher und desto kennerhafter kann man sich geben. Sicherlich, Islay-Whiskys sind in erster Linie für ihren kräftigen, rauchigen Charakter bekannt und immerhin kommt der aktuell am stärksten getorfte Whisky der Welt, der Octomore 8.3 mit 309 ppm, aus der im Westen der Insel gelegenen Bruichladdich-Destillerie. Aber Islay-Whiskys sind noch viel mehr als nur platte Torf-Bomben für Besserwisser, denn der Islay-Mikrokosmos deckt Brennereiübergreifend die unterschiedlichsten Stile ab, von ungetorften Bruichladdich-Qualitäten über sanft rauchige und milde Bunnahabhains, charaktervolle, fast medizinisch anmutende Laphroaigs oder kräftige, maritim geprägte Bowmores sowie elegant-torfige Port Charlottes, bis hin zu den sehr rauchigen Whiskys von Ardbeg, Lagavulin, Kilchoman und Octomore.

 

Am Whisky-Tropf

Vielleicht ist es gerade diese charaktervolle Vielfalt auf kleinstem Raum, die Whiskyfans in aller Welt begeistert und etliche davon die manchmal etwas abenteuerliche Reise auf die Insel antreten lässt. Abenteuerlich deshalb, weil bei zu tief hängenden Wolken, etwas Nebel oder zu starkem Wind der Flughafen (wenn man diese Piste so nennen möchte) schnell mal dicht gemacht wird und auch die Fähren bei entsprechendem Wetter lieber im Hafen bleiben. Dennoch ist der Whisky-Tourismus eine der wichtigsten Einnahmequellen der Insel. Das war nicht immer so. In den 1980er Jahren, als der Single Malt am Boden lag, stand es auch auf Islay schlecht um das Touristenziel Nr. 1, die Brennereien. Einige überlebten, etwa durch die Produktion von Whiskys für große Blended Scotch-Marken, z.B. Bunnahabhain oder Caol Ila, andere, darunter auch Größen wie Arbeg, Port Ellen oder Bruichladdich raffte die Rezession dahin. Finstere Zeiten nicht nur für Whiskyfreunde, sondern auch für die Inselbewohner, denen so eine wichtige Erwerbsgrundlage wegbrach und von denen viele der Insel den Rücken kehrten.

Doch der Scotch-Boom der letzten 10-15 Jahre hat den Brennereien wie auch der Insel insgesamt neues Leben eingehaucht und so den Ileach (Einwohner von Islay) neue Perspektiven eröffnet. Und auch die Zukunft sieht recht rosig aus, denn die Insel wird demnächst um drei weitere Destillerien reicher sein. So sollen ab 2020 die bei vielen Fans schmerzlich vermissten Brennereien Port Ellen und Brora wieder ans Netz gehen, die neue Ardnahoe-Destillerie, die der unabhängige Abfüller Hunter Laing gerade mit Hochdruck baut, steht kurz vor der Fertigstellung. Das wird einerseits den Einheimischen zusätzliche Jobs verschaffen und dazu beitragen, dass der Bevölkerungsschwund weiter gebremst wird, andererseits wird dadurch auch die Marke „Islay“ mit neuen spannenden Whiskys, die zum Teil bereits bekannte Namen tragen, weiter gestärkt.

 

100 Prozent Islay

Diese positive Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Klar, Single Malt Whisky ist angesagt wie nie und auch auf dem schottischen Festland wird in neue Anlagen investiert. Was den Islay-Whiskys aber zusätzlich zugutekommt, ist ihr Kultstatus. In Zeiten, in denen Begriffe wie „Heritage“ beim Kunden ein immer wichtigeres Verkaufsargument werden, gewinnt der Name Islay kontinuierlich an Zugkraft. Und: Auf der Insel finden sich zudem echte Whiskypioniere, die mit ihrem Wirken den gesamten Markt beeinflussen und so das „Label“ Islay weiter stärken. Bestes Beispiel hierfür ist Bruichladdich, die von 1994 bis 2000 stillgelegte Brennerei, die schließlich von Whiskypionier Mark Reynier mit einer klaren Vision zu neuem Leben erweckt wurde. Sein Ziel: einen 100-prozentigen Islay-Whisky zu kreieren, transparent, vom Terroir geprägt und losgelöst von alten Konventionen. Eine Philosophie, die bis heute das Wirken der Brennerei prägt, auch dank der Übernahme durch Spirituosenriese Rémy Cointreau im Jahr 2012, der die Brennerei ohne größere Einflussnahme von außen weiterarbeiten lässt, jedoch für ein finanzielles Sicherheitsnetz sorgt. 

 

Transparenz und Terroir

Progressive Hebridean Distillers lautet heute der Claim der Marke und diesen lebt sie wie kaum eine andere, denn Fortschritt liegt Bruichladdich im Blut. So war die Brennerei einer der Vorreiter in Sachen NAS-Whiskys, auch wenn man damals eher aus der Not eine Tugend machte. Nach dem Neustart 2001 gab es nämlich schlicht nicht genug alten Lagerbestand, um mit Standard-Ranges jenseits der 10 Jahre zu arbeiten. Der Verkauf von unzähligen NAS-Sondereditionen sicherte damals das Überleben des noch jungen Unternehmens. Der Erfolg gab den Machern Recht, denn in kurzer Zeit formierte sich eine eingeschworene Fangemeinde, die gerade von der Vielfalt der Sondereditions der Anfangszeit begeistert war. Diese frühen Jahre prägen die „Laddie“-Philosophie bis heute, denn auch jetzt noch geht man bei Bruichladdich sehr selbstbewusst und unkonventionell mit dem Thema Alter um, das bis auf einige Ausnahmen offen kommuniziert wird, auch wenn es deutlich unter 10 Jahren liegt. Der neueste Octomore 8.3 beispielsweise trägt wie selbstverständlich eine Fünf auf dem Etikett. Das Statement ist klar: „Der ist mit fünf Jahren genau so, wie wir ihn haben wollen!“ Auch in Sachen Fassmanagement ist Bruichladdich experimentierfreudig. In den Lagerhäusern finden sich rund 250 verschiedene Fasstypen, die sich in Holzart, Größe und Vorbelegung stark unterscheiden und so eine enorme aromatische Bandbreite bieten, was wiederum auf die Qualität der fertigen Whiskys einzahlt.

Doch das, was den Kern der „Laddie“-Philosophie ausmacht, sind die Begriffe Transparenz und Terroir, welche in dieser Ausprägung im Whisky-Segment wohl einzigartig sind. Der Terroir-Ansatz löst bei einigen Kennern durchaus Diskussionen aus, doch bei Bruichladdich ist man sich sicher: Es macht im fertigen Destillat einen relevanten Unterschied, welchen Gerstentyp man verwendet und ob er auf Islay oder anderswo angebaut wurde. So arbeitet die Brennerei mit diversen Editionen des Bruichladdich, des Port Charlotte sowie des Ocotomore diese feinen Unterschiede subtil heraus und macht sie so erlebbar. Zudem verfolgt man die Philosophie, dass es einen entscheidenden Einfluss auf den fertigen Whisky hat, ob er die ganze Zeit auf Islay gelagert wurde, oder nicht. Daher baut man die Lagerkapazitäten auf der Insel kontinuierlich aus, mit Lagerhäusern die technisch „State of the Art“ sind. Das klare Ziel der Brennerei ist zudem, die gesamte Produktionskette, d.h. vom Anbau der Gerste auf dem Feld über das Mälzen, Destillieren und Lagern bis hin zur Abfüllung komplett in eigener Hand auf der Insel zu bewältigen. Bis auf das Mälzen, das derzeit noch auf dem Festland in Inverness vollzogen wird, gelingt das bereits in weiten Teilen. Und das Wichtigste bei all diesen Bestrebungen: Alles passiert mit größtmöglicher Transparenz. So legt man etwa die genaue Zusammensetzung der verwendeten Fässer und deren prozentuale Gewichtung im fertigen Whisky, die genaue Herkunft der Gerste oder auch die Mashbills offen. Dinge, die in anderen Brennereien sicher im Safe verwahrt werden, tragen so massiv zur positiven Imagebildung bei – und das zahlt nicht zuletzt nachhaltig auf den gesamten Islay-Kult ein, von dem alle ansässigen Brennereien profitieren. Wilde Schönheit will eben auch gepflegt werden. 

Schlagworte

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

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