Drinks mit Kräuter- und Bitterlikören gehören seit jeher zum Kanon der Cocktailwelt - wenn auch manchmal beinahe unbemerkt (Foto: Helmut Barro)
Drinks mit Kräuter- und Bitterlikören gehören seit jeher zum Kanon der Cocktailwelt - wenn auch manchmal beinahe unbemerkt (Foto: Helmut Barro)

3 Bitter-Drinks für jeden Geschmack

Wir stellen drei Cocktails vor, die jeweils in ihrer eigenen Art mit den Eigenheiten eines Kräuterbitters umgehen – von gerührt über geschüttelt zu geblendet, von klassisch über extrem bis zu verspielt.

Text & Fotos: Helmut Barro

Die Kategorie der Kräuterliköre und -bitter ist extrem breit, sowohl was unterschiedliche Süßbitter-Ausprägungen angeht als auch in Bezug auf die große Vielfalt an leicht erhältlichen Produkten. Dabei ist die Schwelle zum Kauf einer Flasche oft sehr gering, auch für Menschen, die sonst mit Schnaps nicht so viel am Hut haben – wenn im Haushalt in Deutschland eine Spirituose vorhanden ist, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kräuterlikör. Was liegt also näher, als diese Beliebtheit auch in Cocktails zu fokussieren?

#1 Der Neo-Klassiker

Kann man über Cocktails mit Kräuterbittern reden, ohne mit dem Negroni zu beginnen? Natürlich nicht. Aus einem äußerst einfachen, dreizutatigen Drink mit gleichen Anteilen Dry Gin, Campari und süßem Wermut ist heute eine Ikone der Cocktailwelt geworden, die nicht einmal groß auf Barkarten erwähnt werden muss – den kennt jeder, den kann man überall und immer bestellen, da gibt es höchstens Nachfragen, in welcher Variante man seinen Negroni personalisieren möchte. Denn das Muster, das inzwischen auch schon den Namen des Drinks selbst bekommen hat, ist einfach zu variieren; manche mögen ihren Negroni lieber mit etwas mehr Gin, manche reduzieren einfach den Campari. Oder man ersetzt einzelne Zutaten durch Alternativen.

Die Regeln, wann eine Ersatzspirituose dazu führen muss, dass man keinen Negroni-Twist mehr im Glas hat, sondern einen eigenständigen Drink, sind letztlich sehr willkürlich – als Beispiel dafür diene der Boulevardier als der wahrscheinlich bekannteste Cocktail, der zwar auf dem Negroni-Muster basiert, aber nach eigenem Selbstverständnis kein Negroni mehr ist. Das Austauschen des Gins durch Bourbon ist der Auslöser für den Namenswechsel; bei anderen Komponenten ist man da deutlich gelassener. So werden im White Negroni gleich zwei Zutaten und die Mengenstruktur geändert, und man fühlt sich trotzdem noch als Negroni – Dry Gin, Lillet Blanc und Suze halten sich dabei aber noch an das sich nun herausschälende, scheinbar definierende Basismuster „Gin + Bitterspirituose + fortifizierter Wein“. Kaum hat man sich an diesen Gedanken gewöhnt, kommt der Amber Negroni daher, mit Cognac als Hauptspirituose, und Quinquina, Amer und Enzianbitterlikör als Begleiter. Man sieht, die einzig gemeinsame Komponente bei all diesen Cocktails ist eigentlich der Bitter – um ihn dreht und wendet sich der Negroni mit all seinen Twists, Variationen und Nachkommen: kein Wunder bei einem Cocktail, der in Norditalien erfunden wurde, mit seiner lebendigen und traditionsreichen Bitterkultur.

White Negroni

  • 45ml Dry Gin
  • 30ml Lillet blanc
  • 15ml Suze

Zubereitung: Auf Eis rühren, auf frisches Eis abseihen und mit Grapefruitzeste servieren.
Rezept: adaptiert nach Wayne Collins, 2001.

Berufsbeschreibung: „Bittersommelier“. Nils Boese hat 30 Jahre Barerfahrung, betrieb lange Zeit seine Manhattan-Bar in Hildesheim. Wir sprechen mit ihm über Schwierigkeiten und Mythen rund um die Kategorie der Kräuterliköre/-bitter.

#2 Der Extreme

Der Kräuterbitter spielt also gefühlt die Hauptrolle in einem Negroni, vielleicht mehr gefühlt als mengenmäßig. Doch nichts spricht dagegen, ihm auch mal ungehemmt die volle Bühne zu überlassen. Und dann auch nicht nur irgendeinem Bitter, sondern gleich Angostura Bitters, die normalerweise höchstens als aromatisierende Zutat in Spritzerform einem Drink den letzten Kick geben sollen. Dabei gehören sie selbstverständlich auch in die Kategorie des Kräuterbitters, vielleicht am einen extremen Ende des Spektrums, mit einem süßen Kräuterlikör als komplett entgegengesetztes anderes Ende.

Wir reden hier natürlich vom Trinidad Sour, dem Cocktail, bei dem jeder beim Lesen des Rezepts erstmal denkt – oho, das ist aber krass! Doch der Drink ist kein Gimmick, das nur darauf abzielt, genau diese Reaktion hervorzurufen und danach im Glas nicht etwas dem Angemessenen abzuliefern. Nein, es ist ein Beispiel dafür, dass es sich lohnt, aus gewohnten, verkrusteten Mustern auszubrechen, und die täglich verwendeten Zutaten mit frischem Blick zu betrachten. Was auf dem Papier untrinkbar aussieht, entpuppt sich in der Realität als extrem süffiger, hocharomatischer und komplexer Cocktail, der natürlich von der Würze der Angostura Bitters lebt und diese feiert.

Wem die Zutat dann doch zu streng ist, kann auch hier, wie schon beim Negroni, variieren: Underberg oder Kümmerling beispielsweise ergeben einen etwas softeren, aber immer noch unangepassten Drink; man bewegt sich dann erkennbar auf einen klassischeren Sour zu, eine Cocktailkategorie, in der es sich völlig unabhängig von der aufsehenerregenden Zutat des Trinidad Sour wirklich lohnt, mit Kräuterlikören und -bittern zu spielen – es muss ja nicht immer nur der Whiskey Sour sein, fast jeder Kräuterlikör ergibt als Hauptspirituose einen spannenden, schmackhaften Sour.

Trinidad Sour

  • 45ml Angostura Bitters
  • 15ml Rye Whiskey
  • 23ml Zitronensaft
  • 30ml Orgeat

Zubereitung: Mit Eis shaken. Doppelt abseihen.
Rezept: Giuseppe González, 2009.

Bei kaum einer Spirituosenkategorie kann man, wenn man über ihre Historie sprechen will, so weit ausholen wie beim Kräuterbitter bzw. Kräuterlikör. Wir gehen hier entsprechend ganz weit zurück, in vorgeschichtliche, sogar vormenschliche Zeiten.

#3 Der Verspielte

Die meisten verbinden Kräuterbitter und -liköre mit der Art klassischer Rezepturen, wie wir sie auch hier bisher vorgestellt haben: wenige Zutaten, gerührt oder geschüttelt, in einem Tumbler oder einer Coupe serviert. Doch es geht auch anders: mit dem wachsenden Interesse an Kräuteressenzen beginnt auch die moderne Tikiwelt, zumindest Seitenblicke auf Kräuterbitter zu werfen. Dort hat man gar keine Schwierigkeiten mit hocharomatischen, dichten Zutaten, im Gegenteil – man sucht genau solche, um sich in Rezepten mit oft hohem Saftanteil und viel Eisverdünnung durchzusetzen.

Erst in den letzten Jahren verbreitet sich in den USA, wo Tiki natürlich seine Wurzeln hat, auch eine ähnlich hohe Produktdichte an Amari und ähnlichen Likören, wie wir sie in Europa schon immer kennen: Ein regelrechter „amaro craze“ wurde in den USA noch dadurch befeuert, dass viele regionale Spirituosenhersteller dort diese Lücke erkannt haben und heutzutage ein eigenes, amerikanisches Produkt im Portfolio haben. Diese lokalen Bitter haben die kreativen Köpfe der Tikiszene natürlich schnell ins Herz geschlossen, und entsprechend wächst auch die Anzahl der Rezepte, die Amaro entweder als unterstützende Komponente verwenden, um dem Drink etwas würzigen Körper zu geben, oder ihn gleichberechtigt neben anderen Zutaten einzusetzen. Der Tuscan Toucan beispielsweise nutzt toskanischen Amaro gar als Hauptzutat, sein Name ist natürlich genau dadurch entstanden. Wir finden bei diesem Drink eine ganz klassische Aromenstruktur eines Tiki-Drinks, wuchtige Geschmäcker mit viel Zitrusfrische zum Ausgleich und dem Einsatz von Gewürzen, bei dem der Kräuterbitterlikör immer noch gut erkennbar bleibt und eine wohltuende Abwechslung zum sonst erdrückenden Rumfokus in dieser Cocktailkategorie bietet.

Tuscan Toucan

  • 45ml Amaro
  • 30ml ungereifter Overproof-Rum
  • 30ml Limettensaft
  • 23ml Zimtsirup
  • 23ml Ananassaft
  • 23ml Grapefruitsaft

Zubereitung: mit viel crushed ice im Mixer blenden. In einer Tiki-Mug servieren mit üppiger Dekoration (Ananasblatt, Minze, wenn vorhanden Orchidee).
Rezept: Adam Schmidt, False Idol, San Diego.

(Advertorial) Dieser kurze, aber prägnante Ausspruch von Joseph II, Kaiser von Österreich und König der Ungarn, um das Jahr 1790 markiert den Beginn einer außergewöhnlichen Spirituosen- und Marken-Karriere. Unicum ist ein nach einem uralten Geheimrezept hergestellter bitterer Kräuterlikör aus Budapest. Eine einzigartige Spezialität, die auch in Deutschland immer mehr Freunde findet.

Ja, Kräuterlikör ist noch am Anfang seiner Suche nach Anerkennung in der Cocktailwelt, doch die Zukunft sieht diesbezüglich eigentlich durchaus rosig aus – die drei hier vorgestellten Rezepte sind nur die Oberfläche. Erstaunlich ist eigentlich eher die große Anzahl von Drinks, die bisher schon beinahe incognito Bitterliköre nutzen, ohne dass ihnen besonders große Aufmerksamkeit zukam. Vielleicht schauen Sie mal auf die nächste Barkarte, die Ihnen unterkommt, ob sich da nicht auch ein solcher Drink befindet!

fizzz 04/2024

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