Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
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Stefan Nink und der Wanderführer

Für einen Wanderführer war er ziemlich korpulent und vielleicht auch ein wenig zu rot im Gesicht, vor allem aber war er genervt. Er zählte durch, alle waren in der Lobby angekommen: vier ältere Ehepaare, alle mit Rucksack und Stöcken, alle mit finsterer Miene. Man sehe sich ja gleich schon wieder, sagte der Wanderführer, zum Abendessen, und das Hotelrestaurant sei wirklich gut. „Die kochen hier eine sehr leckere Inselküche. Die bekommt man nicht mehr oft auf Gomera.“ Die kleine Gruppe blieb in der Lobby stehen. Ein Ehepaar bestand an der Rezeption auf ein Zimmer im Erdgeschoss, das habe man so bestätigt bekommen. Die übrigen tuschelten miteinander, man konnte Halbsätze wie „das hätte er natürlich wissen müssen“ und „beim Veranstalter beschweren“ verstehen. Der Wanderführer hörte noch einen Augenblick lang hin. Dann humpelte er schwerfällig an die Bar, irgendetwas mit seinem rechten Bein schien nicht zu stimmen. Seine Wanderer sahen ihm nach.

Der Wanderführer bestellte den Hauswein, rot, einen halben Liter. Das erste Glas stürzte er hinunter, als trinke er Wasser. Und dann erzählte er. Die seien alle schon missmutig angereist. „Da haben die zehn Tage Wanderurlaub auf Gomera vor sich und finden alles ganz schrecklich.“ Das Hotel: eigentlich keine drei Sterne, eher zwei. Die Wanderwege zu steil, das Wetter zu heiß, der Wind zu stark, das Bier nicht richtig gezapft. „In einer kleinen Bar im Gebirge! Ich habʼ ihnen erklärt, dass der Wirt es aus Flaschen einschenkt, weil die da oben keine Fässer hinaufbekommen, aber die haben noch nicht mal zugehört.“ Er schüttelt den Kopf. „Und dann sind wir heute falsch abgebogen.“

Schon den ganzen Tag über hätten die Männer ihn traktiert. Zwei hatten GPS-Systeme dabei, mit denen sie jeden Schritt auf ihren Wanderungen kontrollierten. „Ich lebe seit 17 Jahren hier. Wenn ich sage, dass wir besser links gehen, dann hat das schon seine Gründe.“ Die GPS-Herren hätten das anders gesehen. „Deswegen sind wir auf dem Pfad zurück, den sie für den besten hielten.“ Und da sei er dann ausgerutscht. Sein Knie schmerze seitdem höllisch. Aber natürlich habe er nichts gesagt. „Wenn das einem von denen passiert wäre, hätten sie mich jetzt schon angezeigt, da können wir drauf wetten.“

Später saßen alle zusammen um einen großen Tisch und aßen Kaninchen. Irgendetwas schien in der Zwischenzeit passiert zu sein, oder vielleicht hatten die acht den Tag und die Ereignisse einfach nur in Ruhe überdacht. Eine der Frauen hatte Salbe für den Wanderführer mitgebracht, die helfe bei den Schrammen vom Sturz, meinte sie. Eine andere lobte die tolle Route, und wie schön die Aussicht aufs Meer gewesen sei. Die Männer spendierten eine Runde Wein, für alle. Und kündigten an, ihre GPS-Geräte ab jetzt im Hotel zu lassen. Müsse man ja nicht mitschleppen, man habe ja schließlich einen absoluten Inselexperten dabei. Der Wanderführer lächelte. Es sah ein wenig bemüht aus.

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Ausgabe 03/2024

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