Ausgabe 01/2019

Zum Sommelier berufen

Meiningers Sommelier 01-19

Eine Tendenz, die Mut macht: Immer mehr Sommeliers halten bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit der Gastronomie die Treue. Sie entscheiden sich damit gegen die geregelten Arbeitszeiten einer Anstellung bei einem Weingut oder im Handel. Der Grund ist einfach. Viele Sommeliers lieben ihren Beruf. Ein Beruf, der im besten Fall auch eine Berufung sein kann. Oft sind es die Rahmenbedingungen, die zehren, auslaugen und auf Dauer die Freude am Job verloren gehen lassen. Die Arbeitszeiten, der Druck durch Personal­knappheit und die Auswirkungen auf das Privatleben. Bernd Kreis, ein Urgestein der deutschen Sommelier-Szene, hat den typischen Weg beschritten: raus aus der Gastronomie und dann, mit etwas zeitlichem Abstand, der softe Wiedereinstieg. Er wollte mal wieder ins Kino gehen oder Freunde zu normalen Zeiten treffen. Gedanken, die jeder Sommelier nur zu gut kennt. Doch dann, nach ein paar Jahren Gastro-Abstinenz, habe es irgendwann wieder in den Fingern gejuckt. In seiner Weinbar verbindet er seine beiden großen Leidenschaften Musik und Wein. Und er liefert den wohl wichtigsten Ratschlag: ein gut überlegtes Grundkonzept, bei dem die Weinauswahl auf den Küchenstil, die Gästeklientel, den Standort und das Service-Team abgestimmt ist. „Eine gute Karte kann 20 oder 2.000 Positionen haben“, so Kreis. Auch Billy Wagner hat mit dem Nobelhart & Schmutzig seine Idee umgesetzt und traf den Nerv der Zeit oder zumindest einer hinreichend großen Gruppe Gleichgesinnter. 

Der Weg in die Selbstständigkeit kann durchaus auch über ein Angestelltenverhältnis führen. Stephanie Döring hat mit Weinladen.de diese Variante gewählt. Sie prägte von Anfang an das Konzept und entwickelte es Schritt für Schritt weiter. Im letzten Jahr eröffnete die Weinladen-Filiale in Köln und 2019 erfolgte schließlich die Gründung der eigenen Firma. Auch hier ist das Konzept klar: „Wein ohne Dresscode“ ist bei ihr keine leere Floskel. Anerkennung und Reputation sind zwei der Pluspunkte­ des Sommelier-Berufs. Die Weinwelt ist in ihrer Vielfalt geradezu explodiert und erfindet sich ständig neu. Für Menschen, die zwar sehr gerne Wein trinken, sich aber nicht zu den totalen Nerds zählen, ist dieser Kosmos längst nicht mehr zu überblicken. Die Beratung durch den Sommelier, die Vorselektion spannender, in ihrem Segment richtungsweisender Weine, die Abstimmung auf das Essen: All das sind Fähigkeiten, für die engagierte Sommeliers von vielen Menschen bewundert werden. Vorausgesetzt, sie nehmen ihren Beruf ernst, bleiben neugierig, bilden sich weiter, verbarrikadieren sich nicht in irgendeiner fundamentalistischen Haltung, lassen sich aber auch nicht vom Weg des geringsten Widerstands korrumpieren.

Sascha Speicher
Chefredakteur MEININGERS SOMMELIER
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