Die "Vegourmets" kommen und pflanzenbasierte Gastronomie wird zum Mainstream an (Foto: Steffen Sinzinger / Berliner Speisemeisterei)
Die "Vegourmets" kommen und pflanzenbasierte Gastronomie wird zum Mainstream an (Foto: Steffen Sinzinger / Berliner Speisemeisterei)

Zeit für Vegourmets

Pflanzenbasierte Gastronomie ist auf dem Weg zum Mainstream. Immer mehr Omnivoren bzw. Flexitarier haben Lust auf handwerklich gekonnte, kreative Speisen „ohne“. Die „Vegourmets“ sind im Kommen, sagt die Trendforschung. Wir haben uns Konzepte angeschaut, die mit diesem Zeitgeist gehen. 

Text: Jan-Peter Wulf

Dieser Text erschien erstmal in der Ausgabe #10-21 des fizzz Magazins. Für diese Veröffentlichung wurde er leicht gekürzt. Die Printausgabe können Sie hier erwerben.

 

Die Nachricht ging um die (kulinarische) Welt: Das New Yorker Drei-Sterne-Restaurant „Eleven Madison Park“ kündigte im vergangenen Mai an, ab seiner Wiedereröffnung nach dem Lockdown nur noch vegane Speisen anzubieten. Der Hype ist riesig: Die Tickets für die Plätze im Restaurant (335 Dollar fürs Elfgang-Menü, keine Rückerstattung bei Stornierung) waren so schnell weg wie bei einem Stones-Konzert, und die Warteliste soll 50.000 Einträge haben.

Vegan wird fester Bestandteil jedes guten Restaurants

Vielleicht eine Anekdote oder extreme Ausnahme. Vielleicht aber auch ein Hinweis darauf, dass vegane Speisen nun endgültig gastronomisch hoffähig geworden sind? Die Wiener Food-Expertin Hanni Rützler geht jedenfalls davon aus, dass pflanzenbasierte Küche in der Gastronomie vor dem Durchbruch steht. „Die Popularität und Akzeptanz vegetarischer und veganer Ernährung (ist) in der Pandemie weiter gestiegen“, schreibt sie im neuen „Food Report“ für das Zukunftsinstitut. So stiegen die veganen Bestellungen beim Lieferdienst Lieferando von November 2019 bis November 2020 in allen großen Städten deutlich (in Hamburg etwa um 166 Prozent). Vegetarische und vegane Speisen seien künftig „fester Bestandteil eines jeden guten Restaurants, das die Wünsche seiner Gäste wertschätzt“ und sie richteten sich insbesondere an „neugierige Omnivoren“, an Gäste also, die auch Fleisch essen, aber Lust auf Pflanzenbasiertes in Perfektion haben. Rützler nennt sie „Vegourmets“. 

Buch-Tipp: Restaurant Zwei und Zwanzig
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Restaurant Zwei und Zwanzig

Vegan, regional, saisonal 

Marina Ginkel und Dirk Schritt betreiben das vegane Restaurant „Zwei und Zwanzig“ in Geisenheim und verraten in ihrem Kochbuch 120 Rezepte, darunter Hausklassiker wie den Black Bean Burger. 
Tre Torri 2020, 224 Seiten, 29,90 Euro 

„Wir durchdenken Aromen und Texturen“

Für jemanden wie Ilhami Terzi dürfte das wie Wasser auf die Mühlen klingen. Er liefert den „proof of concept“ allerdings schon seit zehn Jahren, sein „Kopps“ in Berlin-Mitte ist ein absoluter Vorreiter in der veganen Gastronomie. Man profitiere sehr von der wachsenden Vielfalt und Qualität der Lebensmittel, die man aus dem Umland Berlins beziehen könne, erklärt der Gastronom. Neuerdings fokussiert man sich auf das Abendgeschäft. Die Sieben-Gang-Menüs buchen auch hier großenteils Nicht-Vegetarier. Wie überrascht und überzeugt man sie, macht sie zu „Vegourmets“?

Seit zehn Jahren lockt das „Kopps“ Veganer und solche, die es werden wollen, nach Berlin-Mitte (Foto: Kopps)
Seit zehn Jahren lockt das „Kopps“ Veganer und solche, die es werden wollen, nach Berlin-Mitte (Foto: Kopps)
Ilhami Terzi begeistert mit Gerichten wie dem Sellerieragout (Foto: Kopps)
Ilhami Terzi begeistert mit Gerichten wie dem Sellerieragout (Foto: Kopps)

„Wir durchdenken bei unseren Gerichten Aromen und Texturen“, so Terzi. Mit veganen Produkten werde oft Weiches in Verbindung gebracht. Dem entgegne man mit Festem, Knackigem – und auch Deftigem. „Es muss eine Achterbahn der Kompositionen sein“, findet er. Die Leichtigkeit, die man mit Gemüse verbindet, braucht die Unterstützung durch Herzhaftigkeit und Bissfestes wie zum Beispiel ein Karottensteak. Oder Rote Bete, flankiert von Kartoffeln, Kapern, Spinat, Kümmel und Eberesche.

Buch-Tipp: Full Taste - Zero Waste
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Full Taste - Zero Waste

Das Buch des veganen Berliner Restaurants „Frea“ kommt mit vielen Rezepten daher, der Geschichte hinter der Geschichte des Konzepts und vielen Tipps für mehr Nachhaltigkeit beim Kochen. 
Eigenverlag, 280 Seiten, 54 Euro

Eine gute Botschaft für konventionelle Konzepte, die sich den „Vegourmets“ öffnen wollen: Terzi findet, dass klassisch ausgebildete Köchinnen und Köche diese Art der Küche durchaus erfolgreich umsetzen können. Das Rüstzeug seien handwerkliche Skills und ein offener Kopf: „Einfach nur Beilagen zusammenfügen funktioniert nicht.“ Inspiration in Form von veganen Kochkursen – die bietet auch das „Kopps“ an – sowie Kochbücher (ein paar Tipps s. Infokästen) gibt es zudem mittlerweile reichlich. 

„Etwas, das du selbst gerne essen würdest“

Fabien Bigard war früher Pilot. Er stammt aus Luxemburg. Mit seinem Bruder baute er dort ein kleines Gastro-Imperium auf: 13 Betriebe hatten die beiden schließlich unter ihrer Führung. Doch Bigard fühlte sich trotz guter Geschäfte zunehmend unwohl damit. Seine eigene Ernährung hatte er zwischenzeitlich auf vegan umgestellt, die Küchen der Betriebe waren herkömmlicher Art. „Es passte nicht mehr“, blickt er zurück. Er zog nach Hamburg, dort eröffnete er Anfang 2019 das vegetarische Restaurant „Simbiosa“ und lernte dort Omri Yakov kennen, Koch aus Tel Aviv. Die beiden taten sich kurzerhand zusammen. Aus dem „Simbiosa“ wurde das „Kapara“, ein veganes Pop-up-Konzept.

Fabien Bigard und Omri Yakov betreiben gemeinsam das „Kapara“ in Hamburg - einen Gastropub, wie er in Tel Aviv stehen könnte (Foto: Oliver Waldmeier)
Fabien Bigard und Omri Yakov betreiben gemeinsam das „Kapara“ in Hamburg - einen Gastropub, wie er in Tel Aviv stehen könnte (Foto: Oliver Waldmeier)

Frisches, regionales Gemüse, wie es im „Kapara“ vearbeitet wird, koste freilich viel Geld. Kalkulatorisch gegensteuern lasse sich unter anderem mit Hülsenfrüchten. Praktischerweise sind Kichererbsen bekanntlich ein essentieller Bestandteil der im „Kapara“ kultivierten Levante-Küche, die zugleich per se schon sehr vegan ist. Hülsenfrüchte sind auch Teil der traditionellen hiesigen Esskultur – im 19. Jahrhundert wurde ungefähr zwanzig Mal so viel von ihnen konsumiert wie heute.

Buch-Tipp: Die kleine Hoffmann
Buch-Tipp: Die kleine Hoffmann
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Die kleine Hoffmann

Das neue Kochbuch der Köchin und baldigen Gastronomin Sophia Hoffmann ist als Einstieg für das private Kochen konzipiert, mit vielen Grundrezepten, Warenkunde und Tipps. Doch weil ihre Küche vegan ist, ist es auch ein gutes Basics-Buch für den professionellen Bereich. 
ZS Verlag 2021, 240 Seiten, 22,99 Euro

Bei allein in Deutschland rund 100 Bohnensorten schlummert hier kreatives Potenzial. Wer ein deutsches Gastrokonzept habe und nun gen „Vegourmets“ blicke, solle sich traditionelle Speisen anschauen, die für sich schon vegan sind oder leicht vegan zu „twisten“ sind, rät Bigard. „Etwas, das du als Gastronom selbst gerne essen würdest. Also nicht den Salat mit ein paar Antipasti dazu“, sagt er lachend. 

Entmystifizierung durch Kochen und Probieren 

Pflanzliches anders präsentieren – das ist für Koch Steffen Sinzinger der Schlüssel zu einer veganen Küche, die bei Gästen gut ankommt. „Zum Beispiel eine Schwarzwurzel mit Pumpernickel-Erde. Nicht geschält und geröstet, gebacken und gebraten.“ Dadurch erhält das Gemüse nicht den berüchtigten wässrigen Geschmack und die etwas fade, weiche Textur. Sinzinger ist kulinarischer Verantwortlicher für „Good n’ Vegan“, dem ersten veganen Lieferservice Deutschlands – hier wurden die Foodtrends Delivery und Veganismus konsequent zusammengeführt. Zwei Produktionsstandorte hat man bereits in Berlin, geliefert wird per Lieferando und Wolt. Aktuell plant man einen Start in Leipzig. 

Die veganen Speisen wissen zu überzeugen. Königsberger Klopse mit gebackenem Spitzkohl, Cranberrys, Sellerie und Cassis-Vinaigrette, oder die Ochsenherztomate mit veganem Mozzarella, Tomatenmarmelade und Pinienkernpesto.

Im Corona-Jahr zwei lassen die großen Food-Innovationen weiterhin auf sich warten. Lieferfähigkeit, Deluxe-Snacks und der Aufstieg der "Vegourmets" sind die Trends der Stunde und geben die Richtung vor.

Und ganz besonders der „No Cheeseburger Cheddar Style“ mit der Patty-Eigenkreation u.a. aus Sellerie, Seitan, Rote Bete, Karotte, Graupen und Mungobohnen. „Bis wir die Konsistenz richtig hatten, hat es schon gedauert“, berichtet Sinzinger. Und auch, bis das Küchenteam mit vollem Herzen dabei war. Sinzinger: „Jeder Koch fühlt sich erstmal beschnitten, wenn kein Fleisch oder kein Ei mehr genutzt werden kann. Auch ich.“ Entmystifizierung sei seine Aufgabe gewesen. Vorkochen, gemeinsam kochen, probieren und ausprobieren. „Wenn du zeigst, dass es spannend ist und Spaß macht, dann nimmst du die Leute mit.“ Und überzeugst auf diesem Wege auch die Kunden/Gäste. „Du hast bei uns auch als Fleischesser nicht das Gefühl, dass dir irgendwas fehlt. Das zeigen uns die guten Bewertungen.“  

Der große fizzz-Trendguide 2022: die Gastronomie ist in der Zukunft angekommen. Gehen Sie auf Entdeckungs­reise – neue Märkte warten nun darauf, erobert zu werden. Die Expedition beginnt.

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

Aperitivo-Konzepte

Die Aperitif-Kultur ist auf dem Vormarsch – wir zeigen brandaktuelle Gastro-Beispiele.

Le Big TamTam

Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.