Mirko Silz; Foto. Florian Deventer
Mirko Silz; Foto. Florian Deventer

Interview: Mirko Silz, L’Osteria und Gastgeberkreis

Gastro-Offensive Gastgeberkreis: Aus der Praxis für die Branche

Mirko Silz, CEO der FR L’Osteria SE und Mitinitiator Gastgeberkreis, im Gespräch mit FIZZZ

Herr Silz, mit dem Gastgeberkreis kämpfen Sie für die Zukunft der Branche. Warum hat sich das Netzwerk zusätzlich zu bestehenden Organisationen gegründet?

Der Gastgeberkreis wurde letztes Jahr im Herbst aus der Not heraus geboren und der starke Zulauf zeigt den Bedarf des Netzwerks. Hier haben sich Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Führungskräfte aus der Gastronomie zusammengeschlossen, um parallel zu den bestehenden Verbänden, Organisationen und gemeinsam mit Gastronomen aller Couleur – vom Individualbetreiber über Bars, Caterer, Diskotheken bis hin zur Markengastronomie – als Praktiker ihre Erfahrungen in den aktuellen Diskurs einzubringen. Das unterscheidet den Gastgeberkreis von bestehenden Verbänden. Unser Ziel ist es, pragmatische Lösungsansätze zur aktuellen Corona-Problematik und darüber hinaus zu etablieren. Inzwischen sprechen hier rund 100 Gastronomie-Profis aus ganz Deutschland und über die gesamte Branche hinweg mit einer Stimme. Das ist der erste wesentliche Erfolg. Ein weiterer wichtiger Erfolg ist die Aufmerksamkeit durch die Medien und durch die Politik, die wir zunehmend erfahren. Die Medienresonanz und die Anzahl der parteiübergreifenden Gespräche, die wir schon führen durften, zeigt, dass unsere Meinung gehört und geschätzt wird.

„Unser Ziel ist es, pragmatische Lösungsansätze zur aktuellen Corona-Problematik und darüber hinaus zu etablieren.“

Was sind Ihre wichtigsten Ziele mit dem Gastgeberkreis und welche Perspektiven sehen Sie?

Aktuell sind die beiden vorrangigen Ziele die Sicherstellung der Existenz der heimischen Gastronomie sowie die Auszahlung der Wirtschaftshilfen, oder sagen wir besser, der Entschädigungsleistungen aufgrund der unverschuldeten Notlage der Gastronomie. Hier liegt vieles im Argen, aber wenigstens können wir bei den Gesprächen feststellen, dass Interesse vorhanden ist. Leider ist die Öffnungsperspektive noch immer unbefriedigend. Genau darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren. Es muss mit unserer konzeptionellen Hilfe eine klare Wiedereröffnungs-Strategie geben und gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass wir nicht in ein Auf-und-zu-Szenario geraten, denn ein gastronomischer Betrieb mit Personal, Ware und Infrastruktur hat eine gewisse Vorlaufzeit. Die Lockdown-Entscheidung an nackten Inzidenz-Zahlen festzumachen, sehen wir sehr kritisch.

„Es muss sichergestellt werden, dass wir nicht in ein Auf-und-zu-Szenario geraten.“

Neben der Wiedereröffnung fordern wir eine Strategie, ein Konzept für die Nach-Wiedereröffnungsphase (Post-Corona), denn das Thema Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen wird bei unseren Mitarbeitern und Gästen sicherlich einen noch viel höheren Stellenwert einnehmen. Danach gibt es sicher weitere Themen, wie die mögliche Einführung einer Verpackungssteuer oder auch die konstante Mehrwertsteuersenkung, welche die Branche bewegen und für die wir uns einsetzen werden. Schließlich muss die Neuverschuldung der Unternehmen auch in irgendeiner Form wieder zurückgeführt werden bzw. die Unternehmen wieder in die Situation versetzt werden zu investieren und innovieren.

„Mit unserer Softwareausstattung sind wir vielen Gesundheitsämtern weit voraus.“

Das Ziel muss ja sein: Wiedereröffnung trotz Corona mit geeigneten Maßnahmen. Welche Möglichkeiten sehen Sie da?

Schon nach dem ersten Lockdown wurden in der Gastronomie ausreichend Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Masken, Hygiene-Stationen, Abstandsregelung, Lüftungsanlagen, digitale Gästedatenerfassung etabliert. Gerade über die Leistungsfähigkeit unserer Lüftungsanlagen mit einem hohen Austauschvolumen sind viele Gesprächspartner nicht informiert. Und mit unserer Softwareausstattung sind wir vielen Gesundheitsämtern weit voraus. Eine Priorisierung für geimpfte Personen sehe ich dagegen skeptisch. Eine Beziehung zwischen Gast und Gastgeber ist von gegenseitigem Respekt geprägt, es passt nicht zu unserer Gastgeberrolle zu prüfen, wer geimpft ist und wer nicht. Da sehe ich viel Diskussionspotenzial. 

Gibt es keinen Hebel, um den Forderungen gegenüber der Politik Nachdruck zu verleihen oder ist das gar kein Thema im Gastgeberkreis?

Mit steigendem Frust und zunehmender Enttäuschung gibt es natürlich intern Gespräche zu diesem Thema. Drohungen bringen uns aber nicht weiter, denn es dürfte inzwischen jedem in der Politik klar sein, dass 2,5 Millionen Arbeitsplätze, tausende von Existenzen, die Verödung der Innenstädte und ein Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen auf dem Spiel stehen. Der Einzelhandel hatte bereits vor dem ersten Lockdown große strukturelle Probleme, zuletzt wurde in den Innenstädten mehr Fläche an die Gastronomie verpachtet als an den Handel. Mit dem Aussterben der Innenstädte müssen wir nicht drohen – das ist die logische Konsequenz, wenn sich die Lage nicht schnell ändert. Natürlich müssen jetzt Taten folgen und das bedeutet, dass so schnell wie möglich Geld auf die Konten fließen muss, damit die Liquidität zum Überleben für die Wiedereröffnung sowie eine erfolgreiche Zukunft gesichert ist. Dann kommt es hoffentlich nicht zu dem Worst-Case-Szenario. Die Gastronomie braucht den Handel und der Handel braucht die Gastronomie. Nur gemeinsam und im Zusammenspiel mit den Kommunen wird es uns gelingen, für lebendige Innenstädte zu sorgen.

„Mit dem Aussterben der Innenstädte müssen wir nicht drohen – das ist die logische Konsequenz, wenn sich die Lage nicht schnell ändert.“

Um die Situation der Betriebe einmal konkret an „L`Osteria“ zu verdeutlichen: Wir haben in der Krise relevante zweistellige Millionenbeträge verloren, deshalb Darlehen aufnehmen müssen und führen permanent Gespräche mit den Banken, in denen wir den Eingang finanzieller Hilfen ankündigen. Die Bankhäuser brauchen jedoch belastbare Informationen. 

Leider können wir aufgrund der gegebenen Bürokratie den Zeitpunkt der Hilfen nicht verlässlich nennen. Demzufolge tun sich die Banken schwer, uns guten Gewissens bis zum Eintreffen der Entschädigungsleistungen auszuhelfen. Hier muss die Politik dringend schnell für Abhilfe sorgen. Gastronomie wird es immer geben, aber es muss jetzt politisch im Fokus stehen, den Bestand und die Vielfalt der Unternehmen zu sichern! Es kann nicht sein, dass eine Branche, die unverschuldet und für die Gemeinschaft in Schieflage geraten ist, im Stich gelassen wird. Neugründungen werden die wegbrechende Gewerbesteuer in den Städten und Gemeinden erst einmal nicht ausgleichen können!

Die Erhaltung etablierter und erfolgreicher Betriebe muss auch im Interesse der Zulieferindustrie sein. Erfahren Sie bzw. der Gastgeberkreis von dieser Seite Unterstützung?

Tatsächlich haben wir erste Anfragen aus der Industrie, dem Handel und von Verbänden nach Fördermitgliedschaften, hier werden wir schauen, was die nächste Zeit bringt. 

Wie kann die Branche jetzt noch aktiv werden?

Indem die Unternehmerinnen und Unternehmer bei uns im Gastgeberkreis Mitglied werden, in den sozialen Medien unsere Forderungen unterstützen und unsere Posts liken und teilen. Die Mitgliedschaft im Gastgeberkreis ist kostenfrei, die laufenden Aufwendungen für Aktivitäten und Kommunikation werden bislang von den Gründungsmitgliedern getragen, die die finanzielle Basis für unsere Arbeit geschaffen haben. Selbstverständlich steht es jedem Mitglied frei, sich finanziell zu engagieren. Gemeinsinn und Solidarität sind hier aus meiner Sicht das Motto.

„Das Gästeerlebnis im Restaurant wird weiterhin ein zentrales Thema bleiben.“

Wird sich Ihrer Ansicht nach das Geschäftsmodell Gastronomie zukünftig verändern?

Bewährtes wird bleiben und Neues dazukommen – am Ende entscheidet der Gast. Ich glaube, dass unter anderem eine Hybrid-Lösung, sprich eine Kombination aus On- & Offsite, zukünftig überdurchschnittlich erfolgreich sein wird. Gerade der Außer-Haus-Bereich wird hier an Dynamik zunehmen. Dennoch wird das Gästeerlebnis im Restaurant weiterhin ein zentrales Thema bleiben – und das ist auch gut so. Schließlich gehört Full-Service zu unserer „L’Osteria“ DNA. Aus unserer Sicht schließt das eine das andere nicht aus. Jedoch ist ein einheitliches Markenerlebnis essenziell. 

Ihr Best-Case Szenario für L’Osteria vor dem Hintergrund der aktuellen Situation?

Das ist die schnellstmögliche Wiedereröffnung, damit wir wieder unser eigenes Geld verdienen dürfen. Selbstverständlich unter Sicherstellung der Gesundheit unser Mitarbeiter und Gäste.

 

Über den Gastgeberkreis
Der Gastgeberkreis ist ein Zusammenschluss von Gastronom:innen und Gastrounternehmer:innen, die von der Coronakrise unmittelbar betroffen sind. Ziel dieser Initiative ist es, die Wahrnehmung der Gastronomie in Politik und Gesellschaft zu schärfen. gastgeberkreis.de

fizzz 04/2024

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