Gastronomen und Branchenvertreter diskutieren die drückendsten Probleme und Zukunftsaussichten der Branche (Foto: Sascha Kreklau)
Gastronomen und Branchenvertreter diskutieren die drückendsten Probleme und Zukunftsaussichten der Branche (Foto: Sascha Kreklau)

Gastro-Netzwerker zur Lage der Nation

Politisches Engagement zur Rettung der Branche – das war in den vergangenen zwei Jahren ihre Mission und prägt bis heute ihren Alltag: Die Gastronomen und Branchenvertreter Kerstin Rapp-Schwan, Madjid Djamegari, Till Riekenbrauk und Uwe Christiansen über Lobby­arbeit, die drückendsten Probleme der Gegenwart und Zukunftsperspektiven.

Der Artikel erschien ursprünglich in fizzz #11/21.

Text: Barbara Becker; Fotos: Sascha Kreklau

Mitarbeitermangel, Kostensteigerung, Infektionsschutzgesetz, unehrliche Kollegen … die Liste der Probleme, die die Vertreter unterschiedlicher gastronomischer Vereinigungen beschäftigt, ist lang. Bei unserem Roundtable zeigte sich: Oft ist es nicht leicht, einen Lösungsansatz zu finden, der alle gleichermaßen weiterbringt. Eine der größten Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, ist die Vielfalt und Kleinteiligkeit der Branche. Sogar in der überschaubaren Expertenrunde scheiden sich an der Frage 2G oder 3G die Geister: „Wir haben mit 2G sehr gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Uwe Christiansen, Inhaber von  „Christiansens Fine Drinks & Cocktails“ und Vorstand der IG St. Pauli. Während er für die Aufhebung der Beschränkungen gerne auf getestete Gäste verzichtet, wollen andere Betriebe unter diesen Bedingungen gar nicht erst öffnen – schon auf Grund ungeimpfter Mitarbeiter, für die man zurzeit kaum Ersatz finden würde, sei 2G nicht machbar. Einzig die Wahlfreiheit zwischen 2G und 3G sei eine akzeptable Lösung für die Branche, so verschieden sind die konzeptbedingten Bedürfnisse der Betriebe im heterogenen Gastronomiemarkt.

Die Expertenrunde
Madjid Djamegari

betreibt in Frankfurt u. a. den Gibson Club und den neuen City-Beach, er ist Vorstand der Initiative Gastronomie Frankfurt e.V. und unterstützt mit der Omakase Four GmbH Gastro-Start-ups.

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Gibson Club

Omakase Four

Alle gleichermaßen trifft hingegen der mittlerweile existenzielle Personalnotstand, aktuell das Top-Thema in den Gastro-Netzwerken: Gastronomen, die neue Betriebe eröffnen möchten, wissen nicht, woher sie die Mitarbeiter dafür nehmen sollen. Catering-Unternehmer müssen Aufträge ablehnen und viele aktuell sehr gut laufende Lokale legen zwangsläufig Ruhetage ein. Das Problem: In der Gastronomie liege das Einkommen vieler Arbeitnehmer rund ein Drittel unter dem jährlichen Durchschnittseinkommen in Deutschland, im Hotelgewerbe knapp 30 % darunter, argumentieren die Experten. Damit sei die Abwanderung in andere Branchen vorprogrammiert. „In den letzten 15 Jahren hat die Gastronomie einerseits auf Kosten der Mitarbeiter gelebt und es auf der anderen Seite versäumt, die Preise zu erhöhen“, fasst Madjid Djamegari, Vorstand der Initiative Gastronomie Frankfurt e.V., die aktuelle Problematik zusammen. Dazu kommt der Lockdown, der viele Aushilfen in andere Branchen trieb – eine Entwicklung, vor der Branchenvertretungen gewarnt und die Politik um Unterstützung gebeten hatten. „Es gibt keinen Nachwuchs mehr. Für viele ist es nicht mehr nur ein monetäres Thema, die Leute haben keine Lust mehr, am Abend und am Wochenende zu arbeiten“, schildert Madjid Djamegari seine Erfahrungen. „Aus Sicht der Arbeitnehmer war die Gastronomie immer krisensicher, jetzt ist Gastro für die Mitarbeiter die unsicherste Branche überhaupt.“

Die Expertenrunde
Till Riekenbrauk

Till Riekenbrauk ist Betreiber des Kölner Brauhauses Johann Schäfer, Gründer von Laden Ein, Mitgründer des Street Food Festivals und Vorsitzender der IG Kölner Gastro e.V.

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IG Kölner Gastro

Brauhaus Johann Schäfer

Doch was kann man tun, um dieser verheerenden Entwicklung entgegenzuwirken? Till Riekenbrauk: „Gastronomen müssen bessere Arbeitgeber werden. Früher herrschte oft die Einstellung: Wenn ein Mitarbeiter geht, steht der nächste schon bereit. Inzwischen merken die Arbeitgeber, wie wichtig es ist, Mitarbeiter zu halten.“ Mit seiner IG Kölner Gastro e.V. hat er eine Kampagne ins Leben gerufen, die gezielt um neue Mitarbeiter für die Gastronomiebranche wirbt. Eine tolle Vorlage, finden seine Kollegen, und Kerstin Rapp-Schwan, Vorstand Leaders Club Deutschland, wünscht sich ein einheitliches Vorgehen: „Für dieses Problem brauchen wir eine große, gemeinsame Kampagne – und die Unterstützung der Politik.“

Die Expertenrunde
Kerstin Rapp-Schwan

Kerstin Rapp-Schwan ist Inhaberin der Schwan-Restaurants in Düsseldorf und Neuss, Vorstandsmitglied im Leaders Club Deutschland und Partnerin im Team der Tellerrand Consulting.

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Tellerrand Consulting

Schwan Restaurant

Trotzdem schauen die Experten mit positiven Erwartungen in die gastronomische Zukunft: Till Riekenbrauk berichtet von vielen Gastronomen, die jetzt expandieren möchten, und auch Kerstin Rapp-Schwan registriert eine Aufbruchstimmung: „Es gibt da draußen viele Investoren und Immobilienbesitzer, die in die Gastronomie investieren möchten, Betreiber suchen oder Know-how einkaufen möchten. Das ist sehr motivierend. Gastronomie wird es immer geben – das hat sich für mich gerade nach dieser schweren Zeit bestätigt.“ 

Die Expertenrunde
Uwe Christiansen

Uwe Christiansen ist Inhaber der legendären Bar „Christiansens Fine Drinks & Cocktails“, Gesellschafter und Gründer der Spielbudenplatz Betreiber GmbH und Vorstand der IG St. Pauli, Interessengemeinschaft des Stadtteils St. Pauli.

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Spielbudenplatz Betreiber GmbH

Christiansen's Fine Drinks & Cocktails

Die Lobbyarbeit muss indes weitergehen: „Alle Organisationen müssen abseits der öffentlichen Diskussion an einen Tisch, denn die Probleme sind noch nicht vorbei. Wenn die staatlichen Hilfen enden, geht es erst richtig los. Die Personalsituation wird nicht besser werden, umso wichtiger ist es, mit einer Stimme zu sprechen“, so Madjid Djamegari. „Unser größtes Problem ist unsere Kleinteiligkeit“, bestätigt Kerstin Rapp-Schwan. „Aber die Branche war noch nie so eng vernetzt wie in den letzten Monaten, das muss weitergehen, damit wir noch stärker wahrgenommen werden.“

Diese Erkenntnis ist zumindest unter den Teilnehmern unserer Expertenrunde da, die Bereitschaft zur Vernetzung ebenfalls, jetzt fehlt nur noch die Umsetzung. Unterstützung – auch aus der Zulieferindustrie – ist willkommen.

Die Gastronomie formiert sich, um den existenzbedrohenden wirtschaftlichen Beschränkungen, denen die Branche im Zuge der Corona-Krise ausgesetzt ist, entgegenzuwirken. Der einzige Weg: Eine starke Lobby.

Uwe Christiansen, „Christiansens“, Hamburg:

„Wenn man konzeptionell etwas ändern möchte, ist das jetzt die große Chance.“

fizzz 04/2024

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Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

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