Nachtbürgermeister vermitteln für Kultur und Nachtleben - eine schwierige Aufgabe in Pandemiezeiten (Foto: Kamirika / Photocase)
Nachtbürgermeister vermitteln für Kultur und Nachtleben - eine schwierige Aufgabe in Pandemiezeiten (Foto: Kamirika / Photocase)

Stille Nacht?

Distance Tracking, Gastro-Speed-Dating und ständiger Informationsbedarf. Pandemiebedingt stehen auch die Nachtbürgermeister als Mediatoren und Schnittstelle für die Akteure der Nachtkultur vor gewaltigen Herausforderungen.

Text und Interviews: Mia Bavandi

Wir haben die jungen Nachtmanager in Mannheim, Stuttgart und Osnabrück zu Wort über die aktuelle Situation gebeten, die morgen wiederum schon ganz eine andere sein kann. Wie ihre Tätigkeit ohne Pandemie ausgesehen hätte, ist eigentlich schwer zu sagen. Die Nachtbürgermeister Jakob J. Lübke in Osnabrück und Nils Runge in Stuttgart, der sich in der Koordinierungsstelle Nachtleben gemeinsam mit Thorsten Neumann für Nachtkultur, Nachtökonomie und Nachtsicherheit einsetzt, haben beide erst im Frühjahr dieses krisenbedingten Jahres ihre Dienste angetreten – mitten im Lockdown. Robert Gaa ist seit vorigem August als „Night Mayor“ in Mannheim aktiv und steht derzeit im gleichen Versuch, die Gastronomie nach monatelangem Erliegen in einen für alle Beteiligten gelingenden Re-Start zu begleiten. Und wie seine Kollegen im niedersächsischen Osnabrück und Stuttgart vor krisenbedingten, bundesweit ähnlichen Problemen.

Neben ihren angedachten Aufgaben, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nachtschwärmer, Anrainer, Stadt, Veranstaltungsbranche oder Betreiber gastronomischer Einrichtungen und Clubs auszubalancieren, zwischen Akteuren oder Betroffenen zu moderieren und neue Impulse zu setzen, obliegt ihnen nun auch Krisenbewältigung: der Umgang mit Förderpapieren, Überbrückungshilfen, der ständige Blick auf die Inzidenzlage sowie erhöhter Kommunikations- und Informationsbedarf. Probleme wie Personalmangel in der Gastronomie haben sich durch Corona verschärft, und der öffentliche Raum wird vielfach wegen geschlossener Clubs erobert. Im Gespräch mit den jungen Nachtbürgermeistern Gaa, Lübke und Runge, die die Nachtkultur erstmals in die Stadtplanung integrieren und für alle attraktiver gestalten sollen, wird offenbar: gerade leiten sie Ämter, die sich durch die globale Krise ständig neu definieren und weiterentwickeln.

 

Robert Gaa, Mannheim

Robert Gaa, Mannheim (Foto: Daniel Lukac)
Robert Gaa, Mannheim (Foto: Daniel Lukac)

Fizzz: Wie ist die aktuelle Situation in Mannheim nach dem Re-Start?

Robert Gaa: Dies ist immer in Abhängigkeit von der Inzidenzlage zu sehen. Zu Sommerbeginn konnte die
Gastronomie als erste mit den wenigsten Einschränkungen öffnen. Das lief gut für die Betreiber, wegen des Lärms aber schlecht für die Nachbarschaft. Die Öffnung der Clubs mit der Auflage von einer Person pro zehn Quadratmeter ist einfach unrealistisch. Jetzt, mit Inzidenzstufe 2, ist der Diskotheken-Betrieb wieder untersagt. Shisha-Bars durften vor kurzem wieder öffnen, jetzt müssen sie wieder schließen. Es ist eine unsichere und nicht planbare Situation, vor allem für Betreiber. Da der Aufklärungs- und Kommunikationsbedarf steigt, informieren wir zudem laufend per Newsletter mit Links und FAQs über aktuelle Maßnahmen. Mit dem ‚Kulturtragfestival‘ verschaffen wir der schwer angeschlagenen Kulturszene derzeit wieder eine Bühne.

Fizzz: Mit welchen spezifischen Problemen hat Mannheim zu kämpfen, gibt es Perspektiven?

Robert Gaa: Solo-Selbstständige in der Veranstaltungs-, Kultur- und Musikbranche, teils prekäre Jobverhältnisse in der Gastro, geschlossene Clubs - Corona hat bestehende Probleme wie den Personalmangel verschärft. Nun hat die Diskussion zwar begonnen, aber ich habe Angst, dass das Thema wieder untergeht. Ich denke, wir haben alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Durch geschlossene Clubs aber hat die Ausgehstadt Mannheim auch ein Open-Air-Problem, weil viele Menschen wie bei uns im Jungbusch Viertel im öffentlichen Raum feiern. Das größte Problem dabei war nicht der Gesprächs-, sondern der Lärm der riesigen Bluetooth-Boxen. Nun gilt ein Lautsprecherverbot, und das initiierte „Nachtschicht“-Quartett sorgt auf kommunikativem Weg für Ruhe und Einhaltung der Corona-Regeln.

 

Nils Runge, Stuttgart

Fizzz: Wie ist die aktuelle Situation in Stuttgart nach dem Re-Start?

Nils Runge: Die getränkegeprägte Gastronomie mit Bars und Kneipen hat wieder geöffnet, es dürfen maximal 15 Personen aus vier Haushalten zusammensitzen. Kulturveranstaltungen und Konzerte dürfen bis zu 50 Prozent Auslastung stattfinden. Die Innenräume der Clubs sind immer noch geschlossen. Daher erarbeiten wir gemeinsam mit dem Club Kollektiv Stuttgart Open-Air-Konzepte für Clubs ohne Außenfläche.

Fizzz: Mit welchen spezifischen Problemen hat Stuttgart zu kämpfen, und gibt es Lösungen?

Nils Runge: Wir haben kein stadtspezifisches Problem. Bundesweit fehlt Personal, Musiker und Betreiber haben sich umorientiert, das bringt einen Rattenschwanz an Problemen. Durch das Slow-Opening der Clubs und der erneuten Schließung verlagert sich vieles in den öffentlichen Raum. Die Folgen sind vielschichtig, ökonomischer, kultureller und sozialer Natur. Besonders schlimm für Betreiber ist das Fehlen von Perspektiven sowie die fehlende Planungssicherheit.

Fizzz: Welche Perspektiven oder Lösungen sind vorstellbar?

Nils Runge: Um schnell zu informieren, schicken wir laufend FAQs aus. Ich hoffe, dass mit der Impfbereitschaft neue Perspektiven entstehen. Dazu hat Stuttgart beispielsweise bei Festivals und Veranstaltungen Impfmöglichkeiten geschaffen. Ich würde mir wünschen, dass man sich bundesweit austauscht, um Öffnungen von Clubs auf faktenbasiertem Wissen wie zum Beispiel mittels des Stuttgarter Distance Tracking in einem kontrollierten Rahmen zu ermöglichen. 


Jakob J. Lübke, Osnabrück

Jakob J. Lübke, Osnabrück (Foto: Lukas Gruenke)
Jakob J. Lübke, Osnabrück (Foto: Lukas Gruenke)

Fizzz: Welche Lösungen, Perspektiven sind vorstellbar?

Jakob J. Lübke: Der Austausch mit anderen Nachtbürgermeistern ist immens wichtig, um Steckenpferde wie zum Beispiel unser Gastro-Speed-Dating weiterzugeben. Das haben maßgeblich die „Kneipenhelfer“ initiiert, um gemeinsam mit Gastronomen Mitarbeiter zu finden. Ich war beratend zur Stelle. Auch Testzentren für die Nachtgastronomie sind errichtet worden, um das Ausgehen spontaner und niemanden „erfinderisch“ werden zu lassen. In einem Jour fixe per Zoom werden die Akteure durch mich, die Krisenabteilung und das Ordnungsamt über neue Verordnungen informiert und Fragen geklärt. Dies ist ein wertvolles Signal auf Augenhöhe – „Wir sehen euch und möchten euch durch diese Zeit begleiten“.  

Schlagworte

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

Aperitivo-Konzepte

Die Aperitif-Kultur ist auf dem Vormarsch – wir zeigen brandaktuelle Gastro-Beispiele.

Le Big TamTam

Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.