München, raunen die Gastrojournalisten und sonstige Branchenkenner, könnte in kulinarischer Hinsicht spannend werden in den kommenden Jahren. Spannender denn je. Da sei ja Tohru Nakamura, der nun Neues wage, da sei das „doppelte“ Tantris und auch noch die ehemalige Tantris-Souschefin Sigi Schelling, die nun im Werneckhof nicht nur Nostalgiker begeistert. Und wenn erst Jan Hartwig richtig durchgestartet sein wird, könnte München in absehbarer Zeit vielleicht sogar über zwei Drei-Sterne-Restaurants verfügen.
Doch Anton Gschwendtner, der Hartwig-Nachfolger im Atelier im Bayerischen Hof, wirkt nicht so, als würde er zerbrechen unter dem Druck, die Michelin-Höchstnote von drei Sternen zu verteidigen. Dass hier alles so leicht und selbstverständlich wirkt, hat allerdings auch mit dem neuen Team im Service zu tun. Daniela Heizmann, die Restaurantmanagerin, hat im Schweizer Schloss Schauenstein Karriere gemacht und wechselte mit dem Umweg über Stuttgart nach München. Chefsommelier Shahzad Talukder wiederum hat nach seinem Fortgang aus Dresden den Schritt ins Ausland gewagt und bei Léa Linster eine gewaltige Weinkarte vorgefunden. Hier wie dort machte er sich einen Namen als einer, der perfekt vermitteln konnte zwischen den Wünschen des Publikums und den Ambitionen des Chefs.
Sommelier
Shahzad Talukder
geboren am 23.06.1987 in Frankfurt am Main
Stationen:
• Falkenstein Grand Kempinski (Königstein im Taunus)
• The Chedi (Andermatt, Schweiz)
• Bean & Beluga GmbH (Dresden)
• Restaurant Léa Linster
(Frisange, Luxemburg)
• Atelier im Hotel Bayerischer Hof (München)
Dass im Atelier vieles anders sein würde als im luxemburgischen Frisange, muss dem Sommelier klar gewesen sein. Die Weinkarte etwa ist in München bei weitem nicht so umfangreich. Doch Talukder versieht seinen Job ganz offenbar mit einer gewissen Demut. „Man muss auch die Wirtschaftlichkeit beachten“, sagt er. Also erst mal schauen, was da ist, was vielleicht mal eingekauft und zur Seite gelegt wurde. Sommelier-Selbstverwirklichung bei der Auswahl der Weine scheint nicht das Ziel von Talukder zu sein, Rekorde bei der Gesamtzahl der Flaschen sollen nicht aufgestellt werden. Auch mit 400 oder 500 Positionen könne man sehr gut arbeiten, so Talukder. Bewegen müsse sich das, was da sei – und bewegen wird sich auch die Auswahl im Restaurant. „Die erste Baustelle ist die alkoholfreie Begleitung“, sagt Shahzad Talukder. Genau ausgetüftelte Kompositionen, die nicht redundant sein werden und zu den Speisen passen sollen. Mit alkoholfreiem Secco allein ist es halt nicht getan, schon gar nicht auf Drei-Sterne-Niveau.
Baustelle Nummer zwei ist dann der Champagner, der sich gut als Begleitung zu Anton Gschwendtners komplexer, kraftvoller, aber dennoch subtiler Küche eignet. Wer eine ganze Flasche Schaumwein bestellt, sei es die Prestigecuvée einer großen Marke oder die puristische Attraktion eines kleinen Erzeugers, macht garantiert nichts falsch. Auch Top-Weine per Coravin sind ein Thema. Ansonsten geht es, wie dies auch bei Talukders vorherigen Stationen der Fall war, um Beratung, um Vermittlung.
An diesem Abend ist zu erkennen, wie viel Mühe sich der Sommelier an den Tischen macht, die Wünsche allmählich zu ergründen versucht. Gedrängt fühlen kann sich da niemand, und wenn jemand von bestimmten Herkünften überzeugt wird, dann dermaßen subtil, dass er oder sie am Schluss glaubt, man selbst habe von A bis Z gewählt. Es muss dieser Stil des Verkaufens sein, der dazu geführt hat, dass im Restaurant Léa Linster unter Talukders Verantwortung die Verkäufe deutscher Rieslinge in die Höhe schossen – obwohl die Region traditionell den einheimischen und den französischen Weinen zugeneigt ist. Getrunken wurden dann allerdings, nach sanfter Vermittlung, eher trockene Rieslinge diverser deutscher Regionen als die mit mehr oder weniger Süße ausgestatteten von der nahen Mosel.
Süße spielt in der Weinbegleitung im Atelier auch nur eine untergeordnete Rolle, Frische ist umso wichtiger, und der Überraschungsfaktor kommt nicht zu kurz. Auch wenn es weniger um kleine Nischenerzeuger geht, sondern vielmehr um die präzise Kombination. Zur mit Kaviari-Kristal-Kaviar angereicherten Jakobsmuschel samt Daikon, geräuchertem Dashi und Schnittlauch hätten viele Sommeliers vermutlich einen anderen Wein vorgeschlagen als den Sauvignon Blanc 500 vom Pfälzer Weingut von Winning.
Küchenchef
Anton Gschwendtner
geboren am19.09.1984 in Freising
Stationen:
• Forsthaus am See (Possenhofen)
• Bareiss (Baiersbronn)
• Acquarello (München)
• Le Val d’Or (Stromberg)
• Petermann’s Kunststuben (Küsnacht/Schweiz)
• Atelier & Garden
im Hotel Bayerischer Hof (München)
• Délice La Brasserie im Sofitel Bayerpost (München)
• Das Loft (Wien)
• Olivo (Stuttgart)
• Atelier im Hotel Bayerischer Hof (München)
Fokus auf Frankreich und Deutschland
Ein 2019er, bei dessen Ausbau Holz eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte, als Unterstützung für ein feines, auf Frische und Subtilität aufbauendes Gericht? Doch tatsächlich funktioniert das Experiment, was auch damit zu tun haben dürfte, dass Talukder akribisch vorgeht, wenn er in einem neuen Haus anfängt. Erst mal mit dem Küchenchef die einzelnen Gänge des Menüs verkosten und sich Gedanken machen und ausprobieren. Der Pfälzer Sauvignon Blanc überdeckt den Geschmack des Muschelfleisches kein bisschen, lässt im Verlauf des Essens immer neue Aromen in den Vordergrund treten. Der Riesling (ein 2016er Ganz Horn von Rebholz aus der Pfalz) zur bayerischen Forelle mit Kalbskopf ist dann weder zu jung noch zu reif, lässt sich auch vom verarbeiteten Meerrettich nicht schrecken. Durchaus überraschend ist dann die Begleitung zum Taschenkrebs-Rotbarbe-Duo mit Chorizo, Pinienkernen und Gochujang. Er habe extra einen jungen weißen Châteauneuf-du-Pape ausgesucht, sagt Talukder. Nicht cremiger, reifer Schmelz, sondern Frische und Power. Es muss nicht immer markante Rieslingsäure sein, um Fisch-Krustentier-Gerichte aufzupeppen.
Apropos Säure. Einer der Vorteile des Sake sei, dass er eine geringe Säure habe. Was ihn auch dort zum Einsatz kommen lässt, wo sonst Rotweine unumgänglich sind. Talukder lässt dem Gast bei der Taube mit Sanddorn, Miso und Schwarzwurzel die Wahl zwischen Klassik (ein 2015er Château Potensac aus dem Bordelais) und einem Kimoto Sake von Hatsumago. Beim Reiswein ist absichtlich kein feiner, subtiler Ginjo oder Daiginjo eingeplant, sondern ein Honjozo, um dem sowohl mit Grillaromen als auch mit Umamiwürze ausgestatteten Gang standzuhalten.
Die Begeisterung, mit der Talukder von Sake spricht, lässt sich erklären mit seiner Sake-Fortbildung, mit der Sake-Jurytätigkeit, mit der persönlichen Leidenschaft für diese Kategorie von Getränken. Eine Reise nach Japan, um die besten Erzeuger zu besuchen – ein Traum! Dass es also bald Sake geben wird im Atelier im Bayerischen Hof, in größerer Vielfalt als bisher, ist anzunehmen. Noch eine Baustelle. „Ich will Sake aber nicht mit Gewalt anbieten“, sagt Talukder. So was wäre wohl strikt gegen sein Selbstverständnis als Berater und Vermittler und schon deshalb unvorstellbar.
Erstveröffentlichung Februar 2022