Dr. Steffen Schwarz, Coffee Consulate. Foto: Luca Siermann
Dr. Steffen Schwarz, Coffee Consulate. Foto: Luca Siermann

Interview: „Der Direkte Handel wird an Bedeutung gewinnen“

Dr. Steffen Schwarz, Gründer des „Coffee Consulate“ in Mannheim, über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Kaffeemarkt, fitte Gäste und warum die Zeiten des Kaffees als „Betriebsmittel“ für Dauermüde bald vorbei sind.

 

Abgesehen davon, dass in etlichen Ländern die Gastronomie und damit auch die Cafés geschlossen haben (oder hatten) – welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den globalen Kaffeemarkt?

Die Kaffeebranche hat wie die meisten anderen Branchen auch Gewinner und Verlierer - mehrheitlich gibt es Verlierer. Fangen wir beim Rohkaffee an. Hier ist es zurzeit nur schwer möglich, geregelte Transporte zu organisieren, da sich viele der Produktionsländer ebenfalls im Lock-down befinden, der meist viel rigoroser durchgeführt wird als bei uns in Deutschland. Es ist also in vielen Ländern nicht eindeutig klar, dass die Landwirtschaft, auch wenn diese überall natürlich zu den systemerhaltenden Branchen gezählt wird, in der Lage ist, normal oder zumindest vernünftig zu arbeiten. Das fängt schon bei der Bewegungsfreiheit der Mitarbeiter an, die vielfach nicht auf die Plantagen gelangen, oder sich dabei hohen Risiken und Willkür einzelner Milizen, Militär- oder Polizeiposten aussetzen müssen.

 

Damit hören die Probleme aber vermutlich nicht auf…

Nein, wenn die Plantagen es dann doch schaffen, Kaffee zu produzieren - mit erheblich eingeschränktem Personalstand - muss der Kaffee exportfähig gemacht werden, also nach dem Trocken und Schälen, was zumeist noch auf den Plantagen geschieht, weiter verlesen und nach Größen sortiert, sowie von Fremdkörpern und Defekten befreit werden. Das leisten nur die wenigsten Farmen selbst. Meist muss der Kaffee damit also zu Exporteuren transportiert werden - womit wir wieder bei den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch Corona angekommen sind. Nach dem Verlesen und Sortieren geht es dann weiter, allerdings sind Container häufig durch den weitgehenden Stillstand der Industrie und des Welthandels nicht oder nur schwer an den gebrauchten Orten verfügbar und müssen gegebenenfalls leer gezielt herangeschafft werden. Dadurch entstehen erhöhte Kosten für den Transport.

 

Drohnenblick auf eine Kaffeeplantage. Anbau, Ernte und Transport werden durch den Klimawandel und aktuell durch die Corona-Pandemie zunehmend schwieriger. Foto: Coffee ConsulateWas sind weitere Herausforderungen beim Transport?

Nicht alle Kaffeeländer besitzen einen geeigneten Tiefseehafen, um dort die Container direkt auf hochseegeeignete Schiffe zu bringen. So müssen die Container häufig weite Strecken über Landwege und damit meist auch über Landesgrenzen befördert werden, was zum heutigen Zeitpunkt in Anbetracht von Quarantänemaßnahmen und -bestimmungen weitere Probleme mit sich bringt. Häufig müssen Fahrer in Quarantäne und ausgetauscht werden, um einen möglichst durchgehenden Transport zu gewährleisten. Schließlich fahren auch weniger Schiffe, denn mit dem nachgelassenen Welthandel ist der Transportbedarf erheblich gesunken - somit dauern Transporte zurzeit deutlich länger als vor der Coronakrise, und Buchungen von Containerplätzen auf Schiffen können meist erst durchgeführt werden, wenn man die Ware sicher im Hafen weiß.

 

Machen sich bereits Lieferengpässe bemerkbar? Kommt in Deutschland weniger Kaffee an?

Die Importeure selbst haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ausreichend Lagerkapazitäten - es stellt sich allerdings die Frage: Wie lange noch? Auch Röstereien decken sich zurzeit mit einem höheren Lagerbestand an Rohkaffee ein. Wenn dies nun auch die Lebensmittelhändler mit geröstetem Kaffee machen, werden die Vorräte in Europa erheblich abnehmen, denn vor der Krise war alles betriebswirtschaftlich auf „just in time“ eingestellt und damit „optimiert“ worden. Nun stellen sich die Röstereien vor dem Hintergrund unsicherer Marktbedingungen die Frage, ob es nicht vielleicht doch besser ist, einen höheren realen Lagerbestand an Rohkaffee zu haben - auch wenn dies in der Zwischenfinanzierung mit höheren Kosten zu Buche schlägt. Denn die Zinsen sind zurzeit gar nicht zu hoch, und nicht liefern zu können, wäre sicherlich weit teurer - vom Image-Schaden und dem Abwandern von Kunden zum lieferfähigen Wettbewerber einmal ganz abgesehen.

 

Was könnte die Lösung sein?

Es entwickeln sich nun die Chancen des Direkten Handels, der gewachsenen Beziehungen von Farmern und den Röstereien. Hier bestehen weiterhin viel klarere Lieferstrukturen und weniger Unsicherheiten für beide Seiten. Ich gehe also davon aus, dass der Direkte Handel im Zuge der Coronakrise erheblich an Bedeutung gewinnt.

 

Sie sprachen eingangs auch von Gewinnern der Krise…

Röstereien, die für den Einzelhandel produzieren, haben Hochkonjunktur, denn der Kaffee wird nun noch mehr als zuvor zuhause getrunken. Der „Out of Home“-Markt (OOH) ist dafür in sich zusammengebrochen. Fast kein Verkauf und Konsum in Büros, Bäckereien, Cafés, Tankstellen, Coffeeshops, Restaurants oder Hotels. Hier befinden sich die meisten Verlierer der Krise - hohe Mieten, Personalkosten und keine bis zu nur geringen Einnahmen lassen ein vernünftiges wirtschaftliches Arbeiten nicht zu. Alleine durch Kaffee zum Mitnehmen kann der Umsatzverlust bei weitem nicht ausgeglichen werden - hinzu kommen natürlich die dramatisch geringeren Frequenzen in den Innenstädten. Es wird weniger in den Unternehmen und Büros gearbeitet, durch mehr Homeoffice sind weniger Menschen unterwegs und nehmen auch nicht „kurz spontan auf dem Weg“ einen Kaffee mit. Die Kunden kommen gezielt, weil sie ein besonderes Geschmackserlebnis suchen. Damit gewinnt die Qualität innerhalb der Branche eine neue Bedeutung.

 

Der Kaffeekonsum hat sich also zuletzt vor allem zu Hause abgespielt. Mit welchen Folgen?

Viele Verbraucher haben die Zeit der Coronakrise genutzt, sich zuhause technisch besser auszustatten und auch dazuzulernen, ihren Kaffee besser zuzubereiten. Zahlreiche Video-Tutorials zum Thema Filterkaffee, Zubereitung diverser Kaffeegetränke oder eines korrekten Espresso oder Cappuccino hatten in den letzten Wochen Hochkonjunktur - wer also nun Kaffee anbietet, muss damit rechnen, auf einen deutlich besser informierten und vorgebildeten Markt und damit Kunden zu treffen.

 

Schulungen, wie hier beim Coffee Consulate, werden in Zukunft erhebliche strategische Bedeutung haben, sagt Dr. Steffen SchwarzWie können, wie müssen sich Cafés darauf einstellen?

Schulungen - sobald solche in praktischen Bereichen wieder durchgeführt werden können - werden erhebliche strategische Bedeutung haben, um sich gegenüber dem Wettbewerber klar abzugrenzen. Die Coronakrise wird die berühmte „Spreu vom Weizen“ trennen. Nur wer in die Qualität seiner Produkte und Mitarbeiter investiert, wird sich am Markt weiterhin durchsetzen können. Wer - aus welchen betriebswirtschaftlich falsch ersonnenen Gründen - an der Qualität spart, wird nach der Krise sehr schnell spüren, dass es so nicht geht und dass die Verbraucher Zeit hatten, sensorisch dazuzulernen. Die Margen und Gewinnspannen beim Kaffee lassen durchaus eine korrekte und gute Zubereitung und einen vernünftigen Wareneinsatz zu - das wird dem Kunden nun viel bewusster sein als vor der Krise und daher vom Gast auch erwartet werden. Fast jeder wird in der nächsten Zeit Geld bewusster ausgeben für Dinge, die es dann Wert sind - und das erfordert dringend eine neue Wertigkeit und Qualitätsoffensive für Kaffee, der sich ohnehin auf dem Weg zu einem neuen Luxusprodukt entwickeln wird.

 

Gutes Stichwort. Wie sind die langfristigen Aussichten für Kaffee als Konsumgut - müssen wir uns an Einschränkungen gewöhnen?

Die Coronakrise lenkt uns nur allzu leicht von der viel dramatischeren Klimakrise ab, in der wir uns befinden. Jeder kann gegenwärtig die fehlenden Niederschläge auf allen Feldern und in der Natur sehen. Kaffee wird durch diesen Klimawandel knapper - die Produktivität der Pflanzen und Pflanzungen geht zurück - viele Gebiete werden in den nächsten Jahren gänzlich ungeeignet für den Kaffeeanbau sein. Ich habe auf meinen Reisen in den vergangenen Jahren immer dramatischere Bilder in den Anbaugebieten gesehen - es fehlt an Regen in den Zeiten, in denen die Pflanzen Regen benötigen, und es ist nicht trocken, wenn es trocken sein sollte, um den Kaffee zu ernten und zu trocknen. Zunächst reagieren die Pflanzen mit Ernteausfällen, in mehrfachen aufeinander folgenden Jahren werden die langlebigen Kaffeepflanzen dann aber so stark geschädigt, dass sie leichter von Schädlingen befallen und angegriffen werden können. Viele Pflanzen gehen in Folge der Summe der Widrigkeiten dann ein.

 

Kann man da als Mensch eingreifen?

Wasser kann und darf vielerorts aufgrund des Wassermangels nicht mehr entnommen werden und würde darüberhinaus nur kurzfristig helfen, weil es durch die veränderte Wetterlage zu massiven Versalzungen der Böden führen würde, was mit einem Eingehen der Pflanzen enden würde.

 

Grundnahrungsmittel oder Luxusgut? Die Zukunft des Kaffees ist ungewiss, Experten rechnen mit einer Verknappung des Angebots. Foto: Luca SiermannDas klingt nach düsteren Aussichten – dabei nimmt die weltweite Kaffeenachfrage beständig zu, oder?

Ja, zu den erschwerten Anbaubedingungen kommt eine steigende Nachfrage in Schwellen- und Entwicklungsländern hinzu. Brasilien ist nahezu unbemerkt 2016 zum größten Konsummarkt der Welt geworden. Auch Indien entwickelt einen fast exponentiell wachsenden Bedarf an und Durst auf Kaffee. Alleine in den vergangenen fünf Jahren hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch verdoppelt. Mexiko kann den landeseigenen Bedarf inzwischen nicht mehr decken und lässt bereits Kaffeeimporte zu. Und auch im Land des Drachens - in China und vielen anderen Südostasiatischen Staaten - wächst der Kaffeebedarf und die gesamte Kaffeeindustrie.

 

Was ist Ihr Schluss daraus?

Der Kaffee wird seltener und vor allem teurer werden. Ein Luxusgut, das dann wieder ein Genussmittel und weniger ein „Betriebsmittel“ für Dauermüde wird.

 

Über das Coffee Consulate:

Coffee Consulate ist ein naturwissenschaftlich basiertes unabhängiges Schulungs- und Forschungszentrum. Es bietet neben verschiedenen eintägigen modularen Workshops, die auch gebündelt werden können, individuell gestaltete Schulungsmaßnahmen für die Kaffeeindustrie sowie Kaffeeanbieter (Hotellerie, Gastronomie, Coffeeshops, Bäckereien, etc.) an. Das komplexeste Programm stellt die Ausbildung zum Coffeologen dar, das 12 verschiedene Workshops beinhaltet und die gesamte Wertschöpfungskette von der Bohne in die Tasse darstellt. Weiterhin stellen Forschungs- und Entwicklungsprojekte für die Industrie ein wichtiges Tätigkeitsfeld für Coffee Consulate dar.

Weitere Infos: coffee-consulate.com

Schlagworte

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

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