Text: Sascha Speicher
die Weinkarte des Almhof Schneider ist vielleicht nicht die protzigste und umfangreichste am Arlberg, aber vermutlich die beste. Auf beinahe jeder der 47 Seiten mit zum Teil mehr als 30 Weinen finden Nerds spannende Raritäten, gesuchte Weine von Aufsteigern oder Klassiker, und dies zu überraschenden Preisen für ein Fünf-Sterne-Superior Hotel in Lech, das schon mehrfach als bestes Luxushotel der Alpen ausgezeichnet wurde.
Stars der gepflegt-naturalen Szene wie Ganevart, Josko Gravner, Andi Tscheppe oder Christian Tschida, gleichzeitig seitenweise klassischer Hochadel à la DRC, Dugat-Py, Chave, Rayas oder Vega-Sicilia, natürlich dürfen an der Stelle auch gereifte Bordeaux‘ nicht fehlen, ebensowenig die Bluechips der Sommelier-Welt von Valentini über R. Lopez de Heredia bis Roagna. Mit anderen Worten: Diese Karte deckt so ziemlich alle Facetten der Weinwelt ab. Alles, außer banaler Mainstream, um genau zu sein.

Trotz der versammelten internationalen Elite bilden die österreichischen Weine den Kern der Karte. „Wir sind ein internationales Haus. Da empfinde ich es als wichtig, dass wir den österreichischen Wein, so wie er ist, darstellen und platzieren“, erklärt Sommelier Josef Neulinger. Sieben Seiten mit heimischen Weißweinen, drei Seiten mit Rotweinen. Viele reife Jahrgänge zeugen davon, dass die Weine erst auf die Karte kommen, wenn sie nach Ansicht des Sommeliers ein geeignetes Trinkfenster erreicht haben. Um sich diesen Luxus leisten zu können, ist natürlich ein stattlicher Keller vonnöten und über einen solchen verfügt der Almhof Schneider. Gleichzeitig werden gezielt auch einzelne junge Weine aus den letzten drei Ernten offeriert. „Ich setzte gezielt Weine mit einer limitierten Anzahl an Flaschen jung auf die Karte, um dieses erste jugendliche Trinkfenster mitzunehmen. Die restlichen Weine reifen dann im Keller, bis der Wein sein optimales Trinkfenster erreicht hat.“ Mit anderen Worten: Die gut 1.000 Positionen auf der Karte sind in Wahrheit nur die Spitze des Eisbergs.

Diese Weinauswahl begeistert mit drei Dingen: Balance, Vielseitigkeit und durch das Fehlen von jeglichem Dogma. Ein solcher Dreiklang ist nur möglich mit Kontinuität auf der Position des Chefsommeliers. Seit 22 Jahren ist der 42-jährige Josef Neulinger für den Weineinkauf, die Karte und den Weinservice im Restaurant verantwortlich. Wie liebevoll und überlegt eine Karte zusammengestellt ist, zeigen nicht selten die günstigsten 10 bis 20 Weine. Wird hier stumpfsinnige, industriell produzierte Massenware offeriert, um desinteressierte Gäste zu befriedigen, oder hat sich der Sommelier auf die Suche nach individuellen, handwerklich hergestellten Weinen von weniger namhaften Erzeugern oder aus kaum bekannten Gebieten gemacht? Um die 50 Euro bietet die Almhof Schneider Karte überraschend viele reizvolle Positionen, speziell aus Österreich, wie den Gelben Muskateller Perz 2017 von Gross, den vermutlichen besten Muskateller der Welt, eine Riesling Federspiel Spätfüllung 2011 vom Nikolaihof, eine Sauvignon-Spätfüllung von Tement aus 2017 oder einen St. Laurent von Pittnauer 2015, aber auch aus Savoie oder der Muscadet-Region hat Neulinger für neugierige Gäste Entdeckungen im Angebot. Die Ouvertüre passt.
Zwischen 100 und 200 Euro schlägt das Kennerherz beim Durchstöbern der Karte dann reihenweise Purzelbäume. „Die ganz großen Namen können unsere Gäste überall auf der Welt trinken. Ich möchte ihnen aber auch Spitzenqualität von Erzeugern zeigen, die sie vielleicht noch nicht kennen.“ Keinen Hehl macht Neulinger aus seinem Steckenpferd für Burgund. Wie bei der österreichischen Auswahl fällt hier sofort die große Anzahl an verschiedenen Erzeugern ins Auge, von denen der gebürtige Oberösterreicher sehr gezielt bestimmte Weine ausgewählt hat. Das macht in der Pflege der Karte zwar deutlich mehr Arbeit, und so manche Einkaufsquelle scheidet vielleicht aus, doch der weinaffine Gast weiß diesen Aufwand zu schätzen.
„Auf diese Weise kann ich den Charakter einer Region viel besser zeigen, als wenn ich nur zwei Erzeuger auf der Karte hätte. Die Chardonnays von Albert Grivault sind sicher typischer für den Charakter von Meursault, als die von Jean-Marc Roulot. Zusammen ergibt das ein kompletteres Bild.“ So ganz will er sich aber nicht in die Burgund-Schublade stecken lassen. „Man bewegt sich als Sommelier irgendwann automatisch in diese Richtung, weil man stärker die balancierten, feinziselierten Weine schätzt. Doch auch Burgund entwickelt und verändert sich und längst nicht mehr alles ist dort fein und elegant. Deutsche Rieslinge finde ich schon seit jeher groß, auch das Piemont bleibt spannend und die Toskana hat auch viel zu bieten, jenseits von Supertuscan, vor allem, wenn es um reinsortige Sangiovese geht. Ich mag im Grunde alles, was für einen präzisen, engmaschigen Stil steht.“ Apropos Deutschland: Mit mehr als 50 Positionen, davon rund 40 Rieslinge, gehört der Almhof im internationalen Maßstab zu den besten Adressen für deutschen Wein.

Klar ist, dass bei einem solchen Niveau des Kellers die Küche nicht nachstehen darf. Das Restaurant im Almhof Schneider gehörte 2022 unter dem alten Küchenchef Marco Rabensteiner zu den am höchsten bewerteten am Arlberg. Nachdem sich dieser vor dieser Saison Richtung Kärnten verabschiedet hat, um sich selbstständig zu machen, übernahm Gerhard Dörflinger seine Position, der aber nicht neu ist im Almhof-Team und für stilistische Kontinuität in der Küche sorgen dürfte.
Am Abend lautet im Hauptrestaurant im Rahmen der Halbpension das Motto Fine Dining. Wer Lust auf Bodenständiges verspürt kann in der mit dunklem Holz vertäfelten, von Paul Renner kunstvoll gestalteten „Wunderkammer“ Klassiker der österreichischen Küche genießen. Wiener Schnitzel und Co. werden tagsüber auch im Restaurant serviert. Dann ist das Angebot breit gefächert, für jeden Geschmack von unkompliziert bis exklusiv, aber immer in gebotener Qualität. Am Abend empfiehlt Neulinger ganz klassisch einen Rot- und einen Weißwein. Die sind aber nicht nur auf das jeweilige Halbpensionsmenü abgestimmt, sondern auch auf die Gäste, die gerade im Haus sind. Der hohe Anteil an Stammkunden und die langjährige Erfahrung des Sommeliers machen dies möglich: „Es gibt Wochen mit vielen jungen Familien mit kleinen Kindern. Da steht der Wein am Abend nicht so im Fokus und ich empfehle eher unkomplizierte Weine. Dann gibt es Zeiten mit vielen weinerfahrenen, englischen Gästen, da werden dann auch bestimmte Namen und hochpreisige Weine auf die Tagesempfehlung gesetzt.“

Ende März, spätestens jedoch Mitte April endet die Saison im Almhof Schneider. Dann geht es für Josef Neulinger zurück ins heimatliche Mühlviertel, wo seine Familie seit 1885 einen Landgasthof besitzt. Statt Sommerfrische heißt es Rollentausch. Wirt statt Sommelier im Luxushotel. Für den ruhigen und bodenständigen Sommelier kein Problem. Doch auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, irgendwann den Almhof zu verlassen, um ganzjährig das Wirtshaus in Oberösterreich zu führen, genügt als Antwort eigentlich schon sein entsetzter Blick, bevor er ein entschiedenes „auf gar keinen Fall“ nachschieben kann. Neulinger ist fester Teil der Almhof-Familie. „Im Sommer mache ich von zuhause aus den Einkauf, kümmere mich auch um die Warenwirtschaft. Vor Ort in Lech bin ich dann zwei bis drei Wochen, bevor die neue Saison beginnt, Mitte bis Ende November, um die neuen Weine zu verräumen und alles vorzubereiten.“ In diesem Jahr ist er nominell der einzige Sommelier im Team. „Aber viele im Service und an der Bar sind auch schon Jahre dabei, kennen sich entsprechend aus und wissen wie ich ticke und wie der Almhof tickt. Darauf kann ich mich verlassen.“

Wie der Almhof „tickt“ wird maßgeblich von den Inhabern Katja und Gerold Schneider geprägt. Die Inhaber sind beide Architekten mit einem besonderen Gespür für Design. Hochwertige, natürliche Materialien, perfekte Verarbeitung und klare Linien prägen den von ihnen bis ins Detail selbst gestalteten Almhof, die Atmosphäre wird durch eine sehr reduzierte, zugleich aber sehr gezielte Beleuchtung stimmungsvoll aufgeladen. Zugleich sind die beiden auch wein- und genussaffin, kennen sich selbst sehr gut aus, ohne sich in Josef Neulingers Arbeit einzumischen. Denn, so Gerold Schneider, „Service, Service, Service. Um nichts anderes geht es. Dafür brauchen wir die bestmöglichen Mitarbeiter und die müssen ihren Job gerne machen.“