Dr. Steffen Schwarz, Gründer des Kaffeeforschungs- und Weiterbildungsinstituts Coffee Consulate in Mannheim. (Foto: Luca Siermann)
Dr. Steffen Schwarz, Gründer des Kaffeeforschungs- und Weiterbildungsinstituts Coffee Consulate in Mannheim. (Foto: Luca Siermann)

Frag' den Doc! 10 Fragen an Dr. Steffen Schwarz

Von Anbauländern bis Zukunftsszenarien – 10 schnelle, aktuelle Fragen an Dr. Steffen Schwarz, Gründer des Kaffeeforschungs- und Weiterbildungsinstituts Coffee Consulate in Mannheim.

Hat der globale Kaffeemarkt die Folgen der Pandemie bereits überwunden?

Nein, auf gar keinen Fall. Die wahren Effekte der Pandemie werden sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Aufgrund fehlender Arbeitskräfte konnten viele Pflanzen nicht richtig zurückgeschnitten und kleine Pflanzen nicht nachgezüchtet werden, es hat vielerorts kein ausreichendes Schattenmanagement gegeben. Heruntergefallene Kirschen wurden nicht ausgelesen, mit der Folge, dass nun überall wildwachsende Kleinstpflanzen entstehen oder sich viele Schädlinge eingenistet haben. Viele Dinge, die in den letzten Jahren nicht erledigt werden konnten, werden jetzt einen erheblichen Tribut fordern.

Was sind derzeit die größten Probleme der Kaffeebauern?

Auf Platz 1 bis 10 steht der Klimawandel. Danach kommen die Intransparenz und die extrem Volatilität der Preise, insbesondere im Bereich des Transports. In Indien beispielsweise haben sich die Containerpreise verzehnfacht, Brasilien und Lateinamerika liegen ungefähr beim 2- bis 3-Fachen früherer Preise. Es sind aber nicht nur die Container rar, sondern zudem auch die Plätze auf den Schiffen. Zudem fahren die Transportgesellschaften mitunter andere Wege, weil es weniger Schiffe gibt. Dann landet ein Container schnell mal in Rotterdam statt in Hamburg. Letztlich bereitet das auch den Farmern Probleme, denn dadurch erhöhen sich die Kaffeepreise, ohne dass bei ihnen mehr Geld ankommt.

Immer smarter, immer vernetzter und immer wandlungsfähiger – Kaffeemaschinen, egal ob Halb- oder Vollautomat, geben den Innovationstakt vor. Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick.

Wird Kaffee in Zukunft deutlich teurer und damit die Rolle des Alltagsgetränks für jedermann zwangsläufig einbüßen?

Ja und nein. Ja, der Kaffee wird teurer, aber nein, er wird nicht seine Alltagsfunktion einbüßen. Kaffee ist immer noch der Wachmacher schlechthin. Ich glaube nicht, dass er sich so leicht durch etwas Anderes, zum Beispiel eine Ohrwatsche, ersetzen lässt. Durch die hohe Funktionalität des Getränks ist der Kaffee in diesem Bereich schon verhältnismäßig sicher. Aber dass viele Leute Kaffee ganz beliebig und nur wegen seiner wach haltenden Wirkung getrunken haben, das wird sich mit den zu erwartenden steigenden Preise verändern. Es wird hoffentlich dazu führen, dass auch ein besserer Geschmack gefordert wird. Darin sehe ich sogar eine Chance.

Ist Canephora, landläufig als Robusta bezeichnet, die Zukunft des Kaffeeanbaus?

Auf gar keinen Fall. Das wird zwar immer wieder auch in Studien kolportiert, aber das ist völlig falsch. Der Canephora stirbt, noch bevor der Arabica stirbt, denn er hat ein viel kürzeres Wurzelnetz. 90 Prozent seiner Wurzeln hat der Canephora in den oberen 30 Zentimetern der Erdschicht. Bei Trockenheit kommt er überhaupt nicht soweit, dass er sich noch versorgen kann. Die höchsten Einbußen durch den Klimawandel verzeichnen wir beim Canephora.

Die europäische Kaffeehaus-Kultur und die Coffeeshops amerikanischen Zuschnitts bekommen einen Schubser aus östlicher Richtung: asiatische Konzepte mischen den Markt auf. Mit neuen Geschmacks- und Farbkreationen, innovativem Design – und mit Qualität. Wir haben uns neue Konzepte in München, Hamburg und Berlin angeschaut. 

Welche Anbauländer werden in Zukunft eine noch größere Rolle als bislang spielen?

Da kommen verschiedene Perspektiven zusammen: die klimatischen und die politischen. Politisch bemüht sich China, ein großes Anbauland zu werden, auch gegen alle Vernunft und gegen alle biologischen oder natürlichen Wege. Dort versucht man, ein Vietnam 2.0 aufzubauen. Durch die brutale politische Entschlossenheit wird China in den nächsten zehn Jahren durchaus eine relevante Rolle spielen, allerdings sollten sie nicht die Fehler wiederholen, die in Vietnam begangen wurden. Man hat dort den Kaffee seinerzeit sehr schnell, hypermodern und auf Massenproduktion ausgerichtet angebaut. Die Pflanzen wurden alle automatisch gedüngt und bewässert, was dazu führte, dass sie selbst nicht die Notwendigkeit sahen, eine richtige Wurzel zu bilden. Die Folgen: eine mangelnde Aufnahme von Mineralien und eine mangelnde Resilienz gegen Schädlinge. Dadurch altern die Pflanzen deutlich schneller als natürlich gewachsene Pflanzen.

Man denkt immer, Kaffee kommt zum überwiegenden Teil aus Afrika und Lateinamerika, das ist geopolitisch völlig falsch, zudem verlieren viele dieser „klassischen“ Anbauländer extrem an Fläche durch den Klimawandel. Der südostasiatische Raum ist dafür einer der größten Wachstumsmärkte im Kaffee, für Konsum, aber auch für den Anbau. Neben Vietnam, dem zweitgrößten Produzenten der Welt, und Indien, dem sechst- oder siebtgrößten, gibt es mit Indonesien noch den viertgrößten Kaffeeproduzenten. Dort möchte man mittlerweile auch wieder an die Zeit anknüpfen, als man der weltweit größte Kaffeeproduzent war.

Helle Röstungen, fruchtige Töne etc. – ist das ein Spartenthema oder hat es Potenzial für mehr?

Extrem helle Röstungen, also quasi „direkt am Baum geföhnt“, werden weiterhin nur einer freakigen Zielgruppe vorbehalten bleiben. Eine sehr dunkle Röstung, die darauf abzielt, alle Kaffeedefekte in einen aschegleichen Grundzustand zu versetzen, ist wiederum auch nicht die Lösung. Die Wahrheit liegt, wie so häufig, irgendwo in der Mitte – und diese Mitte wird sich erweitern. Wie wäre es, wenn man einen richtig tollen Kaffee, der schöne Fruchtnoten mit sich bringt, etwas dunkler als üblich röstet? So kann man das Beste aus zwei Welten zusammenbringen. Gerade im Winter haben wir das Bedürfnis nach etwas Herzhafterem, Intensiverem, das in Richtung Gewürznoten weist. Ich glaube grundsätzlich, dass nicht nur die Fruchttöne, sondern auch cereale Aromen und Geschmacksrichtungen wie Nuss und Schokolade beim Verbraucher eine Chance haben.

Röstaromen bedeuten für viele Menschen automatisch Kaffee und Genuss pur. Dafür bedarf es aber nicht unbedingt klassischen Kaffees aus coffea-Samen, sondern es können auch geröstete Lupinen-Bohnen die Quelle sein, die frei von Koffein und Gluten sind. Welche Chancen hat Lupinenkaffee hierzulande?

Hat sich die Kaffeequalität in der Gastronomie seit Corona verbessert?

Jein. Es gibt Gastronomen, die bewusst in Qualität investiert haben. Die sehen und suchen ihre Chance und werden sie dort auch finden. Dann gibt es andere, die sagen: Wir haben durch Corona so viel verloren, wir müssen jetzt sparen. Der Markt zerfällt zunehmend in diese beiden Lager: bewussteres Genießen einerseits und das reine Versorgen andererseits. Und es ist relativ klar, dass diejenigen, die jetzt den Sparfuchs machen, irgendwann ihre Kunden verlieren werden. Die Gesamtentwicklung wird auf jeden Fall den Trend hin zu besserem Kaffee beschleunigen. Leider merken einige Gastronomen, dass ihre Taktik nicht die optimale ist, erst dann, wenn der Schaden bereits groß ist.

Was sind aktuell die wichtigsten gastronomischen Kaffeetrends und wo lassen sich diese am besten beobachten?

Wie eben erwähnt glaube ich, dass die Gastronomie den Geschmack als solchen wiederentdeckt. Das ist vielleicht eine der wichtigsten Lernkurven aus Corona. Die Leute haben zu Hause viel experimentiert und sich fortgebildet. Von der Gastronomie erwarten die Gäste aufgrund der besseren Ausstattung noch mehr, als sie selbst zu Hause produzieren können. Bei halbfertigen Produkten wie Kaffee wächst der Druck auf die Gastronomie also.  

Beeindruckt hat mich in der Hinsicht Bangkok, wo es eine besonders hohe Spezialisierung in der Gastronomie gibt. Dort habe ich beispielsweise eine Nitro-Bar mit bestimmt 40 Zapfhähnen gesehen. Im Angebot sind ausschließlich Nitro-gezapfte Getränke: Nitro-Tees, Nitro-Kaffees, Nitro-Biere. Diese Konsequenz, ein Konzept durchzuziehen, ist einfach überzeugend. Auch Taiwan ist wahnsinnig innovativ im Kaffeebereich. Die Art, wie dort Themen präsentiert und umgesetzt werden, ist erstaunlich. Wenn man in den dortigen Top-Cafés einen Cold Brew bestellt, erhält man zusätzlich zum Cold Brew noch ein kleines Gefäß mit Eiswürfeln und eine Tasse mit dem gleichen, dieses Mal heiß gebrühten Kaffee. Außerdem eine Visitenkarte mit etlichen Infos zum Kaffee. Man hat also die Chance, den Kaffee vergleichend als Cold Brew und als heißen Kaffee zu verkosten, den man wiederum mit einem Eiswürfel herunterkühlen kann. Ein polysensuelles Erlebnis, das aufzeigt, was die Art und die Temperatur der Extraktion bewirken.

barista 2023 - Titelthema Asian Coffee Cult
barista 2023 - Titelthema Asian Coffee Cult
52 Seiten Kaffee-Kult!
barista 2023

"barista" ist der journalistische Begleiter für die boomende Kaffeebranche. Ob kleines Individual-Café oder globale Coffee-Shop-Kette - das Themensonderheft bietet Wissenswertes für alle, bei denen der Verkauf von Kaffee einen hohen Anteil am Umsatz ausmacht. In der neuesten Ausgabe widmen wir uns unter anderem dem Trend zu asiatischen Cafés, zeigen, warum Bier und Kaffee harmonieren, gehen der Rolle des Wassers im Kaffee auf den Grund, stellen dem Kaffee-Profi Dr. Schwarz aktuelle Fragen zum Markt und präsentieren Nachhaltigkeitsprojekte der großen Gastronomiemarken.

Werden die Kaffeemaschinen schon bald so smart sein, dass wir den Barista zur Zubereitung nicht mehr brauchen?

Das glaube ich nicht. Das fängt ja alleine schon damit an, dass jemand die Tasse drunter stellen muss. Und selbst der ewig kranke Mitarbeiter ist im Vergleich zum Roboter noch günstig. Ich glaube, dass die vollautomatisierten Lösungen weder unserem europäischen Empfinden für Servicekultur noch unserem Bedürfnis entsprechen, ein menschliches Gegenüber zu haben. Zumal: Wir haben im Laufe der Zeit gelernt, dass wir uns mit den etlichen Sonderwünschen beim Kaffee stark individualisieren können. Das lässt sich technisch nicht so leicht auffangen.

Was trinken wir in diesem Sommer?

Einen Cold Brew mit gut 20 Prozent Kaffeekirschenanteil. Bei uns im Coffee Consulate haben wir den bereits getestet: Wir erhitzen die Kaffeekirschen, pürieren sie anschließend und machen daraus einen Kaffeekirschensirup. Diesen versetzen wir mit Cold Brew und garnieren das Ganze mit einer Zitronenzeste. Ein super erfrischender Sundowner, der auf Wunsch auch um Gin oder Rum ergänzt werden kann.

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

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Die Aperitif-Kultur ist auf dem Vormarsch – wir zeigen brandaktuelle Gastro-Beispiele.

Le Big TamTam

Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.