Immer häufiger sieht man Gastro-Roboter in Restaurants - Chance, Bedrohung oder Spielerei? (Illu: Adobestock.com/ivector)
Immer häufiger sieht man Gastro-Roboter in Restaurants - Chance, Bedrohung oder Spielerei? (Illu: Adobestock.com/ivector)

„Roboter werden Teil des New Normal“

Im Meer der digitalen Angebote geht es darum, das Richtige für sich zu angeln. Doch wie fischt man eben nicht im Trüben? Wie findet man das ideale Tool für das Unternehmen? Darüber sprachen wir mit Erich Nagl (Leiter der ETL ADHOGA Zentrale Berlin) sowie mit Jochen Stähler, Autor des 2020 erschienenen Fachbuchs „Gastro.Digital“.

Interview: Jan-Peter Wulf

Wie schätzt ihr die aktuelle Lage ein, sprich wie verhält es sich mit der Individualgastronomie in Bezug auf die Digitalisierung?

Erich Nagl: Der Hype um die Digitalisierung in der Gastronomie bringt zuweilen merkwürdige Auswüchse und skurrile Ideen mit sich. Da scheinen viele zu glauben, die Lösung für den Gastronomen zu haben, doch kennen die Branche höchstens von der Gastseite aus. Auf Seiten der Gastronomen wissen viele gar nicht, was sie wollen. Der Amerikaner nennt das „shit in shit out“: Es kann nichts Vernünftiges dabei rumkommen, wenn ich nicht weiß, was ich will. Bei allen Möglichkeiten der Digitalisierung muss ich mich als Unternehmer erst einmal darauf besinnen, was ich tatsächlich brauche. Ich verbringe sonst mit den ganzen neuen Systemen irre viel Zeit, ohne ein Ergebnis zu erreichen.

Jochen Stähler: Es sind grundsätzlich schon viele gute Ideen da, und da es auf Userseite gerade brennt, ist man für das Thema offener und sucht nach Möglichkeiten, sich helfen zu lassen. Woran es hapert, ist das Informations-Suchverhalten: Es wird höchstens punktuell mal geschaut und das genommen, was irgendein Hersteller oder ein Vertrieb einem anträgt. Das ist nicht gut. Wie erarbeite ich mir eine Herangehensweise? Darum geht es.

Erich Nagl, Business-Experte der ETL Adhoga, mit einem Kommentar zu den Irren und Wirren der Digitalisierung im Gastro-Kontext und umsatzgetriebenen Vertriebsmitarbeitern.

Die Frage stellen wir gleich mal zurück: Wie erarbeite ich mir sie? Wie weiß ich als Gastronom denn, was ich brauche?

Erich Nagl: Was brauche ich, um meine gesetzliche Pflicht zu erfüllen? Das wäre für mich der erste Schritt bei der Bedarfsanalyse. Es gibt fünf Datenströme, die ich erschließen muss: Erstens die Bankdaten – das ist relativ einfach, ich gebe meinem Steuerberater Leserecht oder spiele es in mein Haushaltsbuch oder was auch immer ein. Schon schwieriger sind zweitens die Lohndaten. Egal, wer wann und wo die Löhne rechnet, man braucht einen Datentransfer für die Bedarfsplanung bzw. Dienstplanung, verpflichtend ist zudem die Istzeit-Erfassung. Als Drittes braucht man ein unfallfreies Kassenbuch für die Betriebsprüfung. Dann viertens noch alles, was an Ausgangsrechnungen erzeugt wird, in der Gastronomie über das Kassensystem – seit Juli mit zwingend vorgeschriebener Version 2.3 der Datenschnittstelle DSFinV-K – und fünftens Eingangsrechnungen, auch die kann ich mittlerweile komplett digitalisieren. Hat der Unternehmer diese fünf Datenströme dokumentiert und festgelegt, so soll es bei uns laufen, dann kann ich sie digitalisieren – ich persönlich befürworte das –, muss ich aber nicht. Und dann ist da natürlich alles, was nach draußen geht, sprich die Kommunikation, die ich betreiben muss: mit Stammgästen, neuen Gästen, das Employer Branding sowie das Reputationsmanagement. Hier komme ich um digitale Helferlein nicht drum herum.

Jochen Stähler: Als Erstes hat ein Unternehmen die Aufgabe, Gewinn zu erzielen. Also muss ich genau gucken: Wo sind die wirklichen Probleme? Einnahmenseitig, zum Beispiel, weil die Gästezahl zurückgegangen ist? Oder weil ich zu wenig Leute habe, die Bestellungen aufnehmen, also verkaufen können? Oder auf der Ausgabenseite, zum Beispiel beim Wareneinsatz und im Einkauf? Wenn ich mit der Individualgastronomie spreche, dann sind die „pain points“ oft unscharf: Ich habe Probleme, kann sie aber nicht so richtig greifen. Der BWLer kommt klassischerweise von der Zielsetzung her und entwickelt eine Strategie dazu. Was will ich verdienen? Ist mein Ziel Ertrag X, dann kann ich schauen, wo meine Lücken sind: Warum ist mein Umsatz nicht dort, wo ich ihn haben will? Weshalb sind meine Kosten höher als vorgesehen? Warum habe ich nicht mehr den Ertrag, den ich schon mal hatte? So kannst, ja musst du dir einen realistischen Plan machen: Was muss ich in welchem Bereich im Unternehmen ändern, damit ich mich neuen Gegebenheiten anpasse und meine Ziele erreiche? Was kostet mich das? So erkennst du, wo du handeln musst. Und kannst dir dann anschauen, was es gibt, und wer dir dabei helfen kann.

Jochen Stähler, Autor des 2020 erschienenen Fachbuchs „Gastro.Digital“.
Jochen Stähler, Autor des 2020 erschienenen Fachbuchs „Gastro.Digital“.

„Digitalisierung und Systematisierung bringen einen Mentalitätsbruch mit sich, weil man sich Regeln und Routinen unterzuordnen hat.“

Jochen Stähler
Digitalexperte und Autor des Buchs „Gastro.Digital“.

Und wenn ich dann ein digitales Tool einführe, wie nehme ich das Team mit? Das muss ja schließlich oft hauptsächlich mit ihnen arbeiten.

Erich Nagl: Es scheitert meist daran, dass die Mitarbeitenden nicht verstehen, wozu sie das tun sollen. Hat der Mitarbeiter hingegen für sich verstanden, dass er einen wichtigen Beitrag leistet, wenn er das Tool vernünftig nutzt und sich selbst die Arbeit damit leichter macht, wird er es auch nutzen. Doch erst einmal ist ein neues System immer ein Mehraufwand. Es bricht mit Gewohnheiten, das will der Mensch per se nicht. Veränderung, auch zum Besseren, wenn nicht sofort erkennbar, wird abgelehnt. Im Kopf der Leute etwas zu verändern, ist herausfordernder als das Implementieren des Systems an sich.

Jochen Stähler: Es muss allen im Team klar werden: Ich habe was davon. Weniger rennen, keine schimpfenden Gäste, besseres Trinkgeld, keine aufwendigen Fahrten zum Großmarkt mehr, das richtige Mise en Place… Das Team erkennt ja auch „pain points". „Das läuft doof“ ist das Mindeste, was jeder zum Ausdruck bringen kann - und das kannst du als Anknüpfungspunkt nehmen. Es ist ja oftmals ein Problem, das auch das Erreichen deines Ziels verhindert. Darum gilt es, interne Prozesse zu durchforsten: Wo gibt es Probleme, Belastungen, unklare Arbeiten oder Handgriffe mit geringer Wertschöpfung. Und: sich für diese Überlegungen im Team zusammenzusetzen, Klarheit in die Dinge zu bringen und die Prozesse gemeinsam sauber zu definieren, das ist das Wichtigste. Natürlich müssen sich am Ende auch alle daran halten, sonst funktioniert Digitalisierung nicht.

Erich Nagl (Leiter der ETL ADHOGA Zentrale Berlin)
Erich Nagl (Leiter der ETL ADHOGA Zentrale Berlin)

„Im Kopf der Leute etwas zu verändern, ist herausfordernder als das Implementieren des Systems an sich."

Erich Nagl
Leiter der ETL ADHOGA Zentrale Berlin

Erich, du hast darauf hingewiesen, dass sich das analoge Chaos am besten mit einer Verfahrensdokumentation vertreiben lasse. Was ist das und wie hilft das in diesem Kontext?

Erich Nagl: Es ist ein internes Kontrollsystem, kurz IKS, für finanzamtskonforme Kassenführung: Damit nachvollziehbar ist, dass das, was passiert, auch das ist, was gewollt ist, muss man eine Verfahrensdokumentation haben. Und was im Bereich der Kassenführung gut ist, empfiehlt sich genauso für alle anderen Datenströme im Unternehmen: Wo kommen die Daten her? Wer darf sie wie verarbeiten? Was ist der Anlass für den Prozess? Wer ist der Ausführende, der Verantwortliche, der Prozesskunde? Was ist ein gutes Ergebnis? All das kann ich vorher festlegen. Dann ist mein Unternehmen nicht mehr das unbekannte, Zufällen ausgesetzte Wesen, sondern ich gehe strukturiert vor. In gewisser Form wird so jeder Gastronom ein Systemer nach innen, weil er seine Effizienz dramatisch steigert, ohne nach außen seine Individualität aufgeben.

Jochen Stähler: Was ich dazu ergänzen möchte: Sich selbst als die Person, bei dem alle Fäden zusammen laufen, ein Stück rauszunehmen, seine Leute zu ermächtigen und Anwendungen mit Aufgaben zu betrauen, damit tun sich viele Gastronomen schwer. Sie sind keine ausgebildeten Manager, sondern Anpacker-Typen. Digitalisierung und Systematisierung bringt in diesem Sinne schon einen Mentalitätsbruch mit sich, weil man sich Regeln und Routinen unterzuordnen hat. Das muss einem bewusst sein. Belohnt wird man damit, dass man weiß, woher ein Ergebnis kommt, warum etwas nicht so ist, wie es sein sollte – und man die Möglichkeit hat, die Ertragslage besser zu steuern …

Erich Nagl: … und wenn ich erkenne, dass ich das alles nicht gut kann, ich lieber am Herd und am Gast stehen möchte, dann muss ich mir dieses Know-how an der Stelle einkaufen. Es geht nicht anders. 

Buchtipp: Gastro.Digital von Jochen Stähler
Buchtipp: Gastro.Digital von Jochen Stähler
Buchtipp
Gastro.Digital

Online-Marketing, Effizienzsteigerung, Vernetzung: Die Digitalisierung verspricht viele Chancen, insbesondere für kleine und mittlere Betriebe in der Gastronomie. Intelligente Lösungen sorgen für Zufriedenheit bei Mitarbeitenden und Gästen – und sie erhöhen den Gewinn. Gleichzeitig bringt die neue Technik aber auch zahlreiche Herausforderungen mit sich. Welche das sind und wie sie sich meistern lassen, erklärt Jochen Stähler step by step in seinem Praxisratgeber. dfv Fachbuch, 172 Seiten, ISBN 978-3-86641-341-2, 29,90 € 

Mehr Tipps von Jochen Stähler unter www.digygastro.de.  

Stichwort Kosten: Der Druck wird ja immer größer. Rohstoffe, Energie, Inflation, Personal. Also ist nun wohl der „beste“ Zeitpunkt, sich der Digitalisierung zu öffnen?

Erich Nagl: Ja, aber bitte mit Blick in die Zukunft. Wer mit Blick in den Rückspiegel unterwegs ist und glaubt, ausharren zu können, bis sich die Ertrags- und Mitarbeitersituation wieder so darstellt wie 2019, dessen Konto ist bald leer. Dahin werden wir nicht zurück finden. Gastronomen müssen sich bewegen, sonst werden sie ins Abseits bewegt.

Jochen Stähler: Wenn du Prozesse nicht automatisierst und Handgriffe, die zum Teil mangels Personal ja gar nicht mehr verfügbar sind, nicht durch Anwendungen ersetzt, wird es schwierig für dich, zukünftig profitabel zu arbeiten.

Die Gastronomie der Zukunft können Gäste im “Liebesbier Restaurant & Bar” im fränkischen Bayreuth erleben. Dort setzt das Team mehr denn je auf persönlichen Kontakt, Gastlichkeit und einen hohen Servicegedanken – und nutzt dabei die moderne Technik in Form eines Service-Roboters. Doch wie passt das zusammen? 

Wir sehen jetzt ja immer häufiger „Gastro-Roboter“, zum Teil mit putzigen Katzengesichtern, durch die Restaurants rollen … ist das eine Chance, eine Bedrohung, eine Spielerei?

Jochen Stähler: Die Angebote sind vielfältig geworden und passen zur Vielfalt in der Gastronomie. Nicht immer kommt die Robotik in Form eines Roboters daher, Bestell-Apps oder mobile Kartenlesegeräte gehören ja auch in diese Kategorie. Und am Ende des Tages kann ich dem Roboter in einem Funladen eine Discokugel aufsetzen und dann haben die Gäste sogar was zum Lachen, wenn er die Getränke serviert. In einem großen Bierkeller dagegen kann er ganz dezent zwischen dem Pass und dort, wo der Gastraum wirklich anfängt, das Essen transportieren – allein wenn der Service sich 20 Meter Laufweg spart, kann das schon viel ausmachen.

Erich Nagl: Robotik wird ein Teil des New Normal werden, Corona hat auch hier für Akzeptanz gesorgt. Wenn in einem Restaurant mehrere hundert Kilo am Wochenende nicht mehr von Menschen, sondern von Maschinen getragen werden, ist das per se keine schlechte Entwicklung. Und wenn der Serviceroboter irgendwann den Nachtisch nicht mehr nur um die Ecke bringt, sondern die Gäste auch dazu animiert, diesen Nachtisch zu bestellen, und mit der Spülmaschine kooperiert und das Geschirr selbst einräumt … dann haben wir ein ganzes Stück des Weges geschafft. Es ist keine Bedrohung, sondern eine Koexistenz. Solch ein Roboter kostet heute ab 800, 900 Euro Leasing im Monat und er wird nicht krank, geht nicht in Urlaub … es ist eine neue Spielvariante und zeigt einmal mehr, wie flexibel Gastronomie sein kann. Die Gastgeber-Rolle ist nie ersetzbar.

Ein Kommentar von Benjamin Brouër, stv. Chefredakteur fizzz, zum Thema Vor- und Nachteile von Robotern in der Gastronomie und über den unersetzlichen menschlichen Faktor.

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

Aperitivo-Konzepte

Die Aperitif-Kultur ist auf dem Vormarsch – wir zeigen brandaktuelle Gastro-Beispiele.

Le Big TamTam

Der neue Hamburger Food-Markt setzt Maßstäbe − auch bei der Zusammenarbeit der Betreiber.