Sommelier der Henne Weinbar: Fabrice Thumm
Sommelier der Henne Weinbar: Fabrice Thumm

Regel Nummer eins: Keine Regeln

Seit mittlerweile fünf Jahren bereichert die Henne Weinbar die kulinarische Landschaft der Rheinmetropole Köln. Die moderne Weinbar mitten im Stadtzentrum hat über diesen Zeitraum nicht nur ihre eigenen Standards weiter­entwickelt, sondern still Maßstäbe für eine moderne Gastronomie gesetzt.
Text: Sebastian Bordthäuser

Die Henne Weinbar begann als urbanes Weinbar-Konzept und nahm mit dem Leitmotiv „Sharing is caring“ den inzwischen weit verbreiteten Gedanken des Teller-Teilens auf. Hendrik Olfen, genannt Henne, ist dabei für die Küche verantwortlich, während sich Fabrice Thumm um die vinophilen Geschicke des Betriebes kümmert. Zusammen betreiben die Beiden den Laden so, wie sie es gerne haben, wenn sie privat ausgehen. 

Zu Beginn der Henne sollte das Konzept kleiner Teller das Korsett der klassischen Menüfolge der Top-Gastronomie etwas lockerer schnüren, mehr Dynamik in die Speisenfolge und damit in den Abend bringen. Mehr Leichtigkeit und Freude am Tisch waren das Ziel, das sich nicht allein im geselligen Miteinander erschöpfte, sondern sich vor allem qualitativ auf dem Teller niederschlug und schnell für überregionale Fans der Henne sorgte. Hendrik Olfen: „Früher stand in einem Pressetext das Sharing-Motto, heute arbeiten wir eigentlich ohne Regeln. Auch die Weinkarte ist ohne Regeln, alles ist erlaubt.“ Aus diesem Konzept ergibt sich folglich eine andere Art des Weinservice, da der klassische Pairing-Gedanke bei einem Tisch voller Teller samt unterschiedlicher Esser völlig anderen Regeln gehorcht, als bei einem festen Menü. „Beim Pairing gilt: high risk, high reward. Das kann aber auch nach hinten losgehen. Ich habe eine ganz andere Freiheit, als wenn ich durch ein fixes Küchenkonzept gebunden wäre“, so Fabrice. „Durch die Vielzahl der Gerichte steht vielmehr im Vordergrund, worauf die Gäste Lust haben – losgelöst vom Essen.“

Zurückhaltung prägt seinen Stil, gepaart mit entsprechender Aufmerksamkeit und Kommunikation auf Augenhöhe. Dabei agiert er stets behutsam, auch wenn die Gäste in Allgemeinplätze verfallen: Denn natürlich hat die Henne mit 86 Sitzplätzen nicht allein weinverrückte Gäste auf der Suche nach der letzten Flasche d’Auvenay, sondern auch ganz normales Publikum, das schlicht ein Glas Wein zum Essen möchte. Auch diese Menschen werden ebenso gut bedient wie diejenigen, die ihre Monatsmiete bei einem Teller Schinken in gereifte Burgunder versetzen.

„In der Regel ist es leicht, im Gespräch herauszufinden, worauf der Gast Lust hat. Generelle Aussagen wie ‚Ich trinke keinen Riesling‘ sind in ihrer umfassenden Gesamtheit natürlich Unsinn, aber da muss ich auch nicht missionieren.“ In solchen Situationen nimmt sich Fabrice gelassen zurück: „Ich nehme unsere Berufsbezeichnung dann gern beim Wort: Wein-Kellner.“

Aus dem Spannungsbogen des legeren Pairings und dem Anspruch, für jeden Gast einen maßgeschneiderten Wein zu finden, könnte sich eine gewisse Beliebigkeit ableiten, die Fabrice ganz klar zu umschiffen weiß. „Ich gebe gerne zwei, drei Optionen, sonst verkauft man am Ende eben nur Grauburgunder. Das Essen als solches ist zwar auch wichtig, aber die Präferenz des Gastes zu treffen, das sorgt nochmals für eine ganz andere Zufriedenheit oder Begeisterung.“ Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass er auch für weinaffines Klientel die richtige Munition bereithält. Persönlich favorisiert er Weine, die nicht zwingend High-Risk-Potential haben, aber dennoch herausfordernd sein können. „Von hundert Gästen spricht das vielleicht 10 bis 20 Leute an, mit dem Rest muss ich aber auch Geld verdienen.“

Leger und offen, aber nie beliebig: Fabrice Thumm findet passende Flaschen
Leger und offen, aber nie beliebig: Fabrice Thumm findet passende Flaschen

Die Weinkarte der Henne ist gegliedert in drei Wein-Typen: 1. Classic 2. Freakshow 3. Icon. Classic spannt dabei den Bogen von leichten bis komplexen Weinen mit erkennbarer Charakteristik. Die Freakshow umfasst besondere Weine von besonderen Typen, die eben das ein oder andere anders machen, und Icons summiert all die Kreszenzen, die man schon immer mal getrunken haben wollte. Beim Champagner reicht die Classic-Abteilung beispielsweise von Jacquesson über Lassaigne zu Marguet, die Freakshow holt dann Vouette & Sorbet und De Bichery mit ins Boot. Die Icons versammeln Grand Crus und Millésimes von Egly-Ouriet, Emanuel Brochet oder Georges Laval. Preislich ist der Bogen von rund 50 bis zu 600 Euro weit gespannt und erlaubt demokratischen Schaumweingenuss für alle. Ein Thema, das Fabrice besonders am Herzen liegt, deshalb nehmen die Schaumweine der Welt einen entsprechenden Platz ein. Von Pét-Nat über Winzersekt bis zum Jahrgangs-Champagner reicht die Auswahl – ein Faible, das sich kongenial mit Olfens Vorliebe für Fett verbindet: In der Henne sind immer Kroketten auf der Karte, die mit einer korrespondierenden Emulsion aka Mayo gereicht werden – ein Fest für die Freunde des Schaumweines.

Bei unserem Besuch waren es Kroketten vom ­Obatzten mit süß-saurem Gurken-Relish. Für die konservativeren Connaisseurs stehen neben Kroketten immer auch Austern auf der Karte. Auch vegetarische Gerichte haben einen festen Platz auf der Speisekarte. Die Rote Bete vom Holzkohlegrill mit Shiitake, Nüssen und Liebstöckel-Öl oder die pikanten Rauchpaprika-Graupen mit Gurkenschaum und Dill lassen nicht nur die Herzen der Vegetarier höher schlagen, sondern bieten Steilvorlagen für raffiniertes Pairing.

Die Weinkarte umfasst rund 250 Positionen, Fabrice selbst bezeichnet sie als wabernd, in steter Transformation, denn dank der drei Weintypen ist nichts in Stein gemeißelt. Wilde Mischgetränke wie Hugo oder Aperol-Spritz sucht man vergebens, einzig eine Handvoll Schnäpse ergänzen das strikt vinophile Angebot der Henne. Mit gut 40 Prozent bildet die Weinkarte immer nur einen Teil des Angebots ab, die restlichen 60 Prozent werden eingekellert. Ein Luxus, den man sich leisten kann und will. So werden einem nicht direkt nach der Auslieferung sämtliche Burgunder weggebechert und man hat ganz anderen Spielraum, was die Reife der Weine anbelangt. Auch preislich ist es bei den derzeitigen Marktentwicklungen interessant, selbst einzukellern was geht. „Das erlaubt uns, die Weine nach einigen Jahren zu vergleichsweise fairen Preisen anzubieten, weil wir entsprechend günstig kaufen konnten.“

 

Ein Blick in die Zukunft, der sich auf Dauer auszahlen sollte. Dazu Hendrik Olfen: „Wenn wir uns fragen, was unsere Lieblingsläden sind, dann sind es doch immer die, die über Jahre hinweg ein konstantes Qualitätsniveau nicht nur liefern, sondern auch halten. In der Küche wie im Service.“ Das offene Konzept der Karte ist elastisch dahingehend, dass man nicht alles abbilden muss, es erlaubt darüber hinaus, in jedes denkbare neue Thema einzutauchen. „Derzeit ist es nach den hervorragenden Weinen des 2021er- und 2022er-Jahrgangs das Thema Elsass. Davor waren es die USA. Ich habe Bücher gelesen, Filme geschaut und mich mit meinen Händlern und Kollegen ausgetauscht, bin abgetaucht ins Thema Kalifornien. Neben Ridge gab’s dann viel Matthiasson oder Arnot-Roberts usw. Oft hat man keine Berührungspunkte, doch das Konzept bietet einem den entsprechenden Raum, das auszufüllen und direkt am Gast umzusetzen.“

Immer auf der Karte: Austern
Immer auf der Karte: Austern
Die Rote Bete vom Holzkohlegrill mit Shiitake, Nüssen und Liebstöckel-Öl
Die Rote Bete vom Holzkohlegrill mit Shiitake, Nüssen und Liebstöckel-Öl
Rauchpaprika-Graupen mit Gurkenschaum und Dill
Rauchpaprika-Graupen mit Gurkenschaum und Dill
Kroketten vom ­Obatzten mit süß-saurem Gurken-Relish
Kroketten vom ­Obatzten mit süß-saurem Gurken-Relish

Offene Kommunikation auch beim Finanziellen spielt eine wichtige Rolle. „Ich bin da ganz direkt und frage nach dem Budget: ‚Was wollt ihr ausgeben?‘“, so Fabrice. „Manchmal verwirrt das die Leute, unterm Strich ist es aber eine Erleichterung – für alle.“ Unangenehme Überraschungen werden so vermieden und es erlaubt eine exakte Kontrolle des Abverkaufs. „Man kann sagen, dass die Leute bis ca. 70 Euro selbstständig bestellen. Alle Flaschen darüber werden in der Regel zusammen mit mir ausgewählt.“


Die Topseller in der Henne Weinbar

Die vier meistverkauften Weine des letzten Monats

2021 Mazza Pink
Tenuta di Valgiano; 51 Euro

2021 Weissburgunder
Sattlerhof; 43 Euro

2010 Riesling Nonnengarten
Clemens Busch; 61 Euro

2020 Grüner Veltliner Vom Löss
Alwin Jurtschitsch; 42 Euro


Schlagworte

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote