Sommeliere Alexandra Rehberger und Küchenchef Andreas Rehberger
Sommeliere Alexandra Rehberger und Küchenchef Andreas Rehberger

Erst raufkommen, dann runterkommen

Die Geschichte von Schloss Hohenstein nahe Coburg reicht bis ins frühe 14. Jahrhundert zurück. Seit zwei Jahren weht in den alten Mauern ein völlig neuer gastronomischer Wind – allen Widrigkeiten zum Trotz.
Text: Christoph Nicklas; Fotos: Leopold Fiala

Aus welcher Himmelsrichtung man auch anreist: Wer hier hoch will, muss sich erst über holprige Feldwege und später auf schmalen Serpentinen durch den Wald navigieren. Die letzten Meter hinauf nach Hohenstein sind abenteuerlich, urwüchsig – und vor allem entschleunigend. Wenn man dann den Gipfel des Sandstein-Felsrückens erreicht und im Schloss das Pächter-Ehepaar Alexandra und Andreas Rehberger trifft, merkt man ihnen diese entschleunigte Ruhe sofort an.

Beim Blick zurück auf die Rahmenbedingungen der letzten zwei Jahre ist das alles andere als selbstverständlich, denn die Rehbergers unterschrieben den Pachtvertrag für das Schlosshotel im oberfränkischen Ahorn zu einem denkbar heiklen Zeitpunkt: eine Woche vor dem ersten Lockdown. „Das war natürlich ein Horrorszenario. Aber für Andreas und mich war auch klar: Wenn wir uns das jetzt nicht trauen, werden wir es wahrscheinlich unser Leben lang bereuen“, erinnert sich Alexandra Rehberger beim Gespräch im behutsam modernisierten, von Natursteinoptik geprägten Gastraum.

Zeitreise: Auf Hohenstein sind Historie und Natur greif- und schmeckbar
Zeitreise: Auf Hohenstein sind Historie und Natur greif- und schmeckbar

Fast zehn Jahre hatte das österreichische Duo den Wunsch nach der Selbstständigkeit gehegt, sich ab 2018 Objekte im Elsaß, der Ortenau und am Bayerischen Bodensee angeschaut, jedoch ohne echtes Wow-Erlebnis. Durch ein Inserat der Jeunes Restaurateurs entdeckten die beiden Hohenstein, fuhren im Herbst 2019 hin – und plötzlich passte alles. „Die sanft hügelige Gegend, wunderschöne Lichtverhältnisse, eine fast mediterrane Atmosphäre, wir waren direkt schockverliebt“, gerät Alexandra ins Schwärmen. Für sie bedeutet der Neustart nicht nur eine Premiere als selbstständige Gastgeberin, sondern auch eine Rückkehr in die Sommellerie. Seit 2015 war die gebürtige Schärdingerin beim Berliner Händler Viniculture aktiv, zuvor arbeitete sie als Sommelière bei Paco Pérez in Girona und Berlin, wo ihr Ehemann Andreas zeitgleich den Posten des Küchenchefs innehatte. Ihre gemeinsame Geschichte begann allerdings viel früher, denn bereits 2006 lernten sie sich bei Heinz Hanner kennen. Mit an Bord im Schloss ist eine langjährige Begleiterin: Sommelière Hannah Müller, die unter anderem im Reinstoff tätig war, und die Rehbergers sind seit ihrer Zeit in Berlin befreundet und in puncto Produkt- und Wein-Philosophie voll auf einer Wellenlänge.

Alexandra Rehberger
Alexandra Rehberger

„Ich will bei einer überschaubaren Anzahl an Gängen mit der Weinbegleitung nicht um jeden Preis auf Kontraste setzen.“

Alexandra Rehberger

Alexandra ausgebildete Köchin und ehemalige Chef-Sommelière, Andreas ausgebildeter Koch und ehemaliger Restaurantleiter – dennoch gibt es kein Kompetenzgerangel, sondern klar aufgeteilte Positionen und gegenseitiges Inspirieren. „Da wir beide ursprünglich von der kochenden Seite stammen, heißt das beim Pairing auf jeden Fall, dass die Speisen zuerst feststehen und dann die Weine folgen. Es gibt aber generell auch für die Gerichte sehr viel kreativen Input von Alexandra, ich bin dagegen eher ein Handwerker“, skizziert Andreas, als er aus der Küche kommt und sich dazusetzt. Gerade laufen die ersten Tage mit der neuen Speisekarte, die in der Regel alle drei bis vier Wochen wechselt.

Die Küche

Bei der Frage nach der Küchenstilistik des Restaurants Schloss Hohenstein schauen sich Alexandra und Andreas an und sagen unisono: „Es geht um den Luxus der Einfachheit.“ Andreas konkretisiert: „Wir legen ein großes Augenmerk auf Saisonalität und hochwertige Grundprodukte jenseits der klassischen Luxuskategorien Foie Gras, Kaviar & Co. – auch eine fantastische Karotte kann ein Luxusprodukt sein.“ Das Team sammelt viele Wildkräuter im Garten selbst (z. B. Giersch und wilden Kerbel), auch Streuobst gibt es in den umliegenden Parzellen.

Andreas Rehberger
Andreas Rehberger

„Die Erwartungshaltung, dass überwiegend klassische Luxusprodukte wie Kaviar oder Foie Gras auf den Tisch kommen, geht bei den Gästen erfreulicherweise zurück.“

Andreas Rehberger

Der starke Bezug zur Region zeigt sich schon, bevor man die Karte durchblättert, denn auf der Titelseite nennen die Rehbergers alle Partner-Lieferanten namentlich. Vom Fischzüchter und Fleischer über den Bäcker und die Ölmühle bis zum nachhaltigen Tropenhaus. Alle befinden sich in der fränkischen Umgebung. „Unsere österreichische Herkunft soll sich ebenfalls widerspiegeln, die Küchen aus Böhmen und dem Alpe-Adria-Raum dienen hier als Blaupause. Die Gerichte sollen Feinheit haben, dürfen aber gerne Wohlfühlkomponenten wie Butter und Sahne beinhalten“, schildert Andreas. Geradlinigkeit, keine Dekonstruktionen, nicht zu viele Aromenüberlagerungen, kein Fermentieren, Verkohlen oder Einlegen, nur weil es hip ist. Für Alexandras und Hannahs Wein-Part lässt die klare Linie der Küche viel Entfaltungsspielraum.

Kopfsalat, junge Erbsen, Minze, geräucherter Rahm; 2014 Riesling Kalkstein Library Selection, Weingut Pfeffingen, Pfalz
Kopfsalat, junge Erbsen, Minze, geräucherter Rahm; 2014 Riesling Kalkstein Library Selection, Weingut Pfeffingen, Pfalz
Saibling, Einkorn, Radieschen, Bärlauch; 2020 Soleyane  Camille & Mathieu Apffel, Savoyen
Saibling, Einkorn, Radieschen, Bärlauch; 2020 Soleyane Camille & Mathieu Apffel, Savoyen
Poltinger Lammkeule, Kartoffelroulade, Bärlauch, Mönchsbart; 2014 Gigondas, Domaine d‘Ouréa
Poltinger Lammkeule, Kartoffelroulade, Bärlauch, Mönchsbart; 2014 Gigondas, Domaine d‘Ouréa
Sanddorn, Süßholz, karamellisierte weiße Schokolade; 2020 Morstein Scheurebe Auslese, Weingut Seehof, Rheinhessen
Sanddorn, Süßholz, karamellisierte weiße Schokolade; 2020 Morstein Scheurebe Auslese, Weingut Seehof, Rheinhessen

Die Weine 

Eine der ersten guten Nachrichten in der schwierigen Anfangszeit ließ die beiden Sommelières jubeln, denn anders als in vielen Weinbar-Locations in Großstädten gibt es auf Schloss Hohenstein eines: Platz, viel Platz sogar, samt einem großen Natursandsteinkeller. Beste Voraussetzungen für den Aufbau einer Karte mit Jahrgangstiefe, und genau das strebt Alexandra an. Der Mix aus fränkischen und österreichischen Einflüssen macht sich auch hier bemerkbar und liegt fernab ausgetretener Pfade: Alternatives, etwa Stefan Vetter und Matthias Warnung, Geheimtipps à la Laura Seufert und Hannes Schuster, aber auch keine Angst vor arrivierten Namen wie Weingut am Stein oder den Wachau-Größen Hirtzberger, Knoll und F.X. Pichler. Frankreich und Spanien, zwei Herzensregionen von Alexandra, sind ähnlich abwechslungsreich vertreten. Das Sortiment lässt ihre Viniculture-Zeit durchscheinen, bleibt aber bunt und spannend. „Dinge, die ich gerne mag – und Leute, die ich gerne mag“, fasst Alexandra ihre Wein-Agenda zusammen. Aktuell liegt der Kartenumfang bei rund 200 Positionen, mit behutsam steigender Tendenz.

Die Pairings  

Das Hohenstein-Gespann hält gleich fest: „Wir sind offen beim Thema Pairing und sprechen in der Karte bewusst nicht von der Weinbegleitung, sondern von einer Getränkebegleitung.“ So können beispielsweise auch Cidre oder handwerkliche Biere aus der Region zum Einsatz kommen. Nichtsdestotrotz konzentrierte sich das Pairing bei unserem Besuch ganz auf Vergorenes aus Trauben. Unter dem Titel „Hohensteinschmaus“ gibt es das Menü wahlweise in vier oder fünf Gängen, die flüssige Begleitung dazu ist mit 35 respektive 43 Euro sehr fair kalkuliert.

Zum Start mit kurz geschmorten Kopfsalatherzen, jungen Erbsen, Minze und geräuchertem Rahm wird ein gereifter Gutswein aus der Pfalz serviert. Der 2014er Riesling vom Weingut Pfeffingen hat eine expressive, offene Art, schmeckt aber alles andere als gealtert. „Ich brauche hier viel Aroma und Spiel im Glas, aber nichts Duftiges oder Überbordendes. Auch schotige Sachen könnten funktionieren, vielleicht sogar Xarel.lo – der sollte dann aber ebenfalls gereift sein“, findet Alexandra. Die beginnende Reife agiert bei diesem Pairing tatsächlich als Bindeglied zwischen dem „grünen“ Aromenbild von knackig-schotigen Erbsen plus Minze und dem wärmeren, leicht röstig-rauchigen Charakter von Rahm und Salat.

Obwohl sie optisch einen denkbar harmlosen Eindruck macht, ist die Einkorncreme beim nächsten Gang das aromatisch bestimmende Element. Das Duft- und Geschmacksbild auf dem Teller wirkt dabei sommerlich, sehr hell, leicht erdig (auch dank der Radieschen) und lässt stellenweise an ein warmes Getreidefeld denken. „Es gibt nicht viele Weine, bei denen diese getreidigen Komponenten im Vordergrund stehen, die dann aber trotzdem genug Frische mitbringen“, schränkt die Sommelière ein. Ihre Wahl, ein reinsortiger Altesse von Mathieu Apffel, schafft diesen Spagat. Mit seinem hellen, an Mandeln, Sesam, Hafer und Heu erinnernden Aroma und dezentem Gerbstoffgrip dockt er an die getreidig-erdige Art des Gerichts an, hebt aber durch seine für Savoyen-Weine so typische kristalline Frische, Mineralität und zitrisch-apfelige Noten (insbesondere Yuzu und Granny Smith) auch den puristischen, zarten Saibling elegant hervor.

Es folgt eine durch und durch klassische, mediterran anmutende Wein-Speise-Kombination: Lammkeule, eine Kartoffel-Bärlauch-Rolle und Mönchsbart in Begleitung eines Gigondas-Blends. „Lamm und Südfrankreich geht immer, man muss das Rad an der Stelle nicht neu erfinden. Wichtig ist mir aber, dass der Wein nicht zu opulent und alkoholisch schmeckt, außerdem steht kein neues Holz im Fokus.“ Der 2014er Gigondas von der Domaine d‘Ouréa reifte ausschließlich im Beton, man merkt ihm seine 14,5 %vol. kaum an, und dank der Konzentration auf Grenache (90%) mit Syrah bleibt es trotz mediterraner Würze fruchtbetont und elegant. Selbst die sensorische Herausforderung der salzig-säuerlichen, an Kapern erinnernden ­Löwenzahnknospen (eingelegt, bevor sich die gelbe Blüte ausbildet), die auf dem Mönchsbart verteilt liegen, meistert der Wein mühelos. „Grenache ist eine meiner Lieblingsrebsorten und enorm vielseitig. Wenn Gäste hier zum Beispiel mal nach Primitivo fragen, empfehle ich ihn gerne“, erzählt Alexandra.

Desserts sind eine Lieblingsdisziplin von Andreas, in unserem Menü drehte sich der süße Abschluss um Sanddorn und Süßholz: Die Sanddornfrucht trifft hier auf karamellisierte weiße Schokolade, darüber eine getrocknete Meringue mit Süßholzpulver und unten Süßholzcreme auf einem Sanddornspiegel. Im Gesamtbild ein angenehmes Spiel aus dezenter Süße, herb-säuerlichem Gegenpol und erdig-lakritzigen Nuancen. „Hier steht ein orangig-gelbfruchtiger Geschmack im Fokus, der aber nicht zu süß ist. Da kann man dann auf jeden Fall mit Restsüßem arbeiten und es darf auch aromatisch sein“, sind sich Alexandra und Hannah einig und greifen zu einer Scheurebe aus dem Westhofener Morstein von Seehof-Weinmacher Florian Fauth. In Kombination mit den Komponenten auf dem Teller gewinnt der noch jung und fruchtgeprägt wirkende 2020er an Komplexität, schmeckt eine Spur trockener und seriöser, während die satte orange-gelbe Fruchtigkeit des Desserts noch etwas mehr betont wird und sich so eine Win-win-Situation ergibt. 

Von Vorspeise bis Dessert sind es durchweg harmonische, schlüssige Pairings, die abholen, statt herauszufordern, und die klar den Wohlfühlaspekt von Küche und Location unterstreichen. „Wir wollen bei einer überschaubaren Menge an Gängen mit dem Wein- bzw. Getränkepart nicht um jeden Preis auf Kontraste setzen. Man muss realistisch bleiben und sollte den Gast nicht überstrapazieren. Das fängt schon im Apéritif-Kontext an. Pét Nat funktioniert beim Großstadtpublikum in Weinbars einfach besser als hier auf dem Land, ein Starter sollte für unsere Gäste charming und einladend sein“, erklären die beiden Sommelières, als wir nach dem Service gemeinsam bei einer Flasche von Richard Leroy entspannen – der Chenin ist ein Wohlfühl-Schlussakkord, der beweist, dass im Schlosshotel Hohenstein dennoch auch Wein-Nerds glücklich werden.

 

Erstveröffentlicht Mai 2022

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote