In der Münchner Loretta Bar nimmt ein gewisser Halbbitterlikör ganz viel Raum ein: der Amaro. Rund 400 verschiedene Amari drängen sich dort zwischen relativ wenigen hochprozentigen Kollegen wie Gin, Rum oder Whiksy in den Vordergrund der Backbar. Tendenz: steigend. In einem Gespräch erzählt Kristijan Krolo, der die Bar mit Florian Rath gemeinsam betreibt, was sich mit dem italienischen Kräuterlikör alles anstellen lässt.
Interview: Mia Bavandi
Fizzz: Die Loretta Bar gibt es schon seit 16 Jahren. Wie darf sich jemand, der sie noch nicht kennt, sie vorstellen? Was ist eure Philosophie, euer Konzept?
Kristijan Krolo: Die Loretta Bar ist locker und familiär und wird von vielen Stammgästen besucht. Es gibt gute, qualitativ hochwertige Drinks ohne Schnick-Schnack und in lässig urbaner Atmosphäre.
Fizzz: Eure Bar ist auch für eine eher extravagante Trink-Ausrichtung bekannt, fernab davon zu sein, Getränke-Hypes nachzujagen, sondern für ihre große Auswahl an Amari. Wie kam es dazu?
Kristijan Krolo: Die ganze Welt hat sich auf Gin, Whiskey oder auch Rum fokussiert. Da ich Kräuterliköre und Kräuterbitter und das Bittere im Geschmack schon immer gemocht hatte, lag es auf der Hand. In der Loretta Bar haben wir mit 20 Amari angefangen. Mittlerweile ist unsere Sammlung auf 400 inklusive der rund 150 Vintage-Amari angewachsen, von denen die Hälfte nicht mehr produziert wird. Unser Ziel ist es aber nicht, die größte Auswahl zu haben, sondern jene, die die Vielfalt der Amari widerspiegelt.


Fizzz: Was darf man denn genau unter einem Amaro verstehen?
Kristjan Krolo: Das Synonym für Amaro ist Bitter. Gemeint ist damit alles mit einem bitteren Abgang. Es kann ein Amaro auf Wein- oder Spirituosenbasis, bitter oder halbbitter sein. Was die Menschen am meisten irritiert, ist eigentlich nur der Name, der eher nach Italien weist. In Deutschland oder Österreich ist damit ein Kräuterlikör oder Kräuterbitter gemeint, in Frankreich der Amer, in Spanisch sprechenden Ländern der Amargo. Für viele ist auch ein Roter Bitter ein Amaro, aber das würde länger dauern, an dieser Stelle ins Detail zu gehen. Die meisten Konsumenten verbinden mit Amaro etwas Dunkles. Das kommt daher, dass die Hersteller sich damals meist durch Zugabe von Zuckercouleur voneinander unterscheiden und eine bessere Visibilität erreichen wollten.

"Amaro ist der Ursprung aller Spirituosen! Bereits Jahrhunderte bevor es Gin & Co gegeben hat, war die Mazeration die Königsdisziplin der Alkoholherstellung."
Fizzz: Was macht Amaro so besonders, das er in eurem Getränke-Portfolio zu einem Protagonisten wird?
Kristijan Krolo: Stellt euch vor, die ganze Welt würde schlichtweg nur Tee trinken, ohne Schwarz- oder Grüntee zu kennen. Der Ursprung aller Spirituosen ist der Amaro, den es bereits jahrhundertelang vor Gin & Co gegeben hat. Vor der Destillation gab es die Mazeration als eine der Königsdisziplinen. Es ist die geschmackliche Vielfalt, die Amaro so unglaublich interessant werden lässt. Angefangen bei Enziannoten und Minze bis hin zu Pilzgeschmäckern, Salbei oder Löwenzahn.
Fizzz: Hängt das gesteigerte Interesse an Amari auch ein wenig mit der gestiegenen Spritz- und Aperitifkultur zusammen?
Kristijan Krolo: Das trifft zu einem geringen Prozentsatz vielleicht zu, weil einige Hersteller auch auf den Aperitif-Zug aufgesprungen sind – mal besser, mal schlechter. Um den Zugang zum Mixen zu erleichtern, bieten die meisten Amaro-Hersteller Rezepte mit Tonic und Prosecco an. Das ist sehr schade, wenn man bedenkt, dass auch Gin-, Portwein- oder Wermuthersteller vermehrt Tonic-Mixturen als Vorschlag bringen. Denn auch mit diesen Spirituosen könnte man mehr machen. So sollte man die geschmackliche Vielfalt eines Amaro nicht darstellen. Einige Produzenten haben aber ihr Portfolio um Amari erweitert. Auch in Deutschland fingen Hersteller an, die Flaschenetiketten mit Amaro zu kennzeichnen anstelle von Kräuterlikör. In den letzten zwei Jahren war Amaro auch in den Fachmedien kaum im Visier, aber man merkt, dass sich das gerade ändert. Das finde ich super!


Fizzz: Wie steht es um Amaros Mixabilität, und wie setzt ihr sie hinter eurem Tresen ein?
Kristijan Krolo: Fast jede Note, die man für einen Drink braucht oder erreichen will, findet man in der Vielfalt der Amari. Man kann zum Beispiel sehr viele Drinks ohne Zucker zubereiten, stattdessen mit einem Amaro verfeinern und anstelle von Minze mit einem Fernet arbeiten. Die Verwendung von Amari mit ihren unterschiedlichen Aromen und Geschmäckern bietet ein großes Spektrum, eine Bandbreite an Cocktail-Möglichkeiten. Zum Beispiel lässt sich auch ein Toronto-Cocktail mit Amari auf ganz verschiedene Arten zubereiten. Ich ersetze darin Zucker und Angostura-Bitter durch einen Amaro, der Komplexität mit sich bringt und mit seiner Süße auch zum Geschmacksträger wird.
Fizzz: Ist denn die Spirituose an sich oder ihr vielseitiger Einsatz schon hinlänglich bekannt, sowohl unter Gästen als auch der Barschmiede?
Kristijan Krolo: In guten Bars ist das auf alle Fälle so, und dem größten Teil unserer Gäste sind Amari auch bekannt. Viele Marken aber sind nur den Weg des Purtrinkens gegangen und haben forciert, den Amaro auf Eis mit Zitrone zu servieren. Somit kam der Endkonsument nie auf die Idee, einmal einen Amaro Sour an Stelle eines Whisky Sour zu trinken.
Fizzz: Ist München oder vielleicht gar der deutschsprachige Raum schon mehr auf den halb- oder bitteren Geschmack gekommen?
Kristijan Krolo: Ich denke schon, dass ich den einen oder anderen Gast mit Amaro erreichen konnte, und ich denke, dass das auch in anderen Städten so sein wird. Vor zehn Jahren hatte fast keine Bar mehr als die klassischen zwei bis drei Amaro-Marken hinter der Theke. Heute sind es zumindest in den meisten und gehobenen Bars an die fünf bis zehn und mehr verschiedene Produkte.
Fizzz: Sind Amari, wie wir sie bislang kennen, nicht eher südeuropäischen, vorwiegend italienischen Gefilden in Form von Digestifs oder Spritz-Varianten zuzuordnen?
Kristijan Krolo: Deutschland ist eines der Länder mit der größten Anzahl an Kräuterlikören. Darunter befindet sich eine Vielzahl mit einer historisch langen Tradition. In Italien gibt es zwar mehr, aber dass die italienischen Bitter bekannter sind, ist auch einer besseren Vermarktung und Präsentation geschuldet.
"Umami-Drink" statt Daiquiri
Fizzz: Könntest du uns einen Drink oder gerne auch mehrere beispielhaft schmackhaft machen, skizzieren?
Kristijan Krolo: In der Loretta Bar zählt der "Umami-Drink" zu den beliebtesten. Seine Basis ist ein Amaro Nonino, ein sehr eleganter, leicht bitterer und farblich neutraler Typus mit leichten Vanillenoten. Dazu kommt ein Mount Gay Rum mit Estragon-Infusion, ein bisschen Limette und Zucker. Fertig, schmeckt wie ein Daiquiri mit Estragon-Geschmack. Oder aber ich bereite einen "Amaro, Amaro, Amaro" mit drei verschiedenen Amari zu, den ich aufgrund unseres Repertoires in vielfacher Form abwandeln kann. Ein Beispiel für das Schöne an Amari, die in dieser Kombination einen komplexen Drink ergeben.
Loretta Bar
Müllerstr. 50
80469 München
www.loretta-bar.de
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