Ein unbekömmliches Zuviel an Ambivalenz kann man den Wienerinnen und Wienern nicht nachsagen, wenn es um die Einschätzung der Qualitäten ihrer Heimatstadt geht. Sie lieben, ja vergöttern nachgerade ihren Wohnort, sie sind überzeugt davon, es handle sich um die beste und schönste Stadt der Welt. Der Durst der Wiener – und ihrer Gäste – nach Wein, der nicht in der näheren Umgebung gekeltert wird, führte zum Entstehen von Lokalen, die sich je nach Konzept an Liebhaber klassischer Weine wenden, oder mit Vin Naturels aus Slowenien, der Südsteiermark oder dem Jura um Gäste werben.
Capsule
Natürlich kann der Gast in dem abseits des Innenstadttrubels am tiefen Graben gelegenen Capsule auch Dinge wie Krug oder Dom Pérignon trinken. Aber was soll das bringen, fragt sich der Gast angesichts der gewaltigen Diversität des Angebots an feinen und oftmals ebenfalls nicht ganz billigen Winzerchampagnern, die den beiden Prestigesprudeln preislich oft nur wenig nachstehen. Um das Angebot an gut sortierten Champagne-Bars dürfen sich die Wiener sogar von den Bewohnern von Paris oder Reims beneiden lassen. Die Gäste von Fritz Blauert im Capsule dürfen sich darüber freuen, dass die Bar am Tag genauso funktioniert wie kurz vor Mitternacht. Es bleibt also genügend Zeit, sich in Ruhe durchs Sortiment zu kosten. Das kleine Unternehmen betreibt selbst einen Handel, Überraschungen sind daher garantiert. Zum Champagner soll man auch etwas essen, deshalb gibt es Beef Tatar, Foie Gras und selbstverständlich auch Kaviar, alles in einer kleinen Küche zu anständigem Essen verarbeitet. Sehr schön und wohltuend der Toast mit Trüffelschinken und Käse, wobei man sich beim Kauen fragt: Muss es wirklich Trüffel sein, das Produkt aus dem Labor und nicht des Eichenwaldes?
Rundbar
Die Hemdsärmel hoch gekrempelt, sodass jeder die farbenprächtigen Tatoos bestaunen kann, den Hipster-Bart mit Bedacht gestriegelt. Anzugträger und Frauen mit weißer Bluse und Rock haben in dieser konsequent dem Naturwein verschriebenen Bar nicht Lokalverbot, passen aber nicht ins Gesamtbild aus Shabby Chic und comicartigem Design. Hier hat der Weinskandal-Chef Moritz Herzog einen Volltreffer gelandet. Das Sortiment der Rundbar reicht von Séléné bis zu Sepp Muster. Hier lernt der wissbegierige Laie, dass die Themen Naturwein, Orange Wine und Biodynamie genau genommen nur eines gemeinsam haben: Winzer, die ihr Ding machen und Ausrutscher einkalkulieren. Die aber jedes Jahr weniger werden. Man trinke sich Wissen an. In der Bar, die nicht ganz zufällig ein bisschen an die Bar Brutal in Barcelona erinnert, gibt es wie Tapas servierte Stärkungen zur flüssigen Nahrung. Man probiere die süchtigmachenden Croquetas de Jamon, das Langos (warmes, knusprig gebackenes Fladenbrot) mit Bergkäse und Schnittlauch oder eine erfrischende Kombination aus Fenchel, Karotten und Holunder.
Mast
Man würde sich lächerlich machen, wenn man selbst in einer unvollständigen Auflistung von Weinlokalen in Wien das MAST nicht erwähnte. Die beiden Top-Sommeliers Matthias Pitra und Steve Breitzke erfüllten sich hier vor einigen Jahren den Traum von der Selbständigkeit. Auch den Wienern erfüllten sie einen Traum, den Traum vom fast perfekten Weinrestaurant. Also einem Lokal, in dem der Wein im Mittelpunkt steht, wo aber so gut gekocht wird, dass selbst Alkoholverweigerer glücklich das Lokal verlassen. Statt Antipasti oder Gänseleberterrine servieren sie hier zum Wein eine erwachsene Speisenauswahl, sehr gemüsefreundlich und ein bisschen nordisch, Lammbauch mit genialischer Würze oder Apfel mit Kohlrabi und Burrata. Die Weinkarte ist nun wirklich eine reine Freude. Präzise und konsequent, modern, aber auf Mode grundsätzlich verzichtend. Was Pitra und Breitzke für gut befunden haben, dem kann man sich ruhig hingeben. Es könnte ein langer Abend werden.
Unger & Klein
Die Eröffnung des Unger & Klein, einer auch architektonisch auffälligen Weinbar im ehemaligen Textilviertel der Innenstadt war im Jahr 1992 ein innovativer Knall. Plötzlich konnte man die Weine, die zu trinken man sonst ins Steirereck oder den Altwienerhof gehen musste, den beiden Restaurants mit den besten Weinkarten der Stadt, auch ganz lässig und zum halben Preis zu einem Teller Mortadella ins Glas bekommen, es gab weiße und rote Burgunder, die Weine von Heinrich und Knoll sowie Champagner zum mitnehmen, doch die meisten Kunden freuten sich so, dass sie sie gleich vor Ort vernichteten. 30 Jahre später ist es immer noch die schönste Vinothek und Weinbar Wiens, aber die Betreiber haben gewechselt. Und mit ihnen die Schwerpunkte des Sortiments. Denn neben den bewährten Spitzenwinzern gibt es auch spannende Entdeckungen aus dem Weinviertel oder dem südlichen Burgenland, selbstverständlich auch aus allen europäischen Weinländern. Dazu kocht Sudath, seit Jahrzehnten dabei, der mit dem Ex-Werber Michi Huber die Weinbar führt, die fantastische Küche seiner Heimat Sri Lanka. An den Wänden des unverändert schönen Lokals befinden sich wechselnde Miniausstellungen bildender Künstler.