Internorga Roundtable
Internorga Roundtable

Im Fokus: Internorga Roundtable Getränke-Trends 2020

Die Zukunft ist authentisch, nachhaltig und regional

Text: Barbara Becker, Fotos: Alexander Pihuliak

Auf der Internorga in Hamburg wetteifern jedes Jahr etablierte Marken und Neuheiten um einen Platz auf den Orderlisten. Was sind die wichtigsten Getränkekategorien, die es auf- bzw. auszubauen gilt? Welche Produkte bringen Absatz- und Umsatzzuwächse? Das diskutierte die FIZZZ-Chefredakteurin Barbara Becker mit ausgewählten Experten aus Gastronomie, Getränkeindustrie und Handel.

 

Die Qualitätsoffensive geht weiter

Eines der ersten Getränkesegmente, in dem eine breite Konsumentenschicht die Themen Handwerk, Differenzierung und Qualitätsorientierung für sich entdeckte, war der Kaffeemarkt. Diese Entwicklung des in Deutschland vor Wasser und Bier meistkonsumierten Getränks hält an: „Die Qualitätsoffensive geht weiter“, sagt Daniel Rizzotti, bei der Alois Dallmayr Kaffee oHG für das weltweite Marketing zuständig und mit dem im Jahre 1700 gegründeten Familienunternehmen selbst der hohen Produktqualität verpflichtet. „Kaffee war und ist immer noch ein Alltagsprodukt, hat sich aber inzwischen auch zum Lifestyle-Produkt entwickelt. Themen wie Achtsamkeit, der bewusste Genuss und sich Zeit für eine gute Tasse Kaffee nehmen, Qualität und Nachhaltigkeit prägen den Markt. Wir werden in einigen Jahren keinen Kaffee mehr verkaufen, der nicht nachhaltig ist.“ Die Gastronomie entwickele sich immer mehr zu einer Art „zweites Wohnzimmer“. Für den Gastronomen sei es daher wichtig, dem Gast ein besonderes Geschmacks- und Genusserlebnis mit Wohlfühlatmosphäre zu bieten. Stichwort: Erlebnisgastronomie. Daniel Rizzottis Tipp an die Gastronomie: Zwei, drei Espresso-Sorten auf der Karte zu haben ist spannend und weckt beim Kunden Aufmerksamkeit. Für Betriebe mit großen Absatzmengen empfiehlt er den Trendsetter Filterkaffee im Top-Qualitätsbereich. Die Herausforderung an die Technik-Anbieter: Einfache Bedienung und erstklassiger Geschmack!

Segmentübergreifende Erfolgsfaktoren

Was kommt nach dem Gin? Das ist – darüber sind sich unsere Experten einig – die omnipräsente, aber falsche Frage. Nicht, weil der Image-Champion der vergangenen Jahre sowohl von Produzenten- wie auch von der Konsumentenseite immer noch Rückenwind bekommt. Sondern weil das Zeitalter der Kategorie-Trends offensichtlich zu Ende geht. Stattdessen rollt die produktübergreifende Entwicklung zum qualitativen Upgrade auch den Spirituosenmarkt auf. „Wir bemerken, dass Tequila und Rum im Kommen sind, allerdings nicht die Standards, sondern Qualitäten, die gerne pur getrunken werden. Geld spielt an der Bar dann zunehmend auch keine Rolle“, berichtet Marc Ciunis, einer der erfahrensten Gastronomieprofis Hamburgs und geschäftsführender Gesellschafter im Hotel Tortue, dessen Übernachtungsangebot von mehreren Bars und Restaurants flankiert wird. Marc Ciunis serviert in seinen Bars aktuelle Signature Drinks auf Basis besonderer Zutaten, die vor Ort individuell hergestellt werden. Natürlich stellt sich da die Frage: Big Brand oder Crafted Spirit? „In einer Bar mit einer Kapazität für bis zu 450 Gäste müssen wir mit den großen Kooperationspartnern arbeiten. Das Markenprodukt wird eingesetzt und auch individualisiert.“ Doch wie schafft es ein neues Produkt trotzdem in seine Barregale? „Wie immer ist es ,People Shopping‘, es geht um die Ansprechpartner, um die Qualität und Rechenbarkeit des Produktes. Und um die Marketing-Aktionen, die angeboten werden“, fasst Marc Ciunis die wichtigsten Eintrittskriterien zusammen.

Marke wird in der Gastronomie gemacht

Trotz aller Ansprüche, die erfolgreiche Betreiber an ihre Markenpartner stellen, spielt die Gastronomie nach wie vor eine zentrale Rolle. Uwe Christiansen betreibt seit 22 Jahren die „Christiansen’s Bar“ auf St. Pauli und in seinen Regalen stehen 900 verschiedene Spirituosen. Der Barprofi und Spirituosenexperte aus Hamburg weiß: „Die Marke wird in der Gastronomie gemacht. Dann sieht der Gast das Produkt im Supermarkt und denkt: Das habe ich im ‚Christiansen’s‘ getrunken und es war gut, das kaufe ich jetzt auch.“ Doch es gibt auch für erfolgreiche Betreiber ein wachsendes Problem: „Die fehlende Kontinuität seitens der Zulieferer, ständig neue Ansprechpartner und Produkte, die mehrfach den Importeur wechseln, das bringt viel Unruhe in den Markt.“

Erfolgsprodukte brauchen Heimat

Einer, der beide Seiten des Tresens kennt und nach vielen Jahren als Barprofi nun Erfolgsprodukte in die Gastronomie liefert, ist Thomas Weinberger von der Lantenhammer Destillerie. Traditionell für Edelbrände stehend, ist das Unternehmen vom Schliersee heute mit seinem Vertriebspartner Slyrs ein Pionier auf dem Markt des deutschen Whiskys und mit Innovationen wie bayrischem Rum erfolgreich. „Regionalität ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Unsere Region am Schliersee ist nicht nur die Heimat für unsere Marken, sondern auch ein Ort, an dem uns der Konsument hautnah erleben kann.“ Dieses Erfolgsrezept steht für eine Entwicklung, die im gesamten Markt zu beobachten ist: Der Verbraucher kauft auch den Lifestyle, den ein Produkt verkörpert. Und die Erfolgsgeschichte deutscher Spirituosen geht weiter. „Wichtig sind heute die Stichworte handcrafted, Regionalität und Herkunft. Der Kunde möchte wissen, wer dahintersteht“, so Thomas Weinberger.

Wer steht hinter dem Produkt?

Die Bedeutung des Herstellers für den Erfolg eines Produktes bestätigt auch Matthias Balz, als Projektleiter der Internorga in Hamburg unter anderem für die Themenbereiche Craft Beer Arena und Craft Spirit Lounge zuständig. „Gerade auch die kleinen Unternehmen sind es, die unsere Besucher begeistern. Es zählt der direkte, persönliche Kontakt zum Hersteller.“ Ist der Craft-Beer-Bereich für die Messe weiterhin ein Wachstums-Segment? Matthias Balz: „Die Craft Beer Arena könnte man erweitern, aber wir müssen uns hier an unserer Kapazität von etwa 30 Ausstellern pro Jahr orientieren. Durch die natürliche Fluktuation schaffen wir es trotzdem, unseren Besuchern jedes Jahr eine neue Auswahl zu präsentieren. Hier erleben die Besucher eine Bier-Vielfalt, wie es sie früher nie gab. Man nimmt sich wieder Zeit, zu genießen und die verschiedenen Geschmacksrichtungen auszuprobieren. Das gleiche gilt für die Newcomers Area: Wir bieten hier eine Plattform für junge Unternehmen, die eine coole Idee haben und mit dieser den Außer-Haus-Markt erobern wollen. Diese Firmen bringen Bewegung in den Markt und ihre Erfolgsgeschichten zu begleiten, macht Spaß.“

Volumenmarkttaugliche und bezahlbare Spezialitäten

Im Massenmarkt auf Impulse der Newcomer reagieren zu müssen, macht den etablierten Playern manchmal weniger Spaß, doch Stillstand ist keine Option. Christoph Barre führt die Privatbrauerei Barre in der sechsten Familiengeneration. Ein interessantes Standbein im Biermarkt der Zukunft sieht er im Segment der Spezialbiere. „Diese Entwicklung harmoniert mit dem spürbaren Trend zum Authentischen, zur liebevollen Herstellung.“ Und Craftbier? „Hinsichtlich des Volumens wird es überschaubar bleiben, aber die ganze Kommunikation rund um das Craftbier-Segment hat dem Produkt Bier insgesamt gutgetan. Bier hatte selten so eine positive Lobby wie heute. Früher ging es primär um Marktbedeutung und Marketingstrategien der Brauereien, heute steht das Produkt Bier viel stärker im Mittelpunkt. Es geht verstärkt um Themen wie Herkunft der Rohstoffe, Vielfalt und Besonderheiten der produzierten Biere wie die Kalthopfung – die Prioritäten haben sich Schritt für Schritt verschoben.“ Was ist Christoph Barres Prognose für die nächsten fünf Jahre? Bekommen die großen Konzerne Durst auf Craft? „Für die Brauereiwirtschaft ist aus meiner Sicht der große Craftbier-Hype durch, es gibt aber neue Aktionsfelder: Spezialbiere, die erstklassiges Brauhandwerk mit hoher Drinkability in Einklang bringen. Diese Biere sind für den nach Abwechslung suchenden Konsumenten hochinteressant. Sie liegen oftmals preislich über dem Pilssegment, sind aber für den Konsumenten dennoch bezahlbar. Als Folge kann es mit dieser Strategie gelingen, hochklassige Bierspezialitäten auf das nötige Volumen zu bringen. Unser Bouquet-Lagerbier Louis Barre Imperial ist dafür ein gutes Beispiel.“

Alkoholfrei, regional und nachhaltig

Was das Bier in den letzten Jahrzehnten an Volumen verloren hat, wurde vom AfG-Markt ausgeglichen. Dirk Lütvogt von der Friedrich Lütvogt GmbH & Co. KG Mineralbrunnenbetrieb Auburg-Quelle ist auch im regionalen Getränkefachgroßhandel aktiv und betreibt eine Plattform für junge, unabhängige Marken. Als Abfüller für fritz-kola und Ratsherrn hat er schon einige Erfolgsgeschichten begleitet. „Regionalität und Nachhaltigkeit spielen segmentübergreifend eine immer größere Rolle“, sagt Dirk Lütvogt. „Viele innovative Anbieter finden zu uns, weil sie uns als Produktionsstätte mit den Themen Regionalität, Nachhaltigkeit und Verpackung, konkret Glas, schätzen. Daher bieten wir den Start-Ups, die mit uns arbeiten, ein Mehrwegkastensystem an, weil das gerade in der Anfangsphase eine große finanzielle Herausforderung ist. Als Fachgroßhändler erleben wir in den letzten Jahren eine enorme Offenheit für neue AfG-Konzepte. Gastronomen und Händler suchen Sortimente, die zu der Haltung ihres Hauses passen, die Positionierung der Produkte ist erfolgsrelevant.“ Und Transparenz: „Menschen, die bereit sind, mehr Geld für ein nachhaltiges Produkt auszugeben, lassen sich nicht mehr mit der Marketing-Fassade abspeisen.“

Finden Newcomer zukünftig noch den Weg in die Gastronomie?

Kritisch blickt die Diskussionsrunde auf die aktuelle Marktkonzentration entlang der Lieferkette. Dirk Lütvogt: „Aktuell arbeiten die großen Getränkekonzerne daran, die Vertriebsstruktur unter ihre Kontrolle zu bekommen. Die spannende Frage ist, ob es ihnen gelingt, der Gastronomie ein Sortiment zu diktieren. Motto: Ich bin der einzige Bezugsweg und du kaufst mein Sortiment.“ Die Braukonzerne dominieren offen und über Beteiligungen schon große Teile des deutschen Fachhandels. Aktuell wird noch weitestgehend Produktneutralität versichert, weil man weiß, dass eine Gruppe nicht akzeptiert wird, wenn sie aggressiv ihr eigenes Portfolio verkauft. Dirk Lütvogt: „Der Gastronom möchte sein Sortiment selbst aussuchen, und wenn es ein Händler nicht bringen möchte, dann tut das eben ein anderer. Das funktioniert heute noch, die Frage ist, ob junge Produkte auch in Zukunft noch eine Chance haben werden, den Absatzmarkt zu erreichen.“

Internorga 2020

Die diesjährige Internorga wurde abgesagt. „Die  zunehmende  Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und die nicht seriös zu kalkulierende Entwicklung bieten unseren  Ausstellern, Besuchern und uns keine Grundlage für eine verlässliche Planung“, sagt Bernd Aufderheide, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburg Messe und Congress. www.internorga.com

Schlagworte

fizzz 04/2024

Themen der Ausgabe

Juliane Winkler, Berlin

Juliane Winkler, die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit
#proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält.

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