Ausgabe 09/2020

Il buono, il brutto, il cattivo

Denkt man über den Tag hinaus, dann muss man sich fragen, was bewirkt die Corona-Krise in der Gesellschaft? In welche Verfassung versetzt es die Wirtschaft? Wie steht es um Werte und Einstellungen und die psychischen Befindlichkeiten der Menschen? Die Antworten liegen auf der Hand, verwirren und verärgern zugleich: »Es verschwimmen die Unterschiede zwischen Gut und Böse«. Es ist nicht mehr klar: Was ist richtig und was ist falsch? Die Gesellschaft verliert auf beängstigende Weise ihre Maßstäbe.

Haben die Virologen, Moralapostel und Politiker recht, die mit erhobenem Zeigefinger vor den Gefahren des Virus warnen und um jeden Preis Leben retten wollen? Oder haben jene recht, die verlangen, dass ein Sterben eines Teils der Bevölkerung hingenommen werden muss, Hauptsache, es geht weiter?

Was sind die Fakten? Allmählich zeichnet sich ab, dass durch die Beschränkungen und Beeinträchtigungen inzwischen mehr Menschen sterben oder in naher Zukunft sterben werden als durch die Pandemie selbst, die in ihrer Existenz vor allem Risikogruppen vorerkrankter Menschen bedroht.

Nachdem die Virologen angesichts der wenigen Kenntnisse über das Virus inzwischen eher als Nebelspalter denn als Lichtgestalten erscheinen, melden sich andere Mediziner zu Wort, die zurecht vor einem ungeahnten Ausmaß an Leid und Tod warnen. Operationen wurden verschoben, obwohl Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Krebs noch immer die häufigsten Todesursachen sind. Wie viele Lebensjahre werden diese Menschen verlieren? Ist deren Tod eher in Kauf zu nehmen als der Tod der Corona-Infizierten?

Alte Menschen sterben jetzt alleingelassen, den Angehörigen fehlt der Abschied von ihren Verwandten. Eine ganze Generation wird mit psychischen Belastungen leben müssen. Immer öfter drängt sich der Eindruck auf, dass mit den Beschränkungen das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird. Ab jetzt bin ich Fan von Wolfgang Schäuble: »Dem Schutz des Lebens darf nicht alles untergeordnet werden. Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen«, warf er als einer der wenigen Politiker Sinnvolles in die Debatte ein.

Ich kann da nur zustimmen. Denn was passiert derzeit außerhalb der Krankenhäuser? Die Politiker versuchen Leid mit Geld zu pflastern, das sie nicht haben. Sie werden einen Schuldenberg ungeahnten Ausmaßes hinterlassen, den noch Generationen abtragen müssen. Zugleich macht sich das Hässliche in der Gesellschaft breit. Jetzt ist die Stunde der Blockwarte, Denunzianten und Raffzähne, die Kapital aus der Not anderer schlagen wollen.

Auch der Weinsektor liefert dafür reichlich Anschauungsunterricht. Beginnen wir mit den Dummen: Da wird, um eine Schlagzeile zu generieren, ein Anstieg des Einkaufs und Konsums von Wein um 30 Prozent verkündet. Wein soll sich gar einer Sonderkonjunktur erfreuen. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Meldung als Ente. Seriöse Marktforscher können den Anstieg nicht bestätigen. Das bisschen mehr, das im Lebensmittelhandel und
online gehandelt wird, kann die Verluste in Gastronomie, Direktvermarktung und Export nicht wettmachen.

Unverfrorene Einkäufer fordern bereits »Corona-Rabatte« wohlwissend, dass die Lage der Produzenten in den großen Erzeugerländern katastrophal ist. Die Exportmärkte in den USA, China und dem übrigen asiatischen Raum waren schon vor der Krise beschädigt, jetzt wird außer Billigware kaum mehr was gehandelt. Selbst kerngesunde Weingüter verkaufen seit Wochen keine Flaschen mehr.

Die Weinbestände sind unterdessen hoch. Sie verlieren jeden Tag an Wert. Und selbst deutsche Weingüter aus der ersten Reihe verschleudern inzwischen ihre Weine. Da hilft es wenig, an Anstand und gegenseitige Achtung zu appellieren. Die Rückkehr in die Realität ist verlangt.