Ausgabe 20/2020

Sind wir jetzt eigentlich digitalisiert?

ddw20/20

Durch die Corona-Pandemie ist in der Welt vieles
möglich geworden, was zuvor nicht möglich
erschien. Viele Menschen können heute von
zu Hause aus arbeiten, statt im Büro präsent
sein zu müssen. Statt unnötig langer Dienstreisen
zu teilweise unnötig langen Sitzungen »zoomt« man
miteinander.
Selbst Vorlesungen an Hochschulen laufen seit
dem Sommersemester digital ab. Auch in der Landwirtschaft
und im Weinbau wurde deutlich, welche Chancen digitale
Lösungen gerade jetzt bieten. Ob beim Vertrieb über Online-
Shops, der Vermittlung von Erntehelfern oder der Fernwartung
von Landmaschinen, digitale Technologien und Anwendungen
helfen, besser aus der Krise zu kommen.
Ist das jetzt also die Digitalisierung, über die wir schon so
lange reden? Experten bestätigen, dass wir durch die Corona-
Krise in Sachen Digitalisierung einen sehr großen Schritt
nach vorne gegangen sind. Ihrer Meinung nach jedoch nicht,
weil es plötzlich digitale Dienste oder neue Soft- oder Hardware
gibt – die existierten auch vorher schon –, sondern weil
die Menschen ihr Verhalten ändern und diese
technischen Möglichkeiten nun auch nutzen.
Trifft diese Feststellung aber auch für
die Landwirtschaft und den Weinbau zu, denen
beim Thema Digitalisierung eine gewisse
Vorreiterstellung nachgesagt wird?
Zwar sagt man dem Weinbau nach, in
manchen Punkten eher konservativ und
skeptisch gegenüber Veränderungen zu
sein. Die neue Generation wächst jedoch
mit digitalen Techniken auf und nimmt sie an bzw. wird diese
annehmen. Probleme bestehen aber noch an anderer Stelle.
Bei einem Blick in die Erklärung, die der Deutsche Weinbauverband
im Rahmen seines letzten Internationalen DWVKongresses
zum Thema Digitalisierung verabschiedet hat, erkenne
ich einige Herausforderungen, die weiterhin aktuell
sind. Eine umgehende Verbesserung der digitalen Infrastruktur
wurde gefordert, um einen »smarten« Weinbau verwirklichen
zu können. Im Weinberg ist die Infrastruktur weiterhin
ein Problem, das GPS bricht teilweise immer wieder ab, die
weißen Flecken bei der notwendigen mobilen und festnetzgebundenen
Breitbandversorgung bestehen weiterhin. Die
EU-Kommission hat in der vergangenen Woche die Mitgliedstaaten
aufgefordert, die Investitionen in die Infrastruktur
für Breitbandverbindungen mit sehr hoher Kapazität, einschließlich
5G, zu verstärken. Dieser Aufforderung muss zeitnah
nachgekommen werden, um neu entwickelte Technologien
im Weinberg tatsächlich nutzen zu können.
Grundlagenforschung ist im Allgemeinen sehr wichtig. Damit
der Fortschritt aber tatsächlich beim Winzer ankommt,
ist eine praxisorientierte Forschung erforderlich. Die Einrichtung
von 14 digitalen Experimentierfeldern durch das
BMEL ist hier ein zielführender Weg. In einem dieser Experimentierfelder,
dem Projekt »DigiVine«, werden digitale Techniken
im Weinbau und ihre Praxistauglichkeit in verschiedenen
Anwendungsfällen getestet. Im Zusammenhang mit der
gerade stattfindenden Weinlese werden drei Anwendungsfälle
getestet: Zum einen wird eine Onlineertragserfassung
durch geeignete Sensoren auf dem Traubenvollernter zur Bestimmung
des Ertrags pro Flächeneinheit getestet. Künftig
soll außerdem die sensorgestützte Erkennung von gesunden
Stöcken und gesundem Lesegut eine selektive mechanische
Lese mit dem Traubenvollernter ermöglichen. Die Entwicklung
eines Handsensors zur störungsfreien
Bestimmung der Traubenreife gehört auch
zu den Anwendungsfällen.
Aber noch einmal zurück zu meiner Ausgangsfrage,
ob wir denn jetzt eigentlich digitalisiert
sind? Sicherlich noch nicht, aber
die derzeit laufenden Aktivitäten
und Entwicklungen
lassen mich positiv
in die Zukunft schauen.
Bemängelt wird jedoch oft, dass
noch zu wenig Experten auf dem Gebiet
der Digitalisierung zur Verfügung
stünden. Der Schwerpunkt in der Ausbildung
an den Hochschulen muss daher
noch stärker auf das Thema Digitalisierung
gelegt werden. F