Ausgabe 18/2020

Trost in der Not

Die Entwicklung des deutschen Weinmarktes in den ersten acht Monaten des Jahres liefert eine angenehme Überraschung. Anders als angesichts der Corona-Krise vermutet, wird nicht weniger, sondern mehr Wein getrunken und allem Anschein nach auch besserer. Das war nicht vorherzusehen. In Krisenzeiten würde man eher erwarten, die Konsumenten sparen sich das Geld für die essenziellen Ausgaben. Dem ist glücklicherweise nicht so.

Wein befindet sich im Gegensatz zum Bier auf der Gewinnerseite. Wenn man sein Geld schon nicht für Urlaub oder Restaurantbesuche ausgeben kann, dann sorgt man wenigstens in den eigenen vier Wänden für ein bisschen Freude und Entspannung, scheint die Devise in der Bevölkerung zu lauten. Das gilt fürs Trinken wie fürs selbst zubereitete Essen. Die notwendige Infrastruktur in Form schicker Küchen ist ja in Hülle und Fülle vorhanden. Die Küche als zentraler Hort neuer deutscher Identität, ist doch mal eine wirklich angenehme Botschaft, genauso wie sich Schrebergärten als Sehnsuchtsorte einer hippen Bürgerlichkeit entpuppen. Wer hätte das vor Jahren gedacht. Die Virus-Krise als Motor einer neuen Volksgesundheit? 

Verlierer in der Gastronomie

Allerdings profitieren nicht alle in der Branche von der überraschenden Sonderkonjunktur. Auf der Verliererseite befinden sich die Gastronomie und ihre Lieferanten. Im Weinbereich sind von der Krise und von schwindenden Umsätzen vor allem Weingüter mit Absatzschwerpunkt im Horeca-Bereich und gastronomie-orientierte Fachgroßhändler betroffen.

Davon gibt es neben den C&C-Märkten als Einkaufsstätten für Gastronomen in den Ballungszentren rund drei Dutzend über das gesamte Bundesgebiet verstreute Spezialisten, die in der Vergangenheit ihre Claims mit Zähnen und Klauen verteidigt hatten. Die leiden wirklich, und Kurzarbeit ist für die Unternehmen ein Segen. Andernfalls stünden die Mitarbeiter, Fahrer, Lageristen und Gebietsvertreter auf der Straße.

Auf längere Sicht wird das Geschäft zurückkommen, aber die Strukturen werden sich gewaltig verändern, sprich der eine oder andere wird, wie seine Kunden in der Gastronomie, aufgeben müssen. In der Gastronomie leiden aber nicht nur die Kleinen, auch manchem Dickschiff sind über Nacht die Umsatze zur Gänze weggebrochen.

Man muss nur an die Kongress- und Großstadthotellerie denken, deren Bettenburgen seit Monaten leer stehen. Die haben die letzten Jahre gutes Geld verdient und zum Teil unverschämt bei Übernachtungen und Zimmerpreisen zugelangt. Nicht jeder dürfte daher Mitleid verspüren, wenn der eine oder andere internationale Hotelkonzern oder Gastronom jetzt bluten muss.

Strukturwandel beschleunigt

Der Umbruch in der Gastronomie nimmt Fahrt auf. Schneller als gedacht, haben sich viele schwache Gastronomen, die ein austauschbares Angebot feil hielten, von der Bildfläche verabschiedet. Zahlreiche haben schon dicht gemacht, und bis Jahresende werden wahrscheinlich mehrere zehntausend Gastronomen ihre Zapfhähne für immer schließen. Ob mit oder ohne staatliche Hilfe, die eh zu spät kommt und kompliziert genug, immer die Falschen rettet.

Aber es gibt auch die Leuchttürme in der Gastronomie: Wer bei Speisen Qualität bietet, erfreut sich regen Zuspruchs. Die guten Lokale sind landauf landab an den Wochenenden ausgebucht und in den Ferienregionen herrscht angesichts der im Land gebliebenen Urlauber regelrecht Goldgräberstimmung, ob in den bayerischen Bergen, im Schwarzwald oder an Nord- und Ostseeküste. 

Dort wird wie zuhause Wein getrunken, wie mir vor kurzem ein im Norden urlaubender Marketingprofessor versicherte. Das kommt nicht von ungefähr. Es hängt mit der Wirkung und dem Image von Wein zusammen. Wein entschleunigt, ermöglicht den Menschen Abstand zum Alltag zu finden. Beim Glas Wein findet man zur Ruhe, und die scheinen die Menschen mehr denn je zu suchen.