Ausgabe 14/2020

Fleischgewordener Ekel

Was gab es nicht schon alles für Skandale, Panschereien, Weinfälschungen und Betrügereien mit Lebensmitteln. Doch neulich abends nach einem langen Tag fuhr ich nach Hause. Ich war wie betäubt, fassungslos, entsetzt. Ich begann zu weinen, nicht aus Trauer, nein, aus Ärger, aus Wut.

Zwei Meldungen schlugen fast zeitgleich ein. Ein Kollege machte mich auf einen Betrug in Spanien aufmerksam, bei dem es um gefälschte Barrique- und Reserva-Weine geht. Vergehen, die wir schon seit Jahrzehnten anprangern. Der Skandal lässt in Abgründe blicken. 

Ein zweiter Skandal kocht erneut in Italien hoch. Es geht um süditalienische Weine, um Primitivo, um Appassimento und die massenhafte Produktion von Kunstwein aus Dreck, ausländischen Weinen, Rübenzucker, Wasser und Chemikalien. Kann es sein, dass es noch immer so dreiste Fälscher und Betrüger gibt? Ja, es gibt sie und es gibt die Hehler, die unter den Augen des Staates Geld scheffeln.

Es sind mafiöse Strukturen, nichts anderes, und wir dulden das in unserem wunderbaren goldenen Käfig, den die EU aufgespannt hat, der uns den Verstand vor lauter Gutmenschentum, Gleichberechtigung und sozialen Wohltaten vernebelt. Wer trägt die Schuld? Wir alle, da wir uns nicht wehren. Weil wir die Wahrheit nicht sehen wollen. Weil wir Menschen agieren lassen, die sich wie Monster gebärden.

Der Mann hat’s drauf. Binnen weniger Jahre avancierte Clemens Tönnies zu einem der meistgehassten Unternehmer Deutschlands. Was hat er nicht alles auf seinem Kerbholz: Betrugsgeschichten, Streit mit dem Neffen, Skandale um Cum-Ex-Geschäfte. Afrika empfahl er Kraftwerke zu bauen, dann würden sie im Dunkeln weniger Kinder zeugen. In aller Munde ist Deutschlands größter Fleischfabrikant wortwörtlich, weshalb der Covid-19-Skandal nur die Spitze des Eisbergs ist.

Ist er die Inkarnation des skrupellosen, raffgierigen Unternehmers, der auf dem Rücken seiner ausgebeuteten Werksarbeiter und betrogenen Konsumenten Millionen macht? Klar, erscheint er als das, was man einen widerlichen Menschen nennt. Aber er ist auch Teil unserer Gesellschaft, Teil unserer Gleichgültigkeit und Teil der Unfähigkeit der Verantwortlichen des Staates, unseres Staates.

Mein Credo sind eine liberale Gesellschaft, freier Wettbewerb und freie Unternehmer. Der eigene Antrieb etwas zu erreichen, ist noch immer der beste Motor für Wohlstand. Der Staat sollte sich beschränken. Seine Aufgaben sind, Normen zu setzen, zu kontrollieren und zu ahnden. Aber genau dem kommt er nicht nach.

Es gibt Regeln für die Landwirtschaft. Jeder Bauer weiß, dass Fruchtfolgen sinnvoll sind, Monokulturen schädlich und je Hektar nur eine begrenzte Anzahl Vieh gehalten werden sollte. Die Regeln gibt es, aber sie werden nicht angewandt, Lobbyisten der Agrar- und Lebensmittelindustrie haben zäh an der Wirkungslosigkeit gefeilt. Es dürfte diese Megaschlachthöfe genauso wenig geben wie die Mastschweineproduktion in gigantischen Ställen.

Früher gab es regionale Handwerksbetriebe rund ums Fleisch, genauso wie regionale Molkereien und den Bäcker und den Metzger um die Ecke. Lebensmittel waren saisonale Produkte. Das System hat sie weggefegt und eine global agierende Lebensmittelindustrie entstehen lassen, an deren Spitze der Lebensmittelhandel steht. Er konzentriert die Einkaufsmacht in seinen Händen. Die Discounter sind die Zuchtmeister der Branche.

Wie kann sich Aldi entblöden und inseriert mitten in der Debatte um den Wert von Lebensmitteln, »der Erfinder von günstig ist Preissieger«. Sind da Seelenlose am Werk? Lidl plärrt täglich per Werbung in öffentlichen Rundfunksendern seine Billigbotschaft ins Land und trifft damit genau den Nerv derer, die sich über die Zustände bei Tönnies erregen und am nächsten Tag mit ihren überdimensionierten SUVs beim Discounter vorfahren. Der eigene Bauch zählt. Der Lebensmittelhandel und sein preisaggressives Verhalten sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir sind die Opfer der eigenen Gier.