Die Kette durchdenken

Mein jüngster Auslandsaufenthalt führte mich in die USA. Neben hervorragenden Bieren unzähliger Micro-Breweries kann man dort ganz ausgezeichnet Wein trinken. Insbesondere New York bietet zahlreiche Möglichkeiten für ausschweifende Bacchanalien einschließlich nachhaltiger finanzieller Veränderung. Entgegen hiesiger Präferenzen und Entwicklungen erfreut sich der Markt dort überschwänglich an deutschem Riesling und auch die Bio- und Natural-Szene ist stark. Ob klar oder trüb, jeder Kelch wird zu jeder Uhrzeit bestens gefüllt. Nach einer Woche Craft Bier dürstete es mich und ich beging den ersten Abend in einer hervorragenden (Natur-)Weinbar. Während ich noch in der kompakten, aber bestens kuratierten Karte stöberte, wurde am Nebentisch eine Flasche französischen Weines serviert. Naturwein eines renommierten Herstellers in der Premium 1,5 Kilo Schmuckflasche. Ungeschwerfelt, alles organic, also sustainable, wie der Kollege dem Gast erklärte, während sich meine Nackenhaare aufstellten.

In diesem Gastgespräch wurden einige Dinge miteinander verquickt, die nicht in einen Topf gehören. Der biologische Weinbau nimmt für sich in Anspruch, naturbelassene Weine in Einklang mit der Natur herzustellen. Dass Demeter derzeit die höchste zertifizierte Eskalationststufe darstellt, ist unbestritten, ebenso wie das EU-Bio-Siegel die niedrigste Einstiegsschwelle in das Thema darstellt. Dies jedoch grundsätzlich und ausschließlich mit Nachhaltigkeit gleichzusetzen, ist grob fahrlässig bis fehlerhaft. Schwefel als alleiniges Merkmal zur Distinktion taugt hier ebensowenig wie die Diskussion um den Einsatz von Kupfer vs. Kupferphosphonat. Auch wenn wir gerne Bio oder Natural trinken, reicht dies noch lange nicht, um sich die Nachhaltigkeits-Jacke anzuziehen.

Ich sehe viele Unterscheidungskriterien zwischen einer naturnahen Bewirtschaftungund dem Anspruch, als Betrieb den Gedanken der Nachhaltigkeit zu verfolgen. Auch wenn der Wein meines Nebentischs fraglos Natural und ohne Schwefel war, wurde der Gedankeder Nachhaltigkeit spätestens beim Füllen in die schwere Schmuckflasche vergessen. Aus dem Gewicht der einen Flasche hätte man ebensogut zwei Flaschen blasen und die doppelte Menge an Wein bei gleicher CO2-Bilanz über den Ozean bringen können. Das mag wie Haarspalterei klingen, ist es aber nicht. Dieser Trend spiegelt sich derweil auch in den populären Ton-Flaschen, die sind nicht nur irre schwer und müssen im regulären Hausmüll entsorgt werden, sondern sind auch bei Produktion sehr CO2-aufwändig.

Ebenso wie Wasser, Stromversorgung, der Erhalt und die Förderung der Artenvielfalt sind Schmuckverpackungen ein Mosaikteilchen. Umverpackungen sind das weitaus größere. Vom Plastik Tape bis hin zu den überflüssigen Füllmitteln aus Styropor, die jeder von uns aus tiefstem Herzen hasst. Stabil, natürlich abbaubar und leicht muss es sein, und neben dem Handel sind Sommeliers diejenigen, die dies einfordern können. Die Wertigkeit eines Produktes weiterhin über seine Verpackung/Flasche auszudrücken, ist nicht nur antiquiert, sondern ein preisliches Argument, das wir alle mittragen.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote