Ausgabe 26/2019

Klaar Kiming

WW 26/19

Weihnachtsbraten gut verdaut? Keinen Streit über die Festtage mit den Lieben gehabt, wenn Emotionen hochschwappen und Erwartungen vorhanden sind, die viele überfordern? Gut, dann sind Sie gerüstet und innerlich gestählt für das kommende Jahr. Das wird nicht einfach und verlangt nach einer guten Grundorientierung. Wie sagen die friesischen Seemänner aus jahrhundertelanger Erfahrung auf stürmischer See: »Rüm hart – klaar kiming«, was soviel bedeutet, wie ein großes Herz und klaren Verstand besitzen und den Horizont nie aus den Augen verlieren: Jenen magischen Ort, wo sich Himmel und Meer berühren und wir Menschen ganz klein werden angesichts der Schönheit und Größe unserer Erde. Für uns alle werden die nächsten Jahre herausfordernd. Das gilt auch für die Weinbranche, im Ausland genauso wie hier in Deutschland.
Der Weinkonsum stagniert weltweit. Die Lebensverhältnisse vieler Menschen haben sich gewandelt, vom Land zieht es die Menschen in die Städte. Die Veränderungen sind greifbar: neues Gesundheitsbewusstsein, eine älter werdende Gesellschaft, andere Erziehungsformen, längere Ausbildungszeiten – es gibt eine Vielzahl an Gründen, die für ein anderes Konsumverhalten verantwortlich sind, bis hin zu internationalen Krisen, Handelskriegen, einer zunehmenden Abschottung einzelner Länder und natürlich Klimawandel und Ressourcenverbrauch, die viele gesellschaftliche Probleme verschärfen. Energie wird teurer, Wasser kostbarer und knapper und dazu wachsen die Ansprüche. Es ist, als müsste die Erde erwachsen werden und sich den Herausforderungen des Lebens stellen.
Das Jahr 2018 brachte einen Produktionsüberhang von 40 bis 50 Mill. Hektoliter, die bis heute auf den Markt drücken. Die Bestände waren noch nie so hoch und die Verkäufe sind nicht so gelaufen wie man sich das gedacht oder gewünscht hat. War 2018 auf Basis des kleinen Jahrgangs 2017 ein Jahr für die Produzenten, holte sich der Handel 2019 zurück, was er damals gegeben hat. Dazu spürt der Handel Veränderungen in der Gesellschaft hautnah. Alte Weinkonzepte laufen nicht mehr. Billige Generics als Eigenmarken der Discounter und gesichtslose Herkunftsweine sind weniger gefragt. Besonders hart werden die Veränderungen deutsche Weinerzeuger zu spüren bekommen. In manchen Winzerkellern dümpeln noch erhebliche Mengen von 50.000, 100.000 und mehr Liter Wein aus alten Jahrgängen vor sich hin, die 2020, wenn überhaupt, nur noch zu Dumpingpreisen Absatz finden werden. Das werden schwache Betriebe als Erste bitter zu spüren bekommen. Die Zahl der Winzerbetriebe, Genossenschaften und Weinkellereien wird sich noch deutlich reduzieren. Hart wird es auch für den Mittelbau und dessen Weine, die sich mit deutlich steigenden Kosten in der Vermarktung konfrontiert sehen, da die Verteilung immer diffiziler und kleinteiliger wird. An der Spitze ist nur für wenige Platz, der Verdrängungswettbewerb darunter lässt sich im Onlinehandel gut beobachten. Jeden Tag wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben und mit günstigen Preisen die Weine wie im LEH verhökert.
Angesichts der Situation ist es umso verwunderlicher, dass Deutschland noch immer am Einheitsbrei seiner Vermarktung festhält und nicht die Schleusen nach unten öffnet und endlich Potenziale ausschöpft, die von anderen mit hunderten Millionen Litern Wein bedient werden. Man muss sich ja nur mal die Importstatistik in Ruhe zu Gemüte führen. Einen Lichtblick darf man in Deutschlands Weinbranche allerdings erkennen und das ist der Fachhandel mit Wein. Er war noch nie so gut und breit aufgestellt. Er ist leistungsfähig, von klugen Köpfen gesteuert und wenn ein Aldi für sich 17,3 Prozent Marktanteil nach Angaben der GfK reklamiert, dann darf man darüber auch mal herzlich lachen. Gefragt sind jetzt keine verballhornten Weinnamen und alter Wein in neuen Schläuchen, die viele Lebensmittelhändler immer wieder aufs Neue bieten, sondern authentische Weine, bei denen Qualität und Preis übereinstimmen. Die Weinwelt bietet erfreulicherweise genügend Auswahl.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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