Ausgabe 24/2019

Verflixt und zugenäht

WW24/19

Ein unangenehmes Gefühl, wenn man einer Entwicklung zusehen muss, die nach menschlichem Ermessen unweigerlich in einer Katastrophe endet. Es scheint so, als lebten wir in einer solchen Zeit. Da tauchen plötzlich Diktatoren und Tyrannen an der Spitze von Staaten auf, als seien sie Wiedergänger längst überwunden geglaubter Zeiten. Ideologien und Religionen gewinnen wieder Bedeutung und Macht, wie man es nicht mehr für möglich gehalten hatte. Es scheint, als sei das Böse und Hässliche aus der Vergangenheit in die Welt zurückgekehrt.
Das hat Folgen: Wahrscheinlich fallen viele aus meiner und den nachfolgenden Generationen aus einem seit mehr als 70 Jahre währenden Paradies. Die Menschen reagieren vorhersehbar: Mit Ablehnung, mit Verunsicherung und zunehmender Radikalität.
Und irgendwie scheint alles zusammenzuhängen: Überbevölkerung, Ressourcenverbrauch, Ausbeutung, Abgrenzung, Hass, Aberglaube, Ignoranz, Rassismus, religiöser Fanatismus und Fremdenfeindlichkeit verbinden sich zu einem giftigen Cocktail menschlicher Abgründe. Was sind die Ursachen? Die Frage muss man mit einer nüchternen Feststellung beantworten: Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse.
Wir haben nur eine Erde und tun so, als hätten wir zwei. Die Überbevölkerung und der daraus resultierende Klimawandel, der die Erde zum Kochen bringt, dürften die eigentlichen Ursachen für das Unbehagen sein. Es wird immer klarer, dass es ums Verteilen geht. Was wir erleben, sind letztlich Verteilungskämpfe.
Jeder will in Wohlstand, Geborgenheit und Luxus leben, doch die Ressourcen reichen nicht, zumindest nicht für so viele. Sauberes Wasser, gesunde Nahrungsmittel und eine intakte Umwelt gibt es nicht für alle. Doch wo ist die Schuld? Ideologen, Tyrannen und Egoisten, die aus habgierigen Motiven die Menschen verführen, sind zusammen mit den Religionen als Opium fürs Volk die Hauptschuldigen. In den späten 60er Jahren verkündete Papst Paul VI die Enzyklika »Humanae Vitae« und verteufelte jede Empfängnisverhütung. Die Folgen sind sichtbar. Wer kann sich vorstellen, dass in wenigen Jahren 10 oder 15 Mrd. Menschen auf der Erde leben? Wir Menschen sind uns selbst zum Problem geworden. Unausgesprochen, aber doch latent im Raum, war dieses Szenario Gegenstand des ProWein Media Summit, den die ProWein mit der Unterstützung der Hochschule Geisenheim dieser Tage veranstaltete. Thema war der Klimawandel sowie dessen Effekte auf den Weinsektor und wie die Branche damit umgeht. Kann es darum wirklich gehen?
Nicht, wenn man an das große Ganze denkt. Es ist gut und richtig, wenn sich die Weinbranche dem Problem CO₂-neutraler Produktion widmet, genauso wie das die gesamte Landwirtschaft tun sollte. Aber die findet sich ja gerade schmollend in der Ecke. Sie sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Wahr ist jedoch, dass die Landwirtschaft sich von industriellen Lobbyisten korrumpieren ließ und heute ressourcenzehrend wirtschaftet. Eine riesige Umverteilungsmaschinerie wurde in Gang gesetzt, in der die Landwirte zu Statisten degradiert sind, von der wenige profitieren und die von vielen bezahlt wird.
Ergebnis dessen sind auch die Strukturen, die wir heute im Handel finden. Die Macht konzentriert sich auf wenige Unternehmen. Das hätte nie geschehen dürfen. Alle Bekundungen für eine dezentrale Versorgung und eine regionale Wirtschaft, die heuchlerisch beteuert werden, laufen ins Leere. Wie soll man glauben, dass das Große gelingt, wenn es schon im Kleinen nicht klappt? Wie einfach hat das Kartellamt die Fusionen der letzten Jahre durchgewunken. Die Übernahme von Lekkerland durch Rewe ist keine Frage mehr und demnächst wird Real geschlachtet. Alles das hätte, wie die Fusionen Jahrzehnte zuvor, nie passieren dürfen. Die Macht in den Händen einiger Weniger wird immer größer, genauso wie die Ohnmacht der Anderen. Eine gefährliche Mixtur.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
[email protected]