Ausgabe 23/2019

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

ddw23/2019

Die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt noch
irgendwo ein Meister vom Himmel fällt, sinkt
kontinuierlich. Eigentlich komisch, denn der
Arbeitsmarkt verlangt nach Fachkräften. Handwerker,
gleich welchen Gewerks, werden händeringend
gesucht, haben volle Auftragsbücher und entsprechend
lange Wartezeiten. Wer heute Fliesenfachmann mit
eigenem Meisterbetrieb ist, kann sich, wenn er nicht alles
falsch macht und seine Zahlen und Leute im Griff hat, den
sprichwörtlichen »goldenen Boden« fachmännisch selbst
verlegen. Woran liegt es also, dass sich immer weniger junge
Menschen für eine Ausbildung im Handwerk bzw. für die
Weiterbildung in Form einer Meisterprüfung entscheiden?
Die Gründe sind vielfältig. Häufig genannt: Die Krise am
Bau in den 1990er Jahren. Die hat sich allerdings längst in
einen Boom umgekehrt. Also sollte man erwarten, dass sich
heutzutage wieder mehr junge Menschen
für die einschlägigen Berufe entscheiden,
doch weit gefehlt. Gab es in den 90er Jahren
noch rund 9.000 Azubis im Fliesenlegerhandwerk,
sind es heute gerade mal
2.500. Ihnen stehen nicht einmal mehr 100
neue Meister pro Jahr im ganzen Land gegenüber.
Die Abwärtsspirale ist Programm:
Weniger Meister bedeutet weniger Ausbildung,
weniger Gesellen und Azubis und
schließlich weniger Qualität in der Ausführung. Das Einzige,
was bei dieser Spirale nicht sinkt, sind die Preise ‑ ganz im
Gegenteil, für die Kunden wird Qualität immer teurer.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung gilt vielen die
von der EU forcierte Abschaffung der Meisterpflicht für 53
Berufsgruppen als Fehler. Sie ist aber längst nicht der einzige
Grund warum das Handwerk zwar Zukunft aber immer
weniger Zulauf hat. Ebenso verantwortlich ist die Tertiärisierung.
In unserer Dienstleistungsgesellschaft genießen
Berufe, in denen man sich auch mal die Hände schmutzig
machen muss, ein geringeres Ansehen als die sogenannten
»white collar worker«. Das führt zu einer steigenden Zahl
an Abiturienten, die nach dem Gymnasium einen akademischen
Abschluss anstreben (Stichwort »Bachelorisierung«).
Dieser Trend macht auch vor der Weinbranche nicht halt.
Vom Wintersemester 2013/14 bis heute (2018/19) hat die
Zahl der Studierenden in Weinbau und Kellerwirtschaft lat
Destatis um 17 Prozent auf rund 1.172 zugelegt. Im gleichen
Zeitraum gab es jährlich nur rund 30 neue Winzermeister
im Land. Ich möchte diese Entwicklung nicht werten. Klar
scheint aber, dass sich der Akademisierungstrend nicht, wie
jüngst von der Bundesregierung angeregt, mit der plumpen
Umetikettierung des Meistertitels in einen »Bachelor professional
« stoppen lässt. Zumal sich an diesem Punkt direkt
Widerstand in den Kultusministerien regte, die ihrerseits das
Ansehen der Hochschulabschlüsse durch diese Gleichstellung
in Gefahr sehen.
Ich halte von solchen Diskussionen nichts. Meiner Meinung
nach sollte jeder möglichst die Ausbildung machen,
auf die er Lust hat und zu der er befähigt ist. Wichtig scheint
mir nur, dass sich junge Menschen ernsthaft
Gedanken darüber machen, wo ihre
Stärken, Neigungen und Interessen liegen,
und dass sie ihren Beruf nicht allein aus
Imagegründen wählen. Doch selbst wenn
sie das tun oder sich falsch einschätzen
oder gar überschätzen, ist unser Bildungssystem
durchlässig genug,
dass sie immer wieder
neue Wege einschlagen
können. Per se ist kein Bildungsweg
besser als der andere. Entscheidend
ist, was der Einzelne daraus macht und
dass man sich nach der Ausbildung nicht
einbildet, fertig gebildet zu sein. Egal ob
Fliesenleger oder Winzer erst jahrelange
Übung macht den Meister. F