Ausgabe 20/2019

Alles ganz normal

WW20/19

Eindrucksvoll bestätigt der Discounter Netto wieder einmal, dass der Preis das einzige Marketinginstrument ist, dass der deutsche Lebensmittelhandel kennt. Ausnahmen aus dem selbständigen Einzelhandel mal ausgenommen. Am Ende fragt man sich bei dem ganzen Preisverhau, warum immer alles billiger und am Ende schlechter werden muss? 
Den Eindruck könnte man jedenfalls gewinnen, wenn man sich die aktuellste Aktion des Discounters Netto zu Gemüte führt. Die beiden Aldi-Discounter aus Essen und Mühlheim haben dieses Jahr Rotkäppchen Sekt ins Sortiment aufgenommen. Das hat wohl für ordentlichen Absatzzuwachs und Neid bei den Konkurrenten gesorgt. 
Die Aufnahme von Markenartikeln ins Sortiment ist Konzerndiscountern wie Netto schon mit Rücksicht auf die Edeka-Mutter natürlich ein Dorn im Auge. Aldi verkauft Rotkäppchen Sekt derzeit aus dem Regal für 3,98 Euro. Also muss Netto zurückschlagen. 
Peng, und deshalb gibt’s Rotkäppchen Sekt jetzt für 2,49 Euro. In großformatigen Anzeigen in der Tageszeitung wirbt Netto dafür. Abzüglich Steuern bleiben inklusive Handelsspanne 99,7 Cent für den Qualitätsschaumwein übrig. Irgendwie lässt sich der Preis wahrscheinlich kalkulieren und ein Verkaufspreis unter Einstand gegenüber dem Kartellamt rechtfertigen. Aber welcher Imageschaden ist damit verbunden, für den Sekt, die Marke und die ganze Schaumweinkategorie oder läuft das unter dem Motto: »Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert«. Wie billig soll‘s noch werden?
Ja, man muss fragen, verdient überhaupt noch jemand Geld mit Wein. Wie der Discounthandel auf der einen Seite, der sich mit Minimargen im Konkurrenzkampf gerade so über Wasser hält und auf Expansion angewiesen ist, komme, was da wolle, kämpft auf der anderen Seite der Online-Handel im Konkurrenzkampf der Streichpreise ums Überleben. Bei den meisten ist nur noch Durchhalten angesagt, wie mir vor kurzem ein Online-Händler schrieb, der die Rabattschlachten nicht mitmachen will. Egal was an Weinen offeriert wird, auch im Online-Handel hagelt es Streichpreise. Kaum ein Wein, der nicht mit 30 bis 50 Prozent Rabatt offeriert wird. Dabei bewegt sich der Handel hier meist oft im höherpreisigen Bereich, da Weine unter 5 Euro aufgrund der Versandkosten überhaupt keinen Sinn im Onlinehandel machen. Mittlerweile ist aber auch der Onlinehandel in vielen Fällen mit seinen Preisen auf Einstandsniveau angelangt. 
Man braucht kein Prophet sein, um zu weissagen, dass die Geschichte nicht mehr lange gut gehen wird und die Ersten ihre virtuellen Läden zusperren. Dann schauen auch die Investoren in die Röhre, die auf den schnellen Euro gesetzt haben und ihr Geld nimmer wiedersehen. Um die tut es mir wahrlich nicht leid. Die können sich schließlich damit trösten, dass das Geld zwar fort, aber nicht verschwunden ist, sondern dass es jetzt nur jemand anderer hat. Dumm gelaufen. 
So ist das mit der Gier und der ständigen Suche, noch mehr Gewinn herauszuschlagen. Ohne Verluste und Einbußen an der Qualität geht das nicht. Nahrungs- und Genussmittel sind keine Industrieprodukte, und selbst die werden am Ende auf Kosten der Umwelt und damit von uns allen billig produziert. Schade, dass in Zeiten der Billigpreise Kulturgüter verloren gehen und der vermeintlichen Wirtschaftlichkeit geopfert werden. In Apulien erlebte ich vor Kurzem so einen Fall. Die traditionelle Alberello-Erziehung verschwindet immer mehr. Sie erfordert mehr Handarbeit, die Erträge sind kleiner, die Trauben aber viel besser, wie mir ein Winzer bestätigte. Ein Sieg der Ökonomie? Wohl nicht, denn jedes Ding hat seinen Preis, wusste schon John Ruskin: »Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten«. Daran sollte jeder denken, der meint, dass er mit billigen Preisen etwas gewinnen kann.
Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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