Ausgabe 19/2019

Authentizität gefordert

WEINWIRTSCHAFT 19/2019

Direkten Zugang zum Wein dürften die wenigsten Menschen haben. Das wird in Erzeugerkreisen vermutlich genauso überschätzt wie das Interesse und die Kenntnisse der Konsumenten an Wein. 
Auch wenn es augenscheinlich wieder mehr Menschen in die Weinregionen zieht und im Herbst viele Tages- und Wochenendtouristen die Weingegenden besuchen. Die Masse der Bevölkerung ist das nicht. 
Reichlich skurrile Menschen spült das alljährlich in die Weinregionen. Rote Socken und biedere Gestalten immer auf der Suche nach dem billigsten Schoppen verunzieren Landschaften und Dörfer. Wer’s ganz skandalös mag, reist zu einem der größeren Weinfeste an, die von Traditionsveranstaltungen abgesehen, zeitgeistig aufgemotzt mit vollmundigen Versprechen als »Gaumenfreuden« oder »kulinarische Weinwanderungen« daherkommen. Beliebt auch die Nacht der offenen Weinkeller. Wer’s braucht, soll dort sein Glück finden. Doch wie stehts um den Konsum? Auch da gilt es wieder zu differenzieren: Die Bevölkerung in den deutschen Weinbaugebieten ist nah dran und dürfte für einen überproportionalen Anteil am Weinverbrauch stehen. Vielleicht sind es 20 oder 25 Prozent? Konsumiert werden überwiegend heimische Weine, vorzugsweise im Einstiegssegment. Warum auch nicht? »Wen da dürstet, der komme zu mir«, heißt es schon in der Bibel. Das ist in Baden nicht anders als in Württemberg, der Pfalz oder an der Mosel.
Und der Rest des Marktes? Ein Drittel bestreiten die Discounter und ein weiteres Viertel der übrige Lebensmittelhandel. Die restlichen rund 40 Prozent teilen sich Ab-Hof- und Direktverkauf sowie der Fachhandel inklusive des Internethandels und die Gastronomie. 
Der Discounthandel tritt auf der Stelle, auch wenn er seine Läden nach Vorbild der Vollsortimenter aufhübscht. Die Sortimente und Qualitäten bleiben preisgetrieben billig, dürr, mager oder süß.
Die eigentliche Auseinandersetzung um den Verkauf guter Weine findet zwischen selbständigem Lebensmittel- und Weinfachhandel statt. Der selbständige Einzelhandel mit Lebensmitteln ist zur Konkurrenz für den Weinfachhandel geworden. Die großen Handelskonzerne Edeka und Rewe können gar nicht genug davon bekommen, aufstrebende Marktleiter in die Selbständigkeit zu entlassen. Die Konzerne sind dann die nervigen Personal- und Organisationsprobleme los. Die Marktleiter haben dafür eine 80-Stunden-Woche und die Aussicht auf ein mehr oder weniger erfolgreiches Unternehmertum an der Backe. Wer’s gut macht, und das sind nicht alle, kümmert sich um seine Weinabteilung. Vor Kurzem durfte ich mit dem Weineinkäufer der Scheck-In Gruppe, Martin Kutscher, seinen Markt in Mainz besuchen. 1.800 Weine und mit Sekt- und Spirituosen über 2.800 Artikel bieten eine gigantische Auswahl. Zwei oder drei geschulte Mitarbeiter sind stets für Beratung vor Ort. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Der Durchschnittspreis liegt bei 6,50 Euro. Der Verkauf brummt. Der Markt macht vieles richtig und bietet lokalen Größen aus Rheinhessen wie Eva Vollmer oder Jürgen Hofmann breiten Raum. Zum Angebot gehören deren Guts- sowie exklusiv für ­Scheck-In produzierte Weine.
Kann der Fachhandel angesichts solcher Konkurrenz und Kompetenz bestehen? Ja, kann er, aber er muss mehr denn je auf Weine und Lieferanten achten. Authentizität ist der Schlüssel zum Erfolg. 
Die Philosophie und der Anspruch des Winzers an seine Arbeit in Weinberg und Keller sowie das Ergebnis daraus müssen überzeugen. Die Weine müssen die Persönlichkeit und den Charakter des Winzers widerspiegeln. Es muss sich um das Original vom Einzigartigen handeln. Etiketten, Namen und schöne Bilder individualisieren, aber entscheidend ist der Inhalt, und der muss stimmen. Ich lade Sie ein: diskutieren Sie mit uns über Wein und den Weinfachhandel auf dem Fachhandelsmeeting der WEINWIRTSCHAFT am 18. November 2019.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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