Ausgabe 17/2019

Grundsatzfrage

WW17/19

Was ist Deutscher Wein? Wie soll dieser Begriff verwendet werden? Wofür steht er? Vor diese Fragen stellte sich der Vorstand des Weinbauverband Rheinhessen, der zu einer ganz eigenen, um nicht zu sagen eigenwilligen, Interpretation kam. »Deutscher Wein« soll aus Sicht des Verbands die Funktion einer Art Dachmarke einnehmen. Er stehe als Begriff für die »Gesamtheit der deutschen Weinkultur«, formulierten die Rheinhessen.
Die mit der Reform des Gemeinschaftsrechts 2009 vom damaligen Ministerrat beschlossenen Regeln sehen jedoch vollkommen anderes vor. Deutscher Wein ist demnach wie »Vin de France« oder »Vino d’Italia« als Wein »ohne geografische Angabe« die Basis der Pyramide und von den weinrechtlichen Anforderungen gleichgestellt mit »Wein aus der Europäischen Gemeinschaft« wie er in Form von Rot-, Rosé- oder Weißwein als Noname auf den Markt kommt. Darüber sind die Weine mit geografischer Angabe angesiedelt, die als Wein mit »geschützter geografischer Angabe« (g.g.A.) oder »geschützter Ursprungsbezeichnung« (g.U.) den vormaligen Land- und Qualitätsweinen entsprechen und diese Begriffe als Synonym fortführen dürfen. Für Verbraucher und Außenstehende eine äußerst verwirrende Angelegenheit, wenn von einer Reform des Weinrechts gesprochen wird, sich im Grunde an den Bezeichnungen nichts ändert. Geht es nach den Vorstellungen der Rheinhessen, dann beginnt die deutsche Weinpyramide erst ab den Weinen mit geografischer Angabe, die oberhalb der Nennung des Mitgliedstaates liegt. Deutscher Tafelwein, Deutscher Wein oder wie man die Basis auch immer nennen mag, hätte somit keine Bedeutung.
Details, was und wie die Weine mit geografischer Angabe definiert werden, sollen in Zukunft in den Lastenheften der Schutzgemeinschaften festgelegt werden. Regeln und Vorstellungen, anhand welcher Kriterien und in welchen Grenzen bezüglich Ertrag, Rebsorten, Alkoholgehalten, oenologischen Verfahren, etc. die Produktion solcher Weine mit geografischer Angabe in Zukunft zulässig sein sollen, will das Bundeslandwirtschaftsministerium in den kommenden Monaten vorlegen. Personelle Engpässe im Ministerium lassen vermuten, dass die Vorschläge eher später als früher auf den Tisch kommen. Dabei drängt die Zeit. Niemand kann derzeit vorhersagen, wie lange Parlament und Regierung noch Bestand haben. Vermutlich, wenn in der zweiten Oktoberhälfte die SPD-Mitglieder ihre neue Führungsspitze küren, wird es ungemütlich auf den Regierungsbänken. Dann könnte eine Reform des deutschen Weinrechts in weite Ferne rücken. Eine neue, vermutlich grün orientierte Regierung würde mit Sicherheit andere Akzente setzen. Dann gäbe es viel Zeit für Diskussionen.
Doch um was geht es im Grundsatz, und was steckt hinter den Vorschlägen? Genau genommen wollen die Rheinhessen den Status quo bewahren. Würde wahr, was sie wünschen, bliebe alles beim Alten, und es würde wie eh und je in Deutschland zu nahezu 100 Prozent Qualitätswein produziert. Das wäre ja nur eine Frage, wie man in den Lastenheften die Grenzen definiert. Es bliebe beim gewohnten Einerlei, in dem alles vom Billig- bis zum Premiumwein unter der Flagge des Qualitätsweins segelt. Aber wer alles zusammenwirft, bekommt einen Eintopf, und der kann, muss aber nicht gut schmecken, wie jeder nur allzu gut aus Kindertagen weiß. 
Um dem Problem näherzukommen, muss man sich ja nur mal fragen, was der Verbraucher denkt, wenn er einen Dornfelder Rosé QbA Rheinhessen/Pfalz für 1,49 Euro, wie kürzlich bei Aldi, kaufen kann und dann im nächsten Laden, beim Winzer oder sonst wo, mehr als das Fünffache für einen ebenso bezeichneten Qualitätswein berappen soll. Er ist verwirrt, und wer verwirrt ist, kauft den Wein nicht, zumindest nicht den teureren. So einfach ist die Welt. Wein braucht als ästhetisches Produkt eine klare Differenzierung, und die leistet das deutsche Weinrecht bislang nicht.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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