Ausgabe 04/2019

Sommerweh

Titel WW 4/2019

Die bislang bekannten Zahlen für den Weinabsatz in  Deutschland weisen alle in die gleiche Richtung: Das Marktvolumen ist um ein paar Prozent geschrumpft. Trinkweinbilanz, Importstatistik und auch die von Nielsen und Information Resources erhobenen Absatzzahlen im Lebensmitteleinzelhandel dokumentieren einen Rückgang der Menge. Am schmerzlichen Befund gibt es vermutlich nicht viel zu deuteln. Sind die Deutschen des Weines müde geworden? Macht sich der Generationenwandel bemerkbar? Was sind die Gründe für den Rückgang? Gibt es Erklärungen?

Wer Ursachenforschung betreibt, muss sich nur in der Branche umhören: »Nur kein solcher Sommer mehr«, stöhnte eine Weinhändlerin aus dem süddeutschen Raum auf die Frage, wie das vergangene Jahr gelaufen sei. Während der Hitzeperiode des letzten Jahres kam der Weinkonsum zum Erliegen. Die  Leute hatten keine Lust auf Wein. So simpel und einfach die Erklärung ist, wirft sie doch mehr Fragen und Spekulationen über die Zukunft von Wein in Deutschland auf und fördert zugleich viel Widersprüchliches und Ärgerliches zutage. Zumindest zur Hälfte ist Weinkonsum für die deutschen Weintrinker der Genuss von Rotwein. Den trinkt man nicht bei flirrenden Temperaturen oberhalb der 30 Grad Celsius. Weißwein oder Weißwein als Schorle ist was für die Hardcore-Szene der  Schoppentrinker und vor allem in den Weinbaugebieten verbreitet, die, wie ein Pfälzer Ureinwohner auf die Frage antwortet, was er trinke, wenn er mal Durst habe: »Soweit lasse ich es erst gar nicht kommen«.

Schorle als Durstlöscher an heißen Tagen wird den Verzicht auf kräftige Rotweine sicher nicht ausgleichen können und schon gar nicht für die Weinhändler und ihr Geschäft. 

Für den Handel bedeutet der Verzicht auf Rotwein nicht nur Mengen- sondern auch Margeneinbußen, da Rotweine zu höheren Preisen verkauft werden und entsprechend höhere Margen bieten, was sich in absoluten Zahlen messen lässt. Fünf oder zehn Prozent mehr oder weniger sind am Jahresende aber kriegsentscheidend über Wohl und Wehe eines Weinhändlers.

Der Konsumverzicht in heißen Sommern offenbart ein grundsätzliches Problem des deutschen Weinkonsums oder besser des Konsumverhaltens: Wein ist kein Teil der Lebenskultur und schon gar kein Teil der Esskultur in Deutschland. Ausnahmen bestätigen die Regel. Weine werden meist solo, nach dem Essen oder den Abend über konsumiert. Da trinkt sich bei subtropischen Temperaturen was frisch Gekühltes besser als ein Rotwein mit 13, 14 oder mehr Volumenprozent Alkohol, der dazu ganz dem angesagten Passito-Style entsprechend mit üppiger Süße am Gaumen klebt. 

Überhaupt ist die Süße eines der Haupthindernisse, die Konsumenten an bessere Weine heranzuführen, die auch dann schmecken, wenn man die Füße am liebsten in einen Eiskübel stellen würde. 

Süße, bin ich überzeugt, verhindert, dass Wein Teil einer nachhaltigen Genusskultur in Deutschland wird. Selbst die hoch gelobten, »geilen« Weißweine der hippen Jungwinzer und angesagten Weingüter erweisen sich mit wenigen Ausnahmen als süßübertünchte Modeschnittchen. Hübsch auf den ersten Schluck, zäh beim weiteren Konsum. So wird eine Flasche Wein niemals leer, mit fatalen Folgen für den Weinmarkt.

Wenn der Marktführer schwächelt und verdrängt, dass beim Wein auf Dauer nur Authentisches zählt, muss sich über fehlende Attraktivität nicht wundern. Bis heute haben es die deutschen Weinerzeuger versäumt eine klare Linie für die Profilierung ihrer Produktion zu finden. Was bis dato als Lösungsmodelle diskutiert wird, erscheint wenig geeignet, die Situation zu verbessern. 

Viele Weine sind heute mehr weinhaltiges Getränk als tatsächlicher Wein. Mein Rat an den Handel: Gehet hin, besucht die ProWein und fahndet nach dem Authentischen.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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