Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
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Stefan Nink strandet in einem irischen B&B

Bei der Ankunft am Freitagmorgen war der Himmel über Irland mit dunkelgrauem Gewölk überzogen, das aussah wie der Hintergrund dieser historischen Gemälde, auf denen Segelschiffe in Seenot geraten. Der Regen begann fünf Minuten später. Er wollte nicht mehr aufhören. Ich fuhr gerade durch Cloghane, als die Scheibenwischer ihren Dienst quittierten. Es liege am Motor, sagte der Mann an der Tankstelle, am Scheibenwischermotor, da müsse ich wohl Montagfrüh bei der Mietwagenfirma anrufen. Bei der Frage, ob es im Ort denn eine Unterkunft gebe, hellten sich seine Gesichtszüge auf. Er rief seine Cousine an. Molly hatte ein Bed & Breakfast, und Molly hatte ein freies Zimmer.

Was nur die halbe Wahrheit war: Außer mir gab es keinen Gast. Molly stellte sich mit den Worten „I’m Molly and I’m 82“ vor. Sah älter aus, die Molly, 15 Jahre, mindestens. Und einen ähnlichen Eindruck machte auch das Zimmer: Mobiliar aus dem vorletzten Jahrhundert, vergilbte Blümchenmotivbezüge und im Bad einer dieser schrecklichen Teppiche in Altrosa. Mein Handy hatte keinen Empfang, aber immerhin funktionierte das Telefon am Bett, eines dieser schweren Geräte, wie man sie aus alten Filmen kennt. Ich rief die Mietwagenfirma an und besprach den Anrufbeantworter.

Molly tat so, als habe sie nicht zugehört. Sie fragte, ob ich ihr kurz helfen könne: Sie wolle Blumen zum Friedhof bringen. Anschließend musste ich dann im strömenden Regen eine Schubkarre mit einer kleinen Gärtnerei drin einen Feldweg hinaufschieben. Der Friedhof von Cloghane ist übrigens leicht unheimlich, bröckelnde Mauern, vermooste Grabsteine und große Krähen, die einen durchdringend ansehen. Zum Glück waren wir nicht allein, weil auch Edna und Margareth ihren Gärtneraufgaben nachkamen. Das sind Mollys beste Freundinnen, wie sich herausstellte. Weil sie noch älter als Molly aussahen, erklärte ich mich bereit, mehrere Sack Erde auf den Gräbern ihrer Männer zu verteilen. Anschließend kam ich mit Mollys Schubkarre kaum noch zurück ins B&B.

Am nächsten Morgen regnete es noch immer, und bei der Mietwagenfirma sprang wieder der Anrufbeantworter an, offenbar gab es keinen Notdienst am Wochenende. Molly musste gelauscht haben, jedenfalls strahlte sie, als ich sie im Flur traf. Am Nachmittag feiere Nathan Geburtstag, erklärte sie. Der wohne ein Stück außerhalb, da könne ich sie vielleicht begleiten, sie habe ja solche Probleme, auf Feldwegen zu gehen. Nathan wohnte, wie sich herausstellte, am Ende eines fünf Kilometer langen Trampelpfades. Es schüttete noch immer. Statt des erhofften Whiskys schenkte Nathan lieblichen Moselriesling aus, und dann begann einer der Gäste zu singen, Danny Boy, Carrickfergus, was man so kennt. Edna und Margareth hatten Tränen in den Augen; selbst Mollys Blick wurde feucht. Als wir später im Dunkeln über den völlig aufgeweichten Feldweg nach Hause taperten, stolperte ich und fiel der Länge nach in den Matsch. Molly befahl mir, nachher bloß nicht den Altrosa-Teppich schmutzig zu machen. Offenbar war ihre Rührung schnell wieder verflogen.


Am nächsten Morgen schien die Sonne. Über dem Meer braute sich schon das nächste Regentief zusammen, aber bis das kam, würde ich mit meinem defekten Scheibenwischer in Sicherheit sein. Im Rückspiegel sah ich, wie Molly winkte, mit ihrem Taschentuch. Sie sah tatsächlich ein wenig traurig aus.

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Ausgabe 03/2024

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