Zwiesprache

Peter H. MüllerEin böses Wort, das einem auf der Zunge liegt, sollte man auch da liegen lassen“, sagt ein Sprichwort. Beruflich bedingt ist es naturgegeben, dass zum Beispiel ein Tischlermeister bei seinem Gang in die Kirche nicht umhinkommt, wahrzunehmen, wie das Schnitzhandwerk des Chorgestühls ausfällt und in welcher Art die Sitzbänke verarbeitet sind. Das ist schier unmöglich abzuschalten und bei jedem Berufszweig haargenau dasselbe. Wir Gastronomen nehmen anderes wahr. Wie etwa sind Tischdecken und Servietten aufgelegt und ausgerichtet? Mit welchem System arbeitet der Service, um seine Abläufe umzusetzen? Wir finden Fehler auf Weinkarten und fragen uns, ob der Chef de Rang der Station ebenfalls mitbekommen hat, dass am Nachbartisch eine Serviette heruntergefallen ist. Dass wir dies wahrnehmen, können wir kaum verhindern. Dass wir den Drang haben, uns in jenem Moment damit zu befassen, sehr wohl. Uns Menschen fällt es leicht, zu kommentieren, zu bewerten und über andere herzuziehen. Doch böse Zungen haben keinen guten Geschmack. 

Wenn ich essen gehe, entscheide ich mich dafür, eine gute Zeit zu haben. Ich bin nicht da, um zu testen und zu urteilen, sondern um in lustvollen Happen zu speisen, um in genussvollem Schluck zu trinken und um sich in guten Gesprächen zu vertiefen, mit Menschen, die über die richtige Menge Herz, Kopf und Bauch verfügen. Von daher ist dies quasi ein offener Brief, bewusst an und nicht über die Lästermäuler unserer schönen Zunft.

Mit Euch möchte ich nicht essen gehen. Ich möchte nicht auf Fehlersuche sein. Ich brauche auch niemanden, der mir nach dem Abservieren eines Ganges, Bestätigung suchend, erzählt, dass das jetzt ja mal höchstens 13 Punkte wert war. Wenn das Deine Meinung ist, dann sag’ es nicht mir, sondern dem Küchenchef – und zwar unter vier Augen. Ich möchte auf der Rückfahrt nicht besprechen, was man alles hätte besser machen können. Ich habe kein Verständnis dafür und fühle mich unwohl dabei, wenn sich geärgert wird, dass man auf nichts eingeladen wurde, nur weil man als Kollege bei Kollegen eingekehrt war, und man diese womöglich noch nicht einmal persönlich kennt. 

Mit einer solchen Erwartungshaltung begibt man sich auf die Ebene jener Gäste, die nach der Beanstandung eines leicht welken Salatblatts zur Wiedergutmachung zumindest mit zwei Gläsern Champagner zufriedenzustellen sind, wenn nicht sogar mit einem Gutschein zur Übernachtung fürs nächste Mal meckern. Ich möchte nicht über Dritte sprechen, wenn der Ausgangspunkt der Unterhaltung von vornherein auf ein ungutes Ergebnis abzielt. 
Ich möchte mich stattdessen ablenken lassen, möchte schwelgen und bereichernde Gespräche führen. Ich will das Essen nicht zerreden, sondern kauen. Aus diesem Grund möchte ich mit Grantlern auch nicht essen gehen. Mit allen anderen aber jederzeit gerne. Es sei denn, es handelt sich um Arschlöcher.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote