Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
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Stefan Nink im vietnamesischen Herrensalon

Es klingt, als ob ein Volksmusiker zwei Suppenlöffel aufeinander schlagen würde: ziemlich laut – und ziemlich hohl. Ist meine Stirn, die so klingt. Unter den Händen von Mrs. He, die soeben ihre Massage-Einheiten begonnen hat. Mrs. He ist ungefähr 1,40 Meter groß, wiegt vielleicht 38 Kilo und besitzt wahrscheinlich in jedem einzelnen Fingerchen so viel Kraft wie ich in einer Hand. Mrs. He ist Fachkraft in „Van Hai Barber’s Room“, einem Schönheitssalon für Männer in der Hafenstadt Phan Thiet. Aber das spielt keine Rolle. Mrs. He könnte überall in Vietnam sein. Der „Van Hai Barber’s Room“ auch.

Und wie bin ich hierhin geraten? In diesen Zahnarztstuhl, Baujahr 1904? In diesen Herrensalon? Dumme Wette. Fußball. Mainz 05. Andere müssen sich eine Glatze scheren lassen, wenn sie verlieren, das geht bei mir nicht mehr. Also beschloss mein Kumpel: Dann eben in den Schönheitssalon. Ich trank mein Glas Wein aus und ging hinüber. Die Verständigung mit Mrs. He ist schwierig: Sie spricht kein Wort Englisch, ich etwa siebzehn Worte Vietnamesisch. Unsere Kommunikation wird zusätzlich durch den Geräuschpegel beeinträchtigt: „Van Hai Barber’s Room“ ist kein Ort der meditativen Stille.

Neun weitere Mitarbeiterinnen sind schnatternd mit Kunden beschäftigt; etwa die gleiche Zahl kundenloser Kolleginnen unterhält sich angeregt von einem Ende des schlauchartigen Salons zum anderen. In der Mitte der verspiegelten Wand steht ein ohrenbetäubend laut plärrender Fernseher. Es läuft „Vietnam sucht den Superstar“. Mrs. He stört das alles nicht. Sie legt neue heiße Tücher auf mein Gesicht. Verteilt mit einem winzigen Zeigefinger winzige Würstchen Rasiercreme. Und bereitet ein Messer von der Größe einer Machete vor, dessen Plastikgriff im Neonlicht lustig rot schimmert.

Dann rasiert Mrs. He. Schabt und kratzt, fühlt und begutachtet. Zuerst den Bart. Dann die Schläfen. Dann die Stirn, die Nase und schließlich die Augenlider, irgendwo wird sich schon noch ein Härchen finden lassen. Es folgen heiße Tücher, Rubbeltücher, Trockentücher. Diverse Gesichtswasser und Lotionen, wieder Tücher. Und die Löffelmassage. Für die Arbeit am Schädel gibt es einen eigenen Raum in Wellblechhüttenoptik. Statt Zahnarztsesseln stehen hier OPLiegen.

Leider kann ich aus der Horizontalen nicht beobachten, was Mrs. He genau macht – es fühlt sich allerdings so an, als wolle sie furchtbar gerne mein Hirn in eine andere Form bringen und ärgere sich nun über den Schädel, der ihr dabei im Weg ist. Sie spricht mit sich selbst, und je länger sie da oben presst und schiebt und drückt, umso zischelnder werden ihre Laute. Irgendwann scheint sie zufrieden und hört zu zischeln auf. Stattdessen wird nun eine Art Kokospaste auf meinem Gesicht verteilt, und über meinem Kopf erscheinen fremde Augenpaare – die Kolleginnen nutzen die hilflose Lage des Fremden zu einer genauen Inspektion. Mrs. He lässt sich dadurch natürlich nicht beirren.

Sie zieht an meinen Ohrwascheln, quetscht meine Nasenflügel, hämmert auf den Schläfen herum und drückt das Kinn nach oben und unten. Und nach rechts und nach links. Und im Kreis herum. Dann muss ich von der Liege auf den nächsten Stuhl, der tatsächlich wie ein Friseurstuhl aussieht, zumindest kann man aufrecht sitzen. Wir schauen uns im Spiegel an. Mein Kopf sieht aus, als stünde er kurz vor der Explosion. Er fühlt sich auch so an. „You beautiful“, findet Mrs. He. Ich bedanke mich artig, winke den anderen Damen zu und zahle 25 000 Dong, weniger als einen Euro.

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Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

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