Ihr Ding

Keine Hektik: Malte Feldmann und Jan Pfeiffer zeigen, wie man mit Handwerksbier nachhaltig einen lokalen Markt erschließt.

Text: Benjamin Brouër / Fotos: Elke Vogelsang

Keine Bierfeste, kaum Bankfinanzierung, ein Mini-Sudwerk, dafür aber eine professionelle Abfüllanlage – Malte Feldmann und Jan Pfeiffer gehen mit der "Hildesheimer Braumanufaktur" ihren ganz eigenen Weg. Und liefern dabei wertvolle Tipps für Craft-Start-ups. 

Auf die Schnelle geht die Story so: Der Hildesheimer Jan Pfeiffer und der Ostwestfale Malte Feldmann lernen sich beim Studium der Getränketechnologie in Lemgo kennen. Die Freunde haben den gleichen Traum: irgendwann eine eigene Brauerei eröffnen. Jan Pfeiffer arbeitet nach dem Studium zunächst als Laborleiter in der Molkereiindustrie, wagt aber schon bald erste Schritte als Gypsy Brewer, gründet seine Marke „Hödeken Bräu“ und braut erste Biere für seine Heimatstadt. Als ihm als Location ein altes Wasserwerk auf einem 10.000 Quadrat­meter großen Grundstück angeboten wird, scheint der Traum Wirklichkeit werden zu können. Er ruft seinen Studienfreund an, der mittlerweile in Wien bei der Lichtenthaler Gasthaus-Brauerei als Brau­meister arbeitet. Malte Feldmann bricht die Zelte ab, zieht in die niedersächsische 100.000-Einwohner-Stadt und stürzt sich mit Jan Pfeiffer ins gemeinsame Abenteuer. Am 23. April 2016 überfallen mehr als tausend durstige Bürger die Jung-Brauer und trinken anlässlich der Eröffnung der Hildesheimer Braumanufaktur eine halbe Monatsproduktion weg.

Zeitraffer aus, Lupe raus. Was im Schnelldurchgang wie eine von vielen Gründerstorys klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als lehrreiches Stück für Einsteiger ins Biergeschäft. Denn auf ihrem Weg zur eigenen Braumanufaktur haben die beiden viele wichtige, teils unkonventionelle Entscheidungen getroffen.

Die Finanzierung

Neben viel Blut, Schweiß und vielleicht auch ein paar Tränen haben Jan Pfeiffer und Malte Feldmann etwa 140.000 Euro in das Projekt gesteckt, um das alte Wasserwerk aus der Jahrhundertwende in eine funktionierende Brauerei zu verwandeln. Eine – bewusst – überschaubare Summe für Anlagen, Baumaßnahmen sowie Verbrauchsmaterial und einen Rohstoffgrundstock, die dennoch erst einmal finanziert werden muss. „Es gab Gespräche mit mehreren Banken und auch Finanzberatern“, blickt Jan Pfeiffer zurück, „doch die Verhandlungen haben sich ewig hingezogen.“ Bald zeichnete sich ab, dass dieser Weg in die Sackgasse führt: „Die hatten keine Ahnung vom Markt, aber auch keine Muße, sich damit zu beschäftigen. Die wussten nur von Brauereien, denen es aktuell schlecht geht.“ Abgesehen von einem kleinen Kredit stemmten sie die Anfangsinvestition für die Sudanlage und die erste Renovierung also aus Eigenmitteln. Bei der zweiten, wesentlich umfangreicheren Runde für Abfüllanlage und Etikettierer in Höhe von 80.000 Euro mussten dann aber doch externe Quellen angezapft werden.

Zwischenzeitlich war ein einzelner Investor im Gespräch, schließlich wurden es viele verschiedene aus Familie und Freundeskreis, die einen Großteil der Summe finanziert haben. Eine charmante Lösung, dieses private Crowdfunding, die jedoch auch ihre Nachteile hat: „Man muss das abwägen, schließlich sind wir bei Freunden und Familie jetzt Schuldner“, gibt Jan Pfeiffer zu bedenken. „Mit jedem Einzelnen haben wir deshalb Laufzeit und Zinsen verein­-bart, im Schnitt einen Zeitraum von sechs
Jahren. Und zum Start eine tilgungsfreie Zeit, denn wir wussten ja nicht, wie die
Sache anläuft.“

Das Sudhaus

„Unser Sudhaus ist streng genommen ein ziemlich schrottiges Ding, aber man kann drin brauen, und das beweist ja auch, dass man etwas auf dem Kasten hat“, sagt Malte Feldmann. Gerade einmal 250 Liter pro Sud können in der Anlage, die sie günstig von einer Gasthausbrauerei aus Bad Gandersheim erstanden haben, eingebraut werden. Viel zu wenig eigentlich, ebenso wie die rund 6.000 Liter Lagerkapazität – das wissen beide, aber für den Start okay, zumal sich die Ergebnisse wirklich schmecken lassen können. „Klar, das Sudhaus wird irgendwann zum Problem, aber die nächste Anlage soll sich selbst finanzieren, ohne weiteres Fremdkapital aufzunehmen“, zeigt sich Jan Pfeiffer optimistisch. Bis dahin müssen die beiden „rumplätschern und Schläuche umstecken“, haben Maische
auf dem Boden – „kleckerndes Arbeiten“ nennt Malte Feldmann das schmunzelnd.

Denn: Die ganze Automatik mit elektro­magnetischen und pneumatischen Ventilen haben sie ausgebaut und damit Platz fürs Handwerk geschaffen. „Wieso braucht man bei solch einer Mini-Anlage eine Vollautomatik?“, fragten sie sich. Überhaupt: „Ein vollautomatisches Sudhaus kann sich jeder hinstellen, dann noch einen tollen Gärkeller dazu. Aber am Ende steht dann eine händische Abfüllanlage, und der Brauer kommt nicht in Gang“, schildert Malte Feldmann das abschreckende Beispiel, um direkt ihre eigene Lösung zu präsentieren…

Die Abfüllanlage

Ungewöhnlich: Wesentlich mehr Geld als in das Sudhaus haben die Hildeshei­mer Braukünstler in die eigene Abfüllanlage investiert. Genau gesagt: 80.000 Euro inklusive Etikettiermaschine. Für Malte Feldmann jedoch eine ganz logische Entscheidung: „Es gibt viele Brauereien mit an sich guten Bieren, die aber bei der Ab­füllung per Hand an Qualität verlieren.“ So kann die Abfüllung schnell zum Flaschenhals in der Produktion werden. In Hildesheim wurde, um im Bild zu bleiben, zunächst der Hals geweitet, und alles andere – Sudhaus, Lagertanks – kann nun nachwachsen. „Wir haben uns bewusst für ein System entschieden, das uns von Beginn an eine gute Abfüllqualität beschert und auch in ein paar Jahren noch gute Dienste leisten wird."

Geringer Platzbedarf, hohe Leistung, gute Abfüllqualität mit geringer Sauerstoffaufnahme bei bezahlbarem Preis – all diese Vorstellungen erfüllt das Modell der amerikanischeMalte und Jan an ihrem Meheen-Abfüller. 1.300 Flaschen pro Stunde sind drin. n Firma Meheen (www.meheen.com), das in der Hildesheimer Braumanufaktur seine Deutschlandpremiere feierte. „In Tallinn hingegen steht schon in jeder Craftbrauerei so ein Modell“, berichtet Jan Pfeiffer von seiner Auslandsexkursion. Rund 1.300 Flaschen pro Stunde schafft die Anlage mit sechs Füllorganen, zwei Personen müssen vor Ort sein und bedienen. Mit dieser Infrastruktur locken die Hildesheimer mittlerweile auch andere Kleinbrauereien, ihr Bier im alten Wasserwerk abzufüllen. Unter den ersten Interessenten: die Brauerei, in der Feldmann und Pfeiffer anfangs noch ihr Bier per Hand abgefüllt haben.

Die Kalkulation

Mal so richtig abheben, knietief ins Risiko gehen und über die Verhältnisse leben – das überlassen die beiden 30-Jährigen dann doch lieber anderen. So kreativ und innovativ Malte und Jan beim Brauen auch sind, die Kalkulation gehen sie vorsichtig, ja nahezu konservativ, an. Eine reine Mindestsicherung, also Geld für Essen, Wohnung und Krankenversicherung, haben sie in der Startphase für sich kalkuliert. „Genau das fanden die Banken wahrscheinlich etwas unsexy“, mutmaßt Malte Feldmann, fühlt sich im behutsamen Vorgehen aber bestätigt. Den Businessplan haben sie geschickt vereinfacht. Ihre Kalkulation baut auf der Annahme auf, dass die gesamte Produktion in Flaschen abgefüllt wird und in den Einzelhandel geht. Malte Feldmann verdeutlicht: „Wir haben also als Rechnungsbasis den Weg angenommen, der am zeitaufwändigsten und teuersten ist, demzufolge die geringste Marge erzielt.“ Mit anderen Worten: Jeder Liter Bier, den sie direkt und häufig vom Fass verkaufen, sei es beim Vor-Ort-Verkauf in der Brauerei, sei es bei Veranstaltungen, kommt der Kalkulation und somit dem Ergebnis zugute. Gar nicht in die Rechnung einbezogen sind zudem Führungen und private Feiern in der Brauerei, Verkostungen sowie Braukurse – allesamt aber Standbeine, die sich schon jetzt gut etabliert haben und die Bilanz zusätzlich aufpolieren.

Leicht verschätzt haben sich die Handwerksbrauer jedoch beim monatlichen Bierausstoß. Bei einer Lagerkapazität von 6.000 Litern und einer durchschnittlichen Lagerzeit der Biere von fünf bis sechs Wochen (!), so die Hoffnung, sollten am Ende jedes Monats gut 4.300 Liter an verkaufsfähigem Bier rauskommen. „Wir mussten aber einsehen, dass das Bruttovolumina sind“, berichtet Jan Pfeiffer. „Wir haben mit etwas weniger Verlusten, zum Beispiel bei der Abfüllung, gerechnet.“ Mittlerweile jedoch haben sie die 4.000-Liter-Marke erreicht – ein Break-Event-Point, den sie schon etwas früher einkalkuliert hatten. Eine weitere Steigerung? Nur über den Ausbau der Lagerkapazitäten möglich, denn an die andere Stellschraube, die Lagerdauer der Biere, wollen sie auf keinen Fall ran. Schließlich fußt die Qualität ihrer Biere zu großen Teilen auf der langen Lagerung.
Die Vermarktung

Ein heißes Wochenende Ende August 2016: Gefühlt halb Hildesheim ist in der Innenstadt auf den Beinen und stillt den Durst bei der 3. Hildesheimer Bierbörse. Einen Stand der einzigen Brauer, die in der Stadt Bier produzieren, suchen die Besucher allerdings vergebens – und wundern sich. „Das ist gut, dann sollen sie sich wundern und fragen“, sagt Malte Feldmann. Warum also die Abwesenheit? „Das ist nicht unser Weg, nicht das Bierfest, das wir uns wünschen. Wir wollen nicht erst 700 Liter Bier verkaufen müssen, um die Standgebühren und Personalkosten zu finanzieren und bei einem verregneten Wochenende vielleicht sogar mit einem Minus rausgehen.“ Überhaupt stehen sie Bierfesten kritisch gegenüber. Die reinen Verkostungsfestivals, bei denen das Bier nur in homöopathischen Dosen verkauft wird, seien wirtschaftlich gesehen ganz hart. Und bei den üblichen Bierfestivals mit angepriesener „internationaler Biervielfalt“ würden sich im Endeffekt doch nur die großen Lagerbiermarken dieser Welt präsentieren. Da gibt es Wege, ihr Bier lukrativer und zielgerichteter an den Mann zu bringen. Zum Beispiel beim Bauernmarkt Ende September in der Stadt, inmitten von anderen handwerklich produzierten Lebensmitteln und Waren. Bereits nach zwei Stunden war Ebbe in den mitgebrachten Fässern.

Am wichtigsten – auch was die Marge anbelangt – ist der wöchentliche Brauereiverkauf (immer donnerstags von 15 bis 19 Uhr), bei dem sie etwas mehr als die Hälfte ihrer Produktion verkaufen. Von jung bis alt, von Student bis Professor kommen sie in das alte Backsteingebäude, bleiben auf ein oder mehrere Biere da, packen auf dem Heimweg 12er-Kisten ins Auto (oder aufs Fahrrad) und berichten den Bekannten dPatina an der Wand, frisch Gebrautes in der Flasche. Der Werksverkauf bildet bei den Hildesheimern eine wichtige und lukrative Stütze. avon, was in dem alten Wasserwerk mittlerweile zutage gefördert wird. Wer es donnerstags nicht zum Brauereiverkauf schafft, kann die „Biere aus der Hildesheimat“ in einem der drei örtlichen Hol’ab-Märkte oder den spezialisierten Rewe- und Edeka-Märkten, teilweise sogar aus der Kühlung, kaufen. Der Handel ist heiß auf das lokale Bier, Preisverhandlungen gibt es daher kaum. Hier und da allerdings lange Gesichter, denn die Nachfrage übersteigt mittlerweile die Kapazitäten und nicht alle gewillten Händler können derzeit verlässlich bedient werden. Noch gar kein Thema ist daher die Gastronomie, die sich auf eine stete Belieferung verlassen muss. Malte Feldmann und Jan Pfeiffer sehen es (noch) gelassen: „Unsere Kundschaft ist schon sehr geduldig. Wenn hin und wieder mal eine Sorte aus ist, gehört das eben zum Handwerk dazu.“

Die Sorten

Anspruchsvoll, aber nicht verstörend – so bezeichnen die beiden Brauer ihre an das Umfeld einer kleinen Großstadt angepasste Sortenpolitik. Topseller mit gut 50 Prozent Umsatzanteil ist das Keller-Pils, eingebraut mit Pilsener Malz und tschechischen Hopfensorten. Wunderbar norddeutsch-herb und dabei hopfenaromatisch mit blumigen und kräuterigen Noten. Die beiden anderen dauerhaft verfügbaren Sorten sind ein West Coast Pale Ale (fruchtig und herb) sowie das India Brown Ale namens „Brunhilde“ (vielschichtig und voll). Preislich liegen die Standard-Biere zwischen 1,70 und rund 2,10 Euro (ab Werk) bzw. 1,80 und 2,50 Euro im Handel. „Ein Sortiment, mit dem wir gut arbeiten und das wir im Ausschank ordentlich vermitteln können“, verdeutlicht Malte Feldmann. Dazu kommen immer mal wieder „freakige“ Sondersude, bei denen sich Malte und Jan etwas austoben und ihre Kreativität ausleben können, etwa beim Gagelbier, einer Art Grutbier mit Gagel aus dem niedersächsischen Ahlenmoor, oder beim Imperial Blackberry Stout mit handgepflückten Brombeeren aus dem Brauereigarten.

… und zuletzt: Die Ziele

Allen voran wollen und müssen die Hildesheimer mehr Bier brauen, heißt die Lagerkapazitäten ausbauen und den Lagerraum in diesem Zuge umstrukturieren. Zum einen, um mehr Lebensmittelmärkte zu versorgen, zum andern, um auch irgendwann die Gastronomie beliefern zu können. Das zweite große Projekt für das Jahr 2017 betrifft das 10.000 Quadratmeter große Gelände, auf dem das kleine Brauereihäuschen steht. Hildesheim schreit geradezu nach einem lauschigen Biergarten, doch die beiden scheuen, gleich das große Rad zu drehen und voll in die Gastronomie einzusteigen. „Wir wollen auf natürliche Art wachsen“, sagt Jan Pfeiffer. Also machen sie sich zunächst einmal dran, den Brauereiverkauf samt Ausschank in Richtung Wochenende auszubauen. Schritt für Schritt. Und in nicht allzu ferner Zukunft soll dann auch er dran glauben, der alte Sudkessel.

Industriedesign aus der Jahrhundertwende paart sich mit Braukunst der Jetztzeit.