Gastronomische Kurzstrecke

Sebastian BordthäuserDas gehobene Restaurant, so hört man es immer noch, sei ein Ort, an dem alles so steif sei, so förmlich-kathedral und die Kellner alles Pinguine, wie Knetfiguren bei Wallace und Gromit. Man bevorzuge es heutzutage lockerer und nicht so distanziert. Unkompliziert ist das Schlagwort, das in dieser Diskussion immer wieder fällt. Der Wunsch danach ist verständlich, auch wenn das Bild vom förmlichsteifen Service ein uraltes Klischee ist, das wahrscheinlich nur von Leuten bemüht wird, die nie in gute Restaurants gehen, denn sonst würde es sich nicht so lange halten. Die Wahrheit sieht mittlerweile ganz anders aus. Arbeit ist Kraft mal Weg, und der Weg, also die Distanz zum Gast, wird oft als zu groß bekrittelt.
 
Ich würde das nicht unterschreiben, sondern soweit gehen zu sagen, sie ist zu kurz. Distanz wurde ersetzt durch gastronomische Kurzstrecke. Das ist immer günstiger. Und kostet weniger Kraft. Dass Gastronomie sich stets neu erfindet und überdenkt, ist nicht nur wünschenswert, sondern zwingend notwendig. Keiner mag 23 Kellner am Tisch die erst die umfangreiche Brot-Litanei eröffnen, dann 14 verschiedene Möglichkeiten Mineralwasser zu trinken abfragen, um dann die Teller so lange erklären, bis sie kalt sind. Das hat sogar das letzte klassische Haus verstanden und umgesetzt. Bei vielen Erfolgsrezepten gibt es heute mittlerweile gar keinen Service mehr, man muss sich seinen Kram selber holen, wie bei Ikea. Und dort, wo es noch Service gibt, wird es zunehmend distanzlos. Das scheint ein Trend zu sein.
 
Ein guter Freund von mir führte letztens seine Oma zum Essen aus. Eine 90-jährige Dame, für die wahrscheinlich alle Kellner entlaufene Sträflinge sind, weil Tattoos zu ihrer Zeit eben eine andere Bedeutung hatten. „Hat’s Dir geschmeckt?“ fragt der Kellner beim Abräumen. Wohlgemerkt, er fragte die Oma, nicht meinen Freund. Ist das Fortschritt? 
 
Die Pest, dass alles und jeder geduzt wird, um so die Store-Philosophy zu demonstrieren, greift um sich. Der Barrista in der Kaffeebude fragt mich wie mein Tag war. Was geht den das denn an? Der neuerliche Gang zur besten Burgerschmiede der Stadt geriet zu einer ähnlichen Farce. „Hallo, cool dass Du mal wieder reinschaust. Nimm doch noch den Bacon dazu, den magst Du doch so gerne, und unsere neuen handcrafted Pommes hattest Du letztens auch noch nicht, oder? Ich bring Dir grade schonmal Dein Lieblingsbier und Deiner Freundin etwas zum Probieren.“ So ging es in einem fort. Als wir das Lokal verließen, fragte meine Begleitung, woher ich den aufgedrehten jungen Mann kenne und dass ich augenscheinlich öfter dort sei. Meine Antwort war kurz: Gar nicht und zum ersten Mal. Sind solche platten Floskeln wirklich gut um Nähe zu schaffen? Um die soll es doch gehen. Nähe zum Gast, Vertrauen and all that Jazz. Und solche Ausreißer betreffen keinesfalls allein die junge Szenegastronomie. Die Pandemie grassiert von der Streetfood Bude bis zum Sternerestaurant. „Munddusche?“ fragt der Sommelier und deutet auf eine Flasche Champagner in seiner Hand. Er wollte mir einen Aperitif anbieten. Auch der Restaurantleiter war einfühlsam und fragte ob es geschmeckt habe: „Und? Leckerchen?“ 
 
Das Fieber greift schnell um sich. „Nimmst Du noch einen Kaffee mit?“, fragt die Kassiererin an der Tankstelle jovial und kniept das linke Auge zu. Die muss bei Starbucks gelernt haben denke ich. Einen Laden, den ich eigentlich bei Lebzeiten niemals als Kunde betreten wollte, bis ich eines frühen morgens dringend meine Hände waschen musste. „Nur für Kunden“, sagte die vorher breit lächelnde Bedienung und setzte in tiefem persönlichen Bedauern ihr trauriges-Emoticon Gesicht auf. Ich bestelle also das preiswerteste Getränk um an den Customer Schlüssel zum Glück zu bekommen. Sie lacht wieder und fragt nach meinem Namen. „Herr Müller“, sage ich und freue mich diebisch darüber, das perfide System gefickt zu haben. „Herr Müller, dein Kaffee ist fertig“, dröhnt es durch den Laden, als ich den Schlüssel an der Theke abgebe. Das Mädchen lacht. Mich an? Aus? In jedem Falle: Zu Recht - sie hat gewonnen.
 

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote