Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
Foto: Ralf Ziegler/AdLumina

Stefan Nink über das Abenteuer Straßenbahn fahren in Lissabon

Vor allem müsse man gleich zu Beginn seines Aufenthaltes unbedingt in die 28 steigen, stand im Reiseführer: Nichts bringe einem die Stadt näher als eine Fahrt mit ihrer berühmtesten Straßenbahnlinie. Also nahmen wir die 28, an unserem ersten Tag in Lissabon. Stellten uns brav in die Schlange an der Haltestelle am Largo Martim Montiz, kauften Fahrkarten und setzten uns an ein geöffnetes Fenster. Dann waren wir bereit, uns die Stadt näher bringen zu lassen.

Das passierte dann auch gleich. Allerdings nicht uns, sondern einer amerikanischen Touristin auf der anderen Wagenseite. Die hatte den Hinweis im Reiseführer, die legendäre Linie 28 fahre manchmal haarscharf an den Altstadthäusern vorbei (worauf sich die Legende der 28 unter anderem gründet), offensichtlich nicht sehr ernst genommen und sich zum Fotografieren aus dem Fenster gelehnt. Wir mussten unsere Fahrt unterbrechen, damit die Frau die Reste ihrer Videokamera von den Gleisen klauben konnte. Ein Pflaster brauchte sie auch. Wie habe er nur so nah an der Hauswand vorbeifahren können, wollte sie vom Schaffner wissen. Der Schaffner zuckte mit den Schultern. Er sah ganz traurig aus. Aber das, stand im Reiseführer, tun alle Portugiesen. 

Wir fuhren weiter. Fünf Minuten später hielten wir erneut: Vor uns waren ein Kleinwagen und ein Taxi zusammen gestoßen. Die Autos waren leicht verbeult und standen auf den Gleisen. Hinter uns standen sehr schnell vier oder fünf andere Straßenbahnen. Wir schauten uns Lissabon an, das ja sehr nahe war. Von unseren Sitzen aus konnten wir einen Weinhändler beim Nachfüllen seiner Regale betrachten und die Küche einer älteren Frau, die gerade kochte. Nach ungefähr einer Stunde kam ein Polizist. Als erstes befahl er den Unfallfahrern, ihre Autos je einen Meter zurückzusetzen, damit die Straßenbahnen fahren könnten. Die Menschen, die sich um die leicht gebeulten Fahrzeuge versammelt hatten, zuckten mit den Schultern, als wollten sie sagen: Das hätte uns auch mal einer sagen sollen, das mit den Autos.

Wir konnten nun weiter fahren. Unser Fahrer sah dennoch ganz traurig aus. Ein paar Straßenzüge später hielten wir erneut an. Dieses Mal war das Hindernis nicht vor uns, sondern an der Seite: ein Auto, unter einem Halteverbotsschild, das Heck ragte schräg auf die Fahrbahn – unserer Linie 28 fehlten zwei, drei Zentimeter Luft. Der Fahrer bimmelte mit einer großen Glocke. Der Autobesitzer hörte es nicht. Bald standen sieben Wagen der berühmten Linie 28 hinter uns und bildeten einen bimmelnden Linie-28-Stau. Die sonst so melancholischen Lissaboner waren nun sehr erregt. Die Fahrgäste diskutierten, einige Männer versuchten, das Auto anzuheben; ein Passant fuchtelte mit seinem Stock drohend über der Kühlerhaube des Falschparkers. Dann kam ein Mann mit einem Kind auf dem Arm, lief an den Straßenbahnen vorbei, setzte sich in das Auto und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

Unser Fahrer schaute auf seine Uhr und seufzte. Er habe Feierabend und werde seine Linie 28 nun ins Depot fahren, sagte er. Wir Passagiere müssten uns auf die Straßenbahnen im 28er-Stau hinter uns verteilen. Wir schauten auf die überfüllten Wagen hinter uns und dann die Straße hinunter, in der nach gut einstündiger Straßenbahnlosigkeit etliche Autos nicht wirklich sauber eingeparkt zu sein schienen. Dann gingen wir zu Fuß los. So ein langer Spaziergang zurück zum Hotel soll einem eine Stadt ja auch sehr gut näher bringen.

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Ausgabe 03/2024

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