Hochburg des Pinot Noir
Die Bündner Herrschaft in Graubünden ist ein Paradies für Pinot-Noir-Liebhaber und Heidi-Fans. Eine Reise durch das Burgund der Schweiz führt zu jungen Wilden und alten Hasen im Weingeschäft.
Graubünden ist der größte Schweizer Kanton. Wein gedeiht hier prächtig auf knapp 420 Hektar. Kernzone ist die „Bündner Herrschaft“ mit den vier Gemeinden Fläsch, Maienfeld, Jenins und Malans. Bis ins 17. Jahrhundert wurden hier meist weiße Trauben angebaut. Allen voran Completer, eine uralte, autochthone Sorte, die ihren Namen vom „Completorium“, dem Nachtgebet der Mönche hat. Heute dominiert Pinot Noir. Das Gebiet liegt etwa auf dem gleichen Breitengrad wie die besten Lagen in Burgund, allerdings doppelt so hoch, nämlich 600 Meter über Null. Deshalb wird die Herrschaft auch das „Burgund der Schweiz“ genannt. Die Böden sind meist kalkreiche Schieferböden, die Weinberge liegen teils auf Schuttkegeln, die durch das Schmelzen der Gletscher entstanden sind. Der Föhn tut sein Übriges, er trocknet die Trauben und treibt die Oechslegrade in die Höhe. Ausgangspunkt und Stammquartier für unsere Expedition in die Weinwelt der Bündner Herrschaft ist das „Rössli“ in Bad Ragaz, ein modernes Familienhotel mit einem vorzüglichen Restaurant und einer Weinkarte mit 500 Provenienzen. Dank der liebenswerten Gastgeber Doris und Ueli Kellenberger treffen sich hier viele Winzer nicht nur zu Weinveranstaltungen.
Weine & Winzer
Wir besuchen zuerst Daniel Gantenbein in Fläsch, den absoluten Star unter den Winzern in Graubünden, wenn nicht der gesamten Schweiz. Ursprünglich Maschinenmechaniker übernahm er 1982 mit seiner Frau Martha vier Hektar Rebland. Die Gantenbeins setzen auf High Tech. Ihre Kelterhalle wurde an der TH Zürich geplant und von einem Roboter aus 27000 Ziegelsteinen zusammengebaut. Beide sind Perfektionisten: Burgunder-Klone, Kaltmazeration sowie Vergärung im offenen Holzbottich und Ausbau im Barrique sind Standard. Produziert wird nach dem burgundischen Vorbild großer Vosne-Romanee-Abfüllungen. In bis zu acht Durchgängen werden die Reben vor der Lese ausgedünnt. Zwei Weine gibt es, sieht man von wenigen Flaschen Riesling ab: Einen Pinot Noir und einen Chardonnay. Unterstützt von Jungwinzer Jürg Ettinger erzeugt das Paar den konzentriertesten, reichhaltigsten, alterungsfähigsten Pinot Noir der Schweiz.
Jan Luzi, der Jungstar unter den Herrschaftlichen Winzern, begrüßt uns im Lindenwingert in Jenins. Er keltert zwei Weiße (Pinot Blanc, Completer) und zwei Pinot Noir. Seine Weine gehören schon heute zu den Gesuchtesten. Luzi hat das drei Hektar kleine, aber traditionsreiche Gut „Sprecher von Bernegg“ von seiner Tante übernommen und ist seit 2008 für den Betrieb verantwortlich. Sein 2013er Pinot vom Lindenwingert ist noch ziemlich verschlossen, wenngleich er schon ein sortentypisches, fruchtiges, leicht mineralisches Bouquet zeigt. Seine Weine bleiben ein halbes bis ein Jahr im Fass. Der Ausbau der Roten erfolgt im Holzfass, der eine in 40 Prozent Neuholz, der andere ausschließlich in gebrauchtem Holz. Bei Luzi bekommen die Weine Zeit, die sie brauchen, um ihr Potenzial zu demonstrieren.
Den nächsten Jungwinzer, den wir in Jenins treffen heißt Christian Obrecht. Er führt zusammen mit seiner Frau Francisca das „Weingut zur Sonne“, das er von seinen Eltern übernommen hat. Das Gut setzt auf Biodynamie und ist Demeter-zertifiziert. In vielen Bereichen ist Obrecht autonom, etwa was den Strom betrifft. Die Rebfläche beträgt 6,5 Hektar, Trauben von 6 Hektar werden dazugekauft. Alles zusammen ergibt dies ein Portfolio von drei Weißweinen, drei Pinots, einem Merlot, einem Rose, zwei Süßweinen und einem Sekt. Wir probieren Jungweine aus dem Fass, einen aus der Lage Eichholz (mehr kalkgeprägt) einen aus der Lage Selvi (feine burgundische Art), einen aus der Malanser Lage Bovel (Ochsenweide), der leicht und fein strukturiert ist. „Jeder Weinberg wird separat ausgebaut“, erklärt Obrecht. Im Gegensatz zu anderen Winzern verwendet er überwiegend Schweizerklone für seine Pinots. Sein Aushängeschild ist der Pinot „Monolith“, ein Wein wie Donnerhall, tiefgründig und edel.
Selbst ist die Frau. Nach diesem Motto verfuhr Irene Grünenfelder und gründete 1995 ihren Ein-Frau-Betrieb „Eichholz“, der heute zu den besten in der Region gehört. Zuvor war sie Lehrerin, dann Journalistin. Die Wende kam, als sie Grund und Boden der Familie ihres Mannes bekommen konnte. Sie keltert auf 7,5 Hektar pro Jahr zwischen 25 000 bis 30 000 Flaschen. 85 Prozent davon stellen ihre feinen, gradlinigen und filigranen Pinots, der Rest Sauvignon Blanc und seit 2008 auch Chardonnay. Der 2013er Sauvignon wirkt sehr frisch mit einer dezenten Stachelbeernote. Das beste Pferd im Stall ist der Pinot Noir „Eichholz“. Er wird aus den besten Pinot-Trauben (Burgunderklone) der gleichnamigen Lage gekeltert. Der Ausbau erfolgt während 12 Monaten im kleinen Eichenfass. Ein Wein mit einem gewaltigen Bouquet, wunderbaren Röstaromen, etwas rauchig und mit leicht süßlichem Vanille-Duft. Unser Fazit: Irene Grünenfelder steht zu recht an der Spitze.
Danach fahren wir nach Malans zu Georg Fromm. Neugierde und Leidenschaft bestimmen sein Tun. Vor gut 20 Jahren gründete er als erster Schweizer einen Betrieb in Neuseeland, wo er die Pinot-Traube in Marlborough salonfähig machte. Inzwischen ist er in die Schweiz zurückgekehrt. Aber seinen Lieblingsweinberg, den Clayvin Vineyard, hat er behalten. Bei den weißen Rebsorten (35 %) sind Pinot Gris, Müller-Thurgau, Chardonnay, Gewürztraminer, Pinot Blanc und Blanc de Noir im Anbau. Die restliche Rebfläche von 5 Hektar verteilt sich auf Blauburgunder, Syrah und Merlot. Neben dem Basiswein setzt Fromm und sein Sohn auf vier verschiedene Lagenweine. Der Malanser Pinot Noir 2010 ist ein Paradebeispiel für einen herausragenden Bündner-Tropfen: Intensive, würzige Nase, Brombeeraromen, gut eingebaute Säure, gut strukturierter Körper mit weichen Tanninen sowie Aromen von schwarzen Beerenfrüchten und etwas Lakritz.
Im Malenser Weingut Donatsch, das seit fünf Generationen in Familienbesitz ist, hat inzwischen der 37-jährige Martin das Sagen. Er kann sich rühmen zweifacher Pinot Noir–Weltmeister zu sein. Sein Completer verblüfft mit immenser Strahlkraft und Komplexität. Donatsch hat drei Weinlinien: „Tradition“ (Basis), „Passion“ (Premier Cru) und „Unique“ (Grand Cru). Neben Completer liegt das Schwergewicht auf Chardonnay und Pinot Noir, wobei die Unique-Weine die Spitze bilden. „Mein Vater war ein richtiger Revoluzzer, nicht nur weil er als Erster gesetzeswidrig Chardonnay anpflanzte, sondern seine Weine in Barriques gelagert hat“, erzählt er. In der gemütlichen Arvenstube der Familie gibt es nicht nur regionale Gerichte wie Gerstensuppe und Bündner-Platte, auch alte Jahrgänge von Donatsch sowie gereifte Bordeaux und Spitzenburgunder können zu bezahlbaren Preisen verkostet werden.
Dass die Malanser Weinberge ein Ort für außergewöhnliche Weine sind, beweist Winzer Peter Wegelin mit seinem Scadenagut. Vor rund 15 Jahren spezialisierte er sich auf Weißweine, die 50 Prozent seiner fünf Hektar großen Rebfläche ausmachen. So produziert er neben den Blauburgundern, Chardonnay, Kerner, Grauburgunder, Weißburgunder, Sauvignon Blanc und Müller-Thurgau. Der Ausbau erfolgt sowohl im Stahltank als auch im Holz respektive Barrique. Der Weißburgunder wurde im Stahl ausgebaut und besticht durch Frische und Frucht. Wegelins Blauburgunder 2013 präsentiert sich hochkonzentriert. Jetzt schon ein Top-Wein, ebenso wie seine Reserva 2012 mit Ganztraubenpressung und teils mit Stielen vergoren. Fein auch der Sauvignon Blanc mit grüner Aromatik. Peter Wegelin schwimmt auf einer Erfolgswelle, seine Weine sind exzellent und sein schmuckes, supermodernes Weingutsgebäude verströmt viel Wohlfühl-Atmosphäre.
In spektakulärer Lage, dort wo Vorder- und Hinterrhein zusammenfließen und sich zum Alpenrhein vereinen, steht Schloss Reichenau unweit von Chur, das heute von Familie von Tscharner als Weingut genutzt wird. Gian-Battista von Tscharner ist eine imposante Erscheinung. Seine Weine sind intensiv, handwerklich exzellent gemacht, schnörkellos. Ihnen wird viel Zeit gewährt. Die Roten kommen für zwei Jahre ins Fass. Teilweise ist der Jahrgang 2009 noch im Verkauf. 18 Weine umfasst die Weinliste. Knapp 30 % der Fläche von 5,3 Hektar, verteilt auf die Gemeinden Felsberg, Chur, Jenins und Maienfeld, nehmen weiße Sorten ein. Der 2014 Sauvignon Blanc besitzt wunderbare Noten von Holunder. Sein Completer von 2008 wurde sehr reif gelesen, er weist Aromen von Quitte, Honig und Nüssen auf. Die Gärung dauerte drei Jahre, genau so lange der Säureabbau. Ein Volltreffer! Die Blauburgunder 2011 aus den Churer Lagen „Lochert“ und „Waisenhaus“ sind ebenfalls Unikate, einzigartig in Stil und Aromatik.
Natur, Landschaft, Heidiland
Im „Wimmlet“ muss man die Herrschaft kennenlernen, heißt es, also im Herbst während der Ernte. Dann ist eine Tour auf dem Weinwanderweg entlang der Weindörfer Fläsch, Maienfeld, Jenins und Malans ein besonderes Erlebnis. Am besten startet man in Fläsch. Das Dorf liegt unter dem steil abstürzenden Berg Falknis. Kurz vor Maienfeld kündet weithin sichtbar die Burg Brandis davon, dass der Ort schon im Mittelalter etwas galt. Schlösser und Herrensitze gibt es zu Hauf. So auch Schloss Salenegg, wo ebenfalls Weinbau gepflegt wird.
Oberhalb von Maienfeld, in exponierter Lage mit toller Aussicht kann man in 8000 Liter großen, komfortablen Schlaffässern übernachten. Besonders für Kinder ein Riesenspaß. Über Jenins geht es weiter nach Malans. Schloss Bothmar ruht still über dem Ort. Ebenfalls empfehlenswert: der Kleine Heidiweg, rauf zur Alpwirtschaft „Heidialp“ am Ochsenberg. Hier werden Erinnerungen geweckt an Heidi, die Heldin aus Johanna Spyris Roman, schließlich sind wir hier im Heidiland.
Zurück in Bad Ragaz, dem Ort des Wassers mit der atemberaubenden Tamina-Schlucht und der großzügigen, 36,5 Grad warmen Tamina-Therme, die Badekomfort auf höchstem Niveau bietet. In diesem Jahr feiert die Stadt „175 Jahre Thermalwasser“ und Badekultur. Besuchenswert ist auch die 6. Schweizerische Triennale der Skulpturen. 90 Künstler aus 13 Ländern stellen ihre Werke in freier Natur auf einem zehn Kilometer langen Rundweg aus. Die diesjährige Bad RagARTz ist noch bis November geöffnet.
Tipps Graubünden
Weingut Gantenbein
CH-7306 Fläsch
Tel. +41 81 302 47 88
www.gantenbeinwein.com
Weingut Sprecher von Bernegg
CH-7307 Jenins
Tel. +41 79 405 90 09
www.sprechervonbernegg.ch
Obrecht – Weingut zur Sonne
CH-7307 Jenins
Tel. +41 81 302 21 45
www.obrecht.ch
Weingut Eichholz
CH-7307 Jenins
Tel. +41 79 75 989 73
www.eichholz-weine.ch
Weingut Fromm
CH-7208 Malans
Tel. +41 81 322 5351
www.weingut-fromm.ch
Weingut Donatsch
Winzerstube zum Ochsen
CH-7208 Malans
Tel. +41 81 322 11 17
www.donatsch.ch
Winzerstube zum Ochsen. Gehört zum Weingut Donatsch. Traditionelle Bündnerstube mit blauem Kachelofen. Riesiges Weinangebot, regionale Speisen.
Scadenagut – Peter Wegelin
Scadenaweg 1
CH-7208 Malans
Tel. +41 81 322 11 64
www.malanser-weine.ch
Weinbau von Tscharner
Schloss Reichenau
CH-7015 Reichenau-Tamins
Tel. +41 081 641 11 95
[email protected]
Vinotiv-Winzer
„vinotiv Graubünden“ vereint zwölf Winzer und Winzerinnen, die ihre Leidenschaft für Wein teilen.
www.vinotiv.ch
Pinot Rhein
Fünf befreundete Bündner Winzer erzeugen einen gemeinsamen Wein.
www.pinotrhein.ch
Essen und Übernachten
Hotel Restaurant Rössli
CH-7310 Bad Ragaz
Tel. +41 81 302 3232
www.roessliragaz.ch
Hotel-Restaurant in Bad Ragaz mit ausgezeichneter Weinkarte und hervorragender Küche.
Weinstube Alter Torkel
CH-7307 Jenins
Tel. +41 81 302 3675
www.torkel.ch
Mitten in den Weinbergen gelegen. Viele Bündner Spezialitäten, reiche Weinauswahl, schöne Terrasse.
Restaurant Adler
CH-7306 Fläsch
Tel. +41 81 302 6164
www.adlerflaesch.ch
Gemütliches Lokal mitten im Weinort Fläsch mit feinen heimischen Spezialitäten.
Informationen und Touristisches
www.graubuendenwein.ch
www.schlaf-fass.ch
www.taminatherme.ch
www.spavillage.ch
www.heididorf.ch
www.heidiland.com