Elsass rüstet auf

vincent fleith elsass frankreichElsass rüstet auf

Im Elsass gibt es mehr Einzellagen als im Burgund. Allerdings fehlt es an einer klaren Hierarchie und an Anerkennung. Nun machen die Winzer zahlreiche Vorstöße und setzen alte Rebsorten für die Zukunft.

„Rohrschwihr ist ein kleines Dorf mit 247 Hektar Reben und der Besonderheit, dass es 21 unterschiedliche Bodentypen gibt“, erzählt Pierre Gassmann. „Im Dorf sind zwölf Crus bekannt. Die gehen zurück auf das Jahr 742. Schon damals sprach man von der Qualität der Weine.“ Auf der Domaine Rolly Gassmann wird jede geologische Einheit separat vinifiziert. Das ergibt rund 40 verschiedene Weine pro Jahr und 40 Weine stehen auf der aktuellen Liste. Doch aus verschiedenen Jahren, zurück bis 1989. Hinter dem schweren Holztor verwandelt sich der schmucklose Lagerraum, wo man probiert, zur Höhle Ali Babas. Eine Orgie an Geschmack. Eine Initiation in den genialen Reichtum des Elsass.


Doch keiner der historischen Crus Rohrschwihrs ist heute offiziell anerkannt. Im Laufe der Geschichte erwarben 800 Lagen, lieux-dits genannt, einen eigenen Namen und Ruf im Elsass. Eine erste Anerkennung dieser historischen Realität erfolgte 1983, als die ersten 25 Grands Crus anerkannt wurden. Weitere 25 folgten 1990 und der letzte, der Kaefferkopf in Ammerschwihr, 2006. Wenn ein lieu-dit „eine besondere Typizität präsentiert und einem höheren Anspruchsniveau entspricht“, so das Weingesetz, kann der Winzer den Namen aufs Etikett setzen – zur regionalen Appellation Alsace. Bei bis zu 400 Lagen wird davon Gebrauch gemacht. Denn die Geologie des Elsass ist von einer unglaublichen Vielfalt, die den Winzern ein enormes Potenzial bietet. Deshalb liegen die lieux-dits ihnen am Herzen, und denen ganz besonders, die auf hohe und höchste Qualität zielen. Wenn man bei ihnen verkostet, wird unweigerlich erläutert, um welche Böden und Ausrichtung es sich handelt. Mag eine Lage ihren komplexesten Ausdruck auch im Mischsatz widerspiegeln – darauf kommen wir noch zu sprechen – faszinierend ist zu probieren, welch völlig anderen Ausdruck ein und dieselbe Sorte auf unterschiedlichen Lagen entfaltet.

Etienne Loew in Westhoffen dekliniert den Riesling über eine Muschelkalklage (grüner Apfel, sehr lebendig) und den seltenen Kalksandstein des Bruderbachs (gelbe Pflaume, saftig, voll, frisch) zum schwarzen Tonmergel des Grand Cru Altenberg de Bergbieten (hinreißend komplex, seidig und salzig), zum Kalkmergel des Süssenbergs (sehr geradlinig und mineralisch) und zum Muschelkalk des Ostenbergs (viel Volumen und Finesse). Mit biodynamischem Anbau bringt er die Unterschiede eindeutig heraus. Auch mit anderen Sorten. Im Frühjahr hat er erneut beantragt, dass seine drei Lieux-dits als Premiers Crus anerkannt werden. Dabei ist er auf einer Lage allein, während die Vorschrift bislang lautete, dass es mehrere Winzer darauf geben müsse. „Ob man nun allein ist, ob man auf einer alten bekannten Lage oder einer Lage ist, die erst seit zehn Jahren angegeben ist … Worauf es ankommt, ist doch, dass der Wein besser ist als die große Menge“, gibt er zu bedenken.
Die Meinungen über die Premiers Crus, für die jetzt aus allen Ecken des Elsass Anträge gestellt wurden, gehen auseinander. Die Trimbachs in Ribeauvillé lehnten es bislang sogar ab, die Bezeichnung Grand Cru zu verwenden. Denn als die in Gebrauch kam, war ihr Riesling Clos Ste-Hune (aus dem Grand Cru Rosacker) bereits eine Legende. Und die großartige Riesling-Cuvée Fréderic-Emile (aus den Grands Crus Geisberg und Osterberg) ebenfalls. „Bereits unter den Grands Crus gibt es einige, die  Schwierigkeiten haben, eine gewisse Bekanntheit zu erreichen“, hebt Pierre Trimbach hervor. Füge man noch Premiers Crus hinzu, würde die Sache noch komplizierter.

Elsass Frankreich Jean Baptiste Adam

Jean-Baptiste Adam in Ammerschwihr, der gerade die 400 Jahre seines Hauses mit einem großartigen Riesling 2010 vom Kaefferkopf begeht, bezieht eindeutig Stellung. „Warum will man denn heute eine Appellation schaffen, die zwischen den Grands Crus und dem Einstieg liegt? Lasst uns zuerst einmal die Grands Crus aufwerten. Zwei Drittel der Grands Crus des Elsass werden unter 10 € verkauft!“   „Das lässt nicht träumen“, konstatiert Patrick Meyer der Domaine Julien Meyer in Nothalten. „Selbst wenn er sehr gut ist, hat man nicht die Empfindung, dass er etwas ganz Außergewöhnliches wäre. Denn das kann er zu diesem Preis nicht sein.“
Patrick Meyer setzt die lieux-dits seit fast 30 Jahren aufs Etikett. Er arbeitet biodynamisch und baut alle seine Weine mit minimalistischer Intervention trocken aus. So zeigen sie ihre deutlich unterschiedenen Eigenheiten, ihr Wesen zur Freude ihrer Fans. Patrick begeistert sich für die außerordentliche Vielfalt an Terroirs. „Wenn man 50 Rieslinge probiert, dann hat man 50 verschiedene Typologien. Da müsste man nur einen gemeinsamen Punkt finden. Zum Beispiel: ‚ein Riesling ist trocken’. Das wäre ein Minimum.“ Doch daran hapert es im Elsass. Bestrebt, allen alles zu bieten, haben die Elsässer es dahin gebracht, dass man nicht mehr weiß, welchen Wein man in der Flasche vorfindet. Noch nicht einmal, ob er trocken, lieblich oder süß ist. (Inzwischen gibt es oft wenigstens eine Süße-Skala auf dem Rücketikett.) Nur die Rebsorte ist apostrophiert. Die Folge ist eine gravierende Krise.   

Mathieu Deiss  Elsass FrankreichJean-Michel Deiss, der mit seinem Sohn Mathieu die Domaine Marcel Deiss in Bergheim führt, ist der wohl profilierteste Visionär und Kritiker der Elsässischen Weinwirtschaft. Er verurteilt die Ausrichtung auf Mono-Sorten-Weine, die zu einem Preisverfall geführt hätte. Bislang von den fleißigen Elsässern dadurch aufgefangen, dass es ihnen gelang, die Produktionskosten zu senken und die Erträge zu steigern, haben drei kleine Ernten dazu geführt, dass die Kosten die Traubenpreise überflügeln. „Das ist eine Revolution“, so Jean-Michel Deiss. „Denn das bedeutet, dass die Leute keine andere Wahl mehr haben, als die Preise zu erhöhen. Aber eine Preissteigerung verlangt nach einer Klarstellung der Werte, nach einer Identifizierung von dem, was unvergleichbar ist.“ Rebsorten seien im globalen Markt dagegen immer vergleichbar. „Was die Leute heute suchen, ist nicht unbedingt nur einen guten Wein, sondern einen Wein, der eine Identität besitzt, sei es eine der Marke, der Appellation oder des Stils“, hat er beobachtet. „Nicht mehr der Geschmack ist der Motor, sondern eine Idee.“
Deiss selbst führt Alternativen vor. Wie seinen weißen Alsace. Dafür hat er vor 15 Jahren Weinberge im Mischsatz neu angelegt, in „complantation“. Benachbarte Parzellen aus einzelnen Sorten werden gemeinsam gelesen, gepresst und vinifiziert. Ein Weißer mit köstlicher Frucht, mineralisch, frisch, anregend ... und trocken: Eindeutig Elsass, ein Wein mit klarer Identität. Und ein Bestseller. Überzeugt davon, dass die Wahrheit einer Region ihre Terroirs sind, hat er auch die Parzellen seiner Grand crus Altenberg, Schoenenbourg und Mambourg im gemischten Satz bepflanzt und weist mit immensen Weinen eine andere Dimension, denen seine neun lieux-dits kaum nachstehen. Mehr und mehr Winzer folgen und trennen sich – und sei es erst einmal nur auf dem Etikett – von der Mono-Sorte.

Es ist Bewegung in die Appellation Alsace gekommen. Viele Winzer würden in einer Hierarchie nach dem Pyramiden-Modell der Bourgogne eine Lösung sehen. Die regionale Appellation als Basis, dann die Villages als Gemeinde-Appellation und darüber Premiers Crus und Grands Crus. Inzwischen wurden bereits 14 kommunale Appellationen geschaffen. Darunter auch Coteaux du Haut-Koenigsbourg. Von dieser Schieferlage füllt die Domaine Bernhard & Reibel einen intensiven überzeugenden Riesling ab. Aber Pierre Bernhard liegen seine potenziellen Premiers Crus Weingarten, Ritterberg und Hahnenberg mehr am Herzen. „Ich denke, dass die Premiers Crus wirklich sehr hochqualitativ sein können, weil sie ganz spezifisch auf dieselbe Geologie konzentriert sind. Wir bearbeiten diese Lagen seit mehreren Jahren wie einen Grand Cru.“ Man schmeckt es. In Orschwiller hat Camille Braun mehrere lieux-dits schon seit 25 Jahren getrennt vinifiziert, vor allem Luft und Effenberg, beides sehr schöne Rieslinge. Für die hat Sohn Christophe den Antrag gestellt. „Vor allem wollen wir aber eine kommunale Appellation mit dem Bollenberg machen.  Dort haben wir Hänge, die nach Osten, Süden und etwas gen Westen ausgerichtet sind und jedes Mal sind die Böden anders. Aber der Bollenberg ist überall recht bekannt und da wollen wir diesen Namen nicht verlieren.“ 

Auch die Winzer von Dambach-la-Ville machen sich für eine kommunale Appellation stark, die im Grunde seit langer Zeit praktiziert wird. „Die Besonderheit unserer Anfrage – und ich weiß nicht, ob sie gehört wird – besteht darin, sich nicht auf gewisse Rebsorten zu begrenzen“, erklärt Florian Beck-Hartweg, engagierter Biowinzer im Ort. „Wir finden, dass der Charakter der Weine von Dambach-la-Ville, beschwingt mit  zentraler Säure und Geradlinigkeit, sich unabhängig von den Rebsorten wiederfindet.“ Das steht im Gegensatz zu den Gemeinden, die sich auf bestimmte Sorten festgelegt haben.
Aber es gibt viele andere Punkte und Probleme im Elsass zu klären. So ist in den Grands Crus Pinot Noir nicht zugelassen. Aber viele Winzer pflanzen ihn auf Spitzenterroirs. So auch Florian in den Grand Cru Frankstein und nennt seinen spannenden Rotwein einfach „F“.

josmeyer elsass frankreichBerühmt ist der „H“ von Josmeyer in Wintzenheim, ein wunderbar mineralischer (nicht zugelassener) Auxerrois aus dem Grand Cru Hengst. Dies wirft die Frage nach den Rebsorten auf. Nicht nur die Begrenzung auf sieben Sorten, sondern auch auf die immer geringere Auswahl an Klonen und Unterlagsreben. Dazu tritt die spürbare Klimaerwärmung, die den Winzern Sorgen bereitet. Mehrere der berühmtesten Winzer praktizieren Massenselektion, die den Behörden ein Dorn im Auge ist. „Reben sind wie eine Palette an Farben und man muss alle möglichen Nuancen bewahren“, betont Christophe Ehrhardt, Direktor von Josmeyer, denn es käme auf Komplexität  und Verschiedenartigkeit an. So hat er mit Kollegen im letzten Jahr in Marbach ein conservatoire für Rebsorten angelegt und dort 50 vergessene Sorten gepflanzt. Auch Florian Beck-Hartweg steht dahinter und hat selbst alte Elsässer Sorten experimental ausgepflanzt. „Es gab eine Bewusstwerdung, dass man genetisches Material braucht, das an den Klimawechsel angepasst ist“, bemerkt Vincent Fleith in Ingersheim, Ex-Präsident der Vereinigung Vignes Vivantes.  „Wir stellten fest, dass die Alten nicht so dumm waren, indem sie eine ziemlich breite Palette an Rebsorten verwendeten.“ Er sieht wie viele Kollegen inzwischen eine Degenerierung des pflanzlichen Materials und fürchtet den Verlust der genetischen Vielfalt. „Ich bin davon überzeugt, dass wir in weniger als 20 Jahren eine Modifikation des Sortensatzes erleben werden“, betont er. Jetzt pflegt er den gesamten offiziellen Sortenspiegel des Elsass biodynamisch auf hohem Niveau. Neben dem originellen zusatzfreien Crémant Dame Nature überrascht sein Alsace. In dem vereinen sich sechs Sorten zu einem wunderschön fruchtigen und frischen Weißwein, der richtig Lust aufs Elsass macht.

 

Winzeradressen

Domaine Rolly Gassmann
2 rue de l’Eglise, 68590 Rorschwihr
[email protected]

Domaine Etienne Loew
28 rue Birris, 67310 Westhoffen
[email protected]   

Trimbach
15 route de Bergheim, 68150 Ribeauvillé
www.maison-trimbach.fr

Jean-Baptiste Adam
5 rue de l’Aigle, 68770 Ammeerswihr
www.jb-adam.com

Domaine Julien Meyer
14 route du Vin, 67680 Nothalten
[email protected]  

Domaine Marcel Deiss et Fils
15 route du Vin,  68750 Bergheim
www.marceldeiss.com

Domaine Bernhard & Reibel
20 rue de Lorraine, 67730 Châtenois
www.domaine-bernhard-reibel.fr

Domaine Camille Braum
16 Grand’rue, 68500 Orschwihr
www.camille-braun.com

Domaine Beck-Hartweg
5 rue Clémenceau,
67650 Dambach-la-Ville
beckhartweg.free.fr 

Josmeyer
76 rue Clémenceau, 68920 Wintzenheim
www.josmeyer.com

Domaine Vincent Fleith
8 Langematten, 68040 Ingersheim
www.vincent-fleith.fr 

 

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