Gast und Restaurant

Sebastian Bordthäuser

Wenn man heutzutage in einem der Spitzenrestaurants der Szene reserviert ist dies manchmal hoch komplex. Es hat nicht mehr viel zu tun mit der heimeligen Atmosphäre, ein Gasthaus, ein Wirtshaus oder eben Restaurant zu betreten, mit der wüsten Absicht, es heute mal richtig krachen zu lassen. Lustvoll die Karte zu durchstöbern und sich den Masterplan für den Abend zu basteln, während man die erste Flasche Mosel zum Apéro wegzischt und überlegt, vielleicht noch ein kleines Bries einzubauen vor dem Hauptgang. Man könnte dazu noch ein Schlückchen von dem Burgunder probieren, der heute Abend offen ist. Alles ist heute durchgetaktet.

Es wird im Vorfeld abgesprochen, was gegessen wird, es wird dreimal telefoniert, um sicher zu sein, dass der Gast auch kommt, was auch richtig ist, schließlich ist eine Reservierung im Restaurant nichts anderes als ein Opernticket. „Menüs werden nur tischweise serviert“ liest man spätestens am Ende der Karte, wenn man dann letztlich im Restaurant sitzt. Auch das ist richtig bei Gruppen, aber bei Zweier-Tischen? Darf ich nicht essen was ich will? Doch man hat ja in der Regel schon zu Hause per E-Mail ausgesucht, bekommt also keine Karte zu Gesicht, außer vielleicht die Weinkarte, sofern man sich nicht bereits im Vorfeld für die Weinbegleitung entschieden hat. Es ist alles in Stein gemeißelt und hat nichts mehr mit bacchischen Schlachtplänen zu tun. Man kann eigentlich mit dem Eintreffen des Gastes schon die Rechnung ausdrucken, er muss sie nur noch abfressen. Der Gast degradiert zum kalkulierbaren Faktor. Und dann kommen Servicekräfte, die mir erklären, dies sei heute Abend nur für mich gemacht worden. Man könnte sich verhohnepiepelt vorkommen, wenn diese Entwicklung nicht so bedenklich wäre. Im Ausland werden Abbestellungen nicht einmal von der Rechnung subtrahiert. Ihren Zenit hat diese Entwicklung seit langer Zeit in Amerika erreicht, wo mit dem Espresso auch direkt die Rechnung kommt, weil die nächste Belegung bereits wartet. Dort ist Gastronomie ein Geschäft, das mit der Rechnung abgeschlossen ist. Man geht dann halt in eine Bar. Next …

In Europa allerdings verhält sich dies anders. Wir alle brauchen gar nicht an italienische Abendgelage oder Spanische Tapas-Orgien denken, denn auch die klassische deutsche Gemütlichkeit ist letztlich das Gleiche. Man isst zusammen, verbringt Zeit zusammen am Tisch, sei es zu zweit oder in der Rotte. Es braucht Gastgeber, dank deren grünem Daumen dieses Pflänzchen gedeihen kann. Das ist der wichtigste Punkt überhaupt: Gastgeber sein. Ich wünsche keine Handlanger von Inszenierungen, sondern Menschen, die die Teller, die sie servieren, am liebsten selber essen würden. Sonst klappt das Kartenhaus zusammen. Gerade den Service empfinde ich manchmal eher als Exekutive einer neuen Kultur von Chefs, die mit Gastgeber sein nur noch wenig gemein hat. Es handelt sich um die Entwicklung, dass der Gast lediglich noch als Claqueur geduldet wird. Gastgeber sein indes ist die Kunst, die diese zugegebener Maßen manchmal durchaus sinnigen Regeln erträglich macht. Dadurch, und nur dadurch, kann die Statik und Bürokratie, die die Form der Hochgastronomie heute prägt, überwunden werden.

Ich mag diese Orte nicht, an denen mit kathedraler Ehrfurcht die hohe kulinarische Weihe zelebriert wird. Die Über-Inszenierung von Köchen, die denken, durch ein bisschen Milchsäuregärung haben sie die Leberwurst neu erfunden. So komplex und außergewöhnlich an manchen Plätzen auch gekocht wird: Es bleibt Essen und Trinken. Und das hat meines Erachtens vor allem eins zu schaffen: Spaß und Lust. Letztens waren wir mit einer Gruppe guter Freunde in einem hoch ausgezeichneten Restaurant, in dem wir auch alle verfügbaren Zimmer gebucht hatten. Auf dem Lande, ganz weit draußen, fernab von allem. Uns wurde nach dem Menü nicht nur der Kaffee verwehrt, denn es gäbe nur Filterkaffee und das dauere jetzt zu lange. Wir waren natürlich die letzten Gäste, denn wir hatten ja Zimmer. Es wurde uns ebenfalls ein letztes Getränk verweigert, auf Protest aller Anwesenden dann letztlich doch gebracht, allerdings mit der deutlichen Ansage, dieses bitte ruhig auf unseren Zimmern einzunehmen, denn es sei jetzt nun mal Schluss. Die Inszenierung der Küche war vorbei, wir hatten unseren Dienst erfüllt und waren gehalten, den Konzertsaal zu verlassen. Es war 23:15. Unser Applaus verebbte …

Sebastian Bordthäuser

Sommelier in Steinheuers Restaurant,
Bad Neuenahr-Ahrweiler

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote