Mysterium französischer Wein

Martin Kössler

Martin Kössler hofft, dass die deutsche Weinszene offener für Frankreichs spannende Herkünfte wird.
 
Warum beschränkt sich hierzulande Frankreichs Wein nach wie vor weitgehend auf Bordeaux und/oder Burgund? Zwar darf es inzwischen auch mal die Provence oder der Süden sein, doch Sancerre repräsentiert einsam die Loire, für die Vielfalt des Rhônetales steht die Einfalt Châteauneuf du Papes und Chablis und Muscadet, einst der Deutschen Lieblingsfranzosen, scheinen vom Aussterben bedroht. Der einst heiß geliebte Beaujolais verweilt in Ungnade und die hochagile Champagne wird mehr oder weniger pflichtbewusst abgehandelt. Es steht nicht gut um die deutsch-französische Weinfreundschaft. 
 
Gewiss, Frankreichs Weintrinker pflegen den eigenen »Gout nationale «. Die bei uns so beliebte »Frucht« kommt ihnen verdächtig vor; sie bevorzugen trockene, erdige Aromen, die ehrliche Würze der Herkunft, den handwerklichen Charakter. Deshalb wagen gute französische Weine den Charakter ihrer Herkunft, sie riechen und schmecken nach der Region aus der sie kommen, nach der Lage in der sie wachsen. Genau deshalb übrigens interessieren sich in Frankreich immer mehr Weintrinker für den neuen deutschen Wein! Tatsächlich zelebrieren die Franzosen seit Jahrhunderten die Kultur von Herkunft und Qualität, beim Obst wie beim Fleisch, beim Käse wie beim Wein. Sie machten Herkunft mit Charakter zur Ursprungsbezeichnung, die unverwechselbar schmeckt. Für sie zählt Charakter mehr als Stilistik. Prompt verweigerten die Gallier die Produktion billigster Anonymtropfen für das deutsche Selbstbedienungsregal und ruinierten sich damit Exportstatistiken.
 
Dafür geht heute in vielen vergessenen oder kaum bekannten Weinregionen Frankreichs buchstäblich die Post ab. Gut ausgebildete junge Winzer kauften dort preiswert Land, riskierten den Aufbau der eigenen Domaine und produzieren nun ambitioniert charaktervolle Qualitäten zu verblüffend realistischen Preisen. Sie machen Frankreich zum preiswertesten und spannendsten, weil vielfältigsten Weinland der Welt. Frankreichs Weinszene boomt, vom Muscadet bis zum französischen Jura. In Amerika und Japan weiß man das längst, in den nordischen Ländern auch. Nur bei uns scheint es, als wäre das Frankreich von heute noch das von vorgestern.
 
Martin Kössler
Weinfachhändler und Querdenker der Szene
K & U Die Weinhalle, Nürnberg

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote