Back to the Roots

Bunt gemischt, kreuz und quer, weiss und rot – Weinberge waren früher ein Sammelsurium an verschiedenen Rebsorten. Die wirklich alten Gemischten Sätze mit den wurzelechten Rebstöcken sind eine Seltenheit. Aber ein paar wenige deutsche Winzer beleben diese Tradition neu ...!
 
 
Der Beschützer

Er ist das enfant terrible der Züchter. Einer, der nicht nach Neu, Neu, Neu giert oder Besser, Höher, Weiter. Er hat sich den Alten, den Vergessenen, den fast Ausgestorbenen gewidmet; denen, die fast keiner mehr beachtet. Andreas Jung steht mitten im Rebsortenarchiv Südpfalzweinberg, einem Altersheim der Weinwelt. Unauffällig steht der Weinberg zwischen anderen Rebzeilen, am Rande eines kleinen, pfälzischen Dorfes. So mancher Spaziergänger ahnt mit Sicherheit nicht, welcher Schatz sich hier verbirgt. Die Unterschiede einzelner Sorten sind für den Laien kaum erkennbar: Tiefere Rispen, gezacktere Blätter, kleinere Beeren … „Man braucht den botanischen Blick“, wie Jung sagt. Sein Blick ist seit Jahren geschult. Er erkennt Rebsorten innerhalb von Sekunden, wie andere einen Maserati von einem Volkswagen unterscheiden. „Das ist ein Lindenblättriger“, „das da ein blauer Affenthaler“ und so weiter und so weiter. In ganz Deutschland hat er sie eingesammelt, an der Badischen Bergstraße, in Rheinhessen, in Franken. „Die Winzer wussten gar nicht, was sie da in ihrem Weinberg stehen haben.“ Und dann kam er ins Spiel. Jung, studierter Biologe und Botaniker, arbeitete viele Jahre für die Rebzuchtanstalt Geilweilerhof, heute ist er Freiberufler.

Die Identifizierung ist detektivische Kleinarbeit, ein Puzzle mit kaum Farbunterschieden: „Die Franzosen glaubten mal, dass sie insgesamt 7 000 verschiedene Sorten gefunden hätten. Nach heutigem Stand der Genoanalyse weiß man, dass es etwa 3 700 sind.“ Und nun stellt man sich ihn vor: Jung mit tausenden von verschiedenen Blatt-, Stiel-und Traubenfotographien, alten Aquarellen und Farbtafeln, Zeichnungen und Beschreibungen aus Weinbaukarteien von früheren Rebkundlern, sogenannte Ampelographen. In den letzten Jahren hat er in insgesamt 800 alten Weinbergen über 350 000 Rebstöcke einzeln identifiziert und dabei 250 historische Sorten gefunden, darunter rund 100 bei uns verschollene Sorten. Von diesen sammelte er Ableger, pfropfte sie auf eine reblausresistente Wurzel-Unterlage und setzte sie erneut in der Pfalz oder mittlerweile in einen weiteren großen Weinberg in Rheinhessen. Ein Mammut-Projekt: Im Südpfalzweinberg stehen 65, in Rheinhessen 250 Sorten. Tausende an Euro hat er investiert. Jung ist ein Idealist, ein Kämpfer. Warum er das macht? „Wenn ich es nicht mache, macht es niemand!“ Ein Drittel der uralten Weinberge, die Jung inspizierte, wurden bereits gerodet und mit ihnen ein Teil der Rebsorten-Vielfalt. Aber ein paar wenige wurzelechte Weinberge haben bis heute in Deutschland überlebt …

Die wurzelechten Veteranen

Verknöchert, krumm, gewunden und gleichzeitig pittoresk, kraftvoll, stark stehen sie da, die Altehrwürdigen. Das Alter hat seit jeher etwas Mystisches. Und auch bei solch historischen Weinbergen muss man einen Moment innehalten. Denn sie haben es geschafft, haben alle Gefahren und Neuerungen überlebt, wurden weder von der Reblaus-Plage oder von Frösten vernichtet noch bei der Flur-Bereinigung zerstört. Lange Zeit wussten ihre Besitzer nicht, woher sie kommen, wie sie heißen und wer sie eigentlich hergebracht hat. Heute gibt es Biologen, Botaniker und Genetiker, wie Andreas Jung, die Licht ins Dunkel bringen. 

Jung war es auch, der die Familie Zang in Sommerach besuchte. Das Ergebnis: Der alte Weinberg stammt aus dem Jahre 1835. Heute stehen im Gemischten Satz etwa 35 verschiedene Rebsorten. Vor allem Riesling, Silvaner, Elbling, Muskateller und Traminer teilen sich seit vielen Jahren diesen Platz. Die Wurzeln der 900 Rebstöcke ragen bis zu zehn Meter in die Tiefe und sind teilweise so breit wie ein Fahrrad-Reifen. Vermutlich ist dies der älteste Weinberg Frankens, sagt Johannes Zang stolz. Aber nein, ein großes Werbeschild für vorbeifahrende Touristen steht nicht an diesem Weinberg. Ganz im Gegenteil! „Viel zu gefährlich“, sagt Zang. Einmal die Reblaus eingeschleppt – an den Schuhen von Besuchern, in den Hosentaschen von Schaulustigen – und es wäre um den Weinberg geschehen. Unrettbar, meint Zang. Und so steht der Weinberg quasi unter Quarantäne, wird geheim gehalten wie ein Schatz. Dass es den Weinberg noch gibt, war reiner Zufall: „Der Weinberg gehört einem Mitarbeiter von uns. Als er 1989 im Herbst bei uns anfing zu arbeiten, sollte der Weinberg im Frühling gerodet werden. Die Zeilen waren nur ein Meter breit und schief und krumm. Kein Schlepper ist da durchgekommen. Der Weinberg hat zu viel Arbeit gemacht.“ Die Trauben wurden über Generationen hinweg zum Haustrunk der Familie verarbeitet. Dass dieser Weinberg wertvoll ist, erkannte erst Johannes Zangs Vater und pachtete ihn sofort. „Er war auf Anhieb der beste Wein im Keller“, erinnert sich Zang.

Die Geschichte hinter der Geschichte

Warum pflanzte man die Reben ehemals überhaupt im Gemischten Satz? Was zählte, war reiner Pragmatismus: Der Rebertrag galt einst als unberechenbar, Krankheiten und Schädlinge konnten mehr schlecht als recht bekämpft werden. Wurde die eine Rebsorte krank, konnte man darauf hoffen, dass die Nachbar-Rebsorte trotzdem ertragreich war und den Verlust ausglich. War eine Rebsorte frostgeschädigt, konnte die andere dem Winter vielleicht besser trotzen. Gemischter Satz bedeutete schlicht und einfach weniger Risiko eines Gesamtausfalls. Um den Zehnten berechnen zu können, gab es einen festen Lesezeitpunkt, der per Gesetz einheitlich geregelt war. Dabei gab es sehr wohl Qualitätsunterschiede: Der Fränkische Satz war der edle Mischsatz mit den frostharten Sorten Elbling und Silvaner, kombiniert mit hochfeinen Qualitäts- und Aromasorten wie Riesling, Adelfränkisch oder Süßling. Der Hunnische Satz mit ungarischen Massenträgern wie Gutedel oder Honigler galt als das das Gesöff für das niedere Volk. Der harte Schnitt kam spätestens 1929: Mit dem Reblaus-Gesetz wurde die Mehrheit der Rebsorten verboten, weil die Bastardrebsorten (Hybriden) nicht rein genug und die sogenannten ausländischen Sorten wie Veltliner nicht deutsch genug waren – selbst wenn diese schon seit dem Mittelalter angebaut wurden. Jung schätzt, dass es in Deutschland um 1855 über 650 verschiedene Kelter- und Tafeltrauben gab. Bis heute dürfen nur 26 historische Rebsorten von den Winzern angebaut werden, alle anderen sind Neuzüchtungen oder Sortenimporte aus Südeuropa. Eine Entwicklung, die wir ohne zu hinterfragen hinnehmen. 400 zentraleuropäische Traditionssorten haben überlebt, die restlichen 200 sind weiterhin verschollen – es sei denn, Andreas Jung und seine Kollegen finden sie in naher Zukunft.

Deutsches Revival auf leisen Sohlen

Nein, von einem großen Revival oder gar einem Trend kann man nicht sprechen. Um die Macher der neuen Gemischten Sätze zu finden, muss man suchen. Es ist ein echtes Nischenprodukt, aber durchaus renommierte und große Weingüter lassen sich von der Idee begeistern: Sie pflanzen Gemischte Sätze neu an, teilweise auf Top-Lagen, mit veredelten Rebstöcken. Die Trauben der unterschiedlichen Rebsorten werden gemeinsam geerntet, gemeinsam vergoren und ausgebaut. Was ist es, was sie antreibt? Nostalgie, Traditionsbewusstsein, Vermarktungs-Strategie, Herausforderung, Neugierde? „Als kleiner Bub fand ich den Altfränkischen Satz immer faszinierend“, erinnert sich Armin Störrlein. „Im Herbst haben wir in den Weinbergen genascht: wildwachsende Erdbeeren zwischen den Rebzeilen und dann die weißen, blauen, roten Trauben nebeneinander. Diese Vielfalt an Geschmack hat sich bei mir eingeprägt.“ Seit Jahren baut Störrlein den Wein vom Altfränkischen Wengert, einem Museumsweinberg in Randersacker, aus. Vor 25 Jahren wurde dieser in klassischer pfahlerziehung angelegt. Seinen eigenen gemischten Satz hat er erst vor zehn Jahren angepflanzt: „Ich war Ende 50 und konnte Dinge tun, die ein junger Winzer aus betriebswirtschaftlichen gründen ablehnt.“ Ja, die Entscheidung für den Altfränkischen Weinberg habe viel mit Nostalgie zu tun gehabt, das Bewahren einer Erinnerung. „Ich lasse ein Stück meiner kindheit auferstehen und andere daran teilhaben.“

Beim Weingut Juliusspital waren die Motive für die Anpfl anzung des gemischten Satzes im Jahr 1980 ein starkes Traditionsbewusstsein und der Wille zum Besonderen. Winzermeister Lothar Flößer hat nach ausführlichen Recherchen den Qualitätsmischsatz, der verstärkt ab dem 17. Jahrhundert angebaut wurde, gepfl anzt: 70 prozent Silvaner, zehn prozent Elbling, jeweils fünf prozent Traminer, Muskateller, Riesling und andere skurrile Tafeltrauben, wie Geisdutte, Lämmerschwanz oder Heunisch. Der junge Kellermeister Nicolas Frauer, ein 31jähriger Schwabe, baut diesen klassischen, fränkischen Wein nun aus. Frauer war bereits bei sieben verschiedenen Weingütern, auch in Dijon oder kanada, aber ein gemischter Satz: Nein, das sei ihm noch nicht begegnet. „Die Franken sind traditionsbewusst, stolz auf ihren Bocksbeutel und kultivieren ihren Dialekt. Vielleicht ist der gemischte Satz hier deshalb stärker zu fi nden als in anderen deutschen Weinbaugebieten.“ Aber auch an der Nahe, an der Mosel oder in Rheinhessen gibt es gemischte Sätze. Martina und peter Linxweiler vom Weingut Hahnmühle haben 1986 einen Mischsatz Riesling und Traminer angepflanzt. „Wir haben eine alte Etiketten-Sammlung gefunden und der Riesling- und Traminer-Satz ist uns immer wieder aufgefallen.“ Sie befragten alte Leute aus dem Dorf, um das klassische Mischverhältnis herauszubekommen. „75 prozent Riesling, 25 prozent Traminer – genau das richtige Verhältnis, um dem Riesling die Säure zu kappen und ihm mehr Fülle zu verleihen.“

An der Mosel haben sich zwei Quereinsteiger erst vor kurzem von der Idee des gemischten Satzes begeistern lassen: Marion Rinke ist eigentlich Juristin und ihr Mann Alexander Unternehmer. Die Weinliebhaber betreiben ein Weingut nahe der Luxemburger grenze mit nur einem Wein, einem gemischten Satz aus 90 prozent chardonnay und weiteren Varietäten, wie Traminer, Muskateller, Weißburgunder, Viognier oder pinot Blanc. Sie wollten einfach etwas Besonderes kreieren. Beraten wurden sie von Kellermeister Gernot kollmann: „Ich habe insgesamt 25 verschiedene Chardonnayklone in ganz Frankreich zusammengetragen. Durch die Einstreuung anderer Sorten haben wir die Komplexität nochmals erhöht.“

Ein Widerspruch zum Terroir-Gedanken?

Und so stehen gewürztraminer neben Weißem Riesling, Silvaner neben Elbling oder Aligoté neben Spätburgunder. „Wir haben alle Setzlinge auf einen Haufen geworfen und dann wild gemischt gesetzt“, sagt Störrlein. In einer informationsüberladenen gesellschaft gibt es hier ausnahmsweise kaum Experten oder Erfahrungsberichte. Im Laufe des Jahres muss der Winzer den Weinberg sehr genau beobachten: „Es gibt kein Fachbuch, keine wissenschaftliche Arbeit zum Umgang mit gemischten Sätzen. Das Thema wird an keiner Uni gelehrt“, sagt Störrlein. Wann beispielsweise der richtige Lesezeitpunkt gekommen ist, habe sehr viel mit dem eigenen Bauchgefühl zu tun, sagt der erfahrene Winzer. Die Gemischten Sätze gedeihen teilweise auf hochklassifizierten Lagen und man fragt sich, ob der Anbau im Gemischten Satz überhaupt zum Terroir-Hype passt oder ob die Weine den Charakter des Bodens überlagern? Nein, auf keinen Fall, finden die Geschwister vom Weingut Bickel-Stumpf. „Die Lagenmystik ist uralt und wurde ja abgeleitet von den Qualitäten der Gemischten Sätze. Etwas anderes gab es ja damals nicht“, erklärt Melanie Stumpf. Alle Winzer sind sich einig, dass der Gemischte Satz das Terroir widerspiegeln kann. Der Gemischte Satz vom Juliusspital steht beispielsweise auf Keuper-Boden: „Der Boden und damit die darauf wachsenden Weine sind mineralisch bis zum Anschlag. So kräutrig und würzig, dass es manchen Kunden bei rebsortenreinen Weinen schon fast zu viel ist. Das Terroir ist beim Gemischten Satz vorhanden, aber subtiler.“

Die Verhochzeitung

Aber warum kreieren die Winzer nicht einfach eine Cuvée? Ein Rebsorten-Verschnitt, den sie bis zuletzt kontrollieren und verändern können? „Weil der Ausbau als Gemischter Satz eine andere, intensive Art der Verhochzeitung ist“, sagt Carolin Spanier-Gillot aus Rheinhessen. Eine Verhochzeitung? Das Ja-Wort zweier Menschen für ein gemeinsames Leben als Vergleich? Ja, das meint sie vollkommen ernst. Kein mechanischer, abrupter Verschnitt also, sondern eine langwierige, hochemotionale Verhochzeitung. In diesem Fall die Verhochzeitung von Riesling und Gewürztraminer. Spanier-Gillot ist sich sicher, dass man das auch schmeckt. Und Johannes Zang gibt ihr recht: „Wir haben einmal den Gemischten Satz zerpflückt, also die frühreifen Sorten zuerst gelesen und die spätreifen Sorten später. Der Wein hat dadurch seine Spannung verloren. Er war nicht mehr interessant.“ Einen Gemischten Satz als interessant zu beschreiben, ist eigentlich eine Untertreibung. In Österreich gibt es ein altes Sprichwort: „Eine Rebsorte ist eine Geige, der Gemischte Satz aber ist ein Orchester.“ Es gibt keine klaren Geschmacksprofile, die Jahrgänge unterscheiden sich stark, jede Flasche ist eine Überraschung. Das ist das Gegenteil von Uniformität und Berechenbarkeit.

In Österreich (vor allem in Wien) hat der Gemischte Satz eine sichere Zukunft, in Deutschland sieht das anders aus. Aber gerade junge Leute lassen sich vom Gemischten Satz begeistern: „Alte Werte stehen wieder hoch im Kurs. Es ist das Ursprüngliche, das die Leute inspiriert und fasziniert“, sagen die Geschwister vom Weingut Bickel-Stumpf. Auch Störrlein ist überzeugt von der Zukunft des Gemischten Satzes und vor allem von der Hochwertigkeit alter Reben: „Alte Reb-Bestände sind in der Produktion aufwendiger und im Ertrag geringer. So ein alter Weinberg! Er sieht auch nicht mehr so attraktiv aus wie ein junger. Wie ein Mensch hat er schon viele Auf und Abs erlebt. Mag sein, dass jüngere Menschen vielleicht die bessere Ausbildung haben, aber die älteren Menschen können etwas erzählen. So ist es bei den Reben auch.“

Sina Listmann

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

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