Wien - Jung & kosmopolitisch

Wien ist ein Gesamtkunstwerk. Die Weltstadt mit ihren Caféhäusern, Museen, Theatern und dem klassischen Charme zieht jeden in ihren Bann. Und die Wiener Winzer wachsen gerade über sich selbst hinaus.
 
Lange Zeit fand man den Wiener Wein nicht auf den Weinkarten der Gastronomie Österreichs. „Wenn’s den Wiener Wein probieren willst, musst in den Heurigen gehen“, hieß es. Inzwischen ist der Wiener Wein längst auch über die Grenzen der Donaustadt und des Landes hinweg in die Karten der gehobenen Gastronomie eingezogen.
 
Das liegt vor allem an der Initiative von vier Wiener Winzern, die sich im Jahr 2006 zur Gruppe WienWein zusammengeschlossen haben (MEININGERS WEINWELT berichtete). Sie erkannten das Problem des Wiener Weins: Dem Anbaugebiet konnte kein Weintypus zugeordnet werden. Mit dem Vierergespann Wieninger, Zahel, Edlmoser und Christ begann der Siegeszug des „Wiener Gemischten Satzes“, für den mindestens drei Rebsorten in einem Weinberg gemeinsam geerntet und ausgebaut werden. Heute gibt es feste Regeln zur Vinifizierung und es wird aktuell überlegt, in Wien den DAC-Status (die Herkunftsbezeichnung Districtus Austriae Controllatus) für den Wiener Gemischten Satz einzuführen. Es gelang den unermüdlichen Vorantreibern in kürzester Zeit, dem Wiener Wein ein neues und modernes Image zu verpassen. 2010 wurde die Gruppe WienWein noch um das Weingut der Stadt Wien Cobenzl und das Weingut Mayer am Pfarrplatz erweitert, Richard Zahel trat 2011 wieder aus. Aber auch neue Weingüter werden gegründet und marschieren mit Tatendrang und außergewöhnlichen Qualitäten voran. Wien ist in Bewegung.

Alexander Skoff, Weingut Zahel Mauer

WEINGUT ZAHEL, MAUER

Erster Halt: das leuchtend gelbe Weingut der Familie Zahel, das früher die Volksschule des Dorfes war. Wir treffen uns mit Alexander Skoff, der seit einem Jahr Teilhaber des Weinguts ist. Sein Onkel Richard Zahel wird von Vielen „Mr. Gemischter Satz“ genannt; er war der erste, der vor mehr als 20 Jahren die Worte auf seinen Etiketten verewigt hat. Zusammen sind sie ein Dreamteam, denn die Erfahrung von Richard Zahel und die innovative Power von Alexander Skoff, der sich um den Keller kümmert, bringen Dynamik in den Betrieb.
 
Alexander Skoff vinifiziert die Trauben von etwa 40 Hektar Rebfläche und repräsentiert die vierte Generation der Weinmacherfamilie. Der Fokus liegt klar auf dem Wiener Gemischten Satz, der 70 Prozent der Weißweine ausmacht, 30 Prozent entfallen auf Rotweine. „Unser Wiener Gemischter Satz soll vom Sekt bis zum Süßwein das Gebiet widerspiegeln“, so er junge Weinmacher.
 
Die Weine probieren wir im neuen, modernen und lichtdurchfluteten Präsentationsraum im zwei Jahre alten Neubau, der Keller, Presshaus und Barriquekeller des Weinguts vereint. Schnell wird klar, mit welchem Elan Alexander Skoff Neues aufgreift. Mutig ist das Projekt, einen Kultwein für 150 Euro zu lancieren. Der „5 Points Wiener Gemischter Satz The star of Vienna“ halbtrocken vereint fünf Böden und 20 Rebsorten und soll die ganze Weinbauregion in einem Wein vereinen. Nach der Grundidee „wird damit der Wiener Gemischte Satz auf ein nie dagewesenes Niveau gebracht“, so Skoff. Die Trauben stammen denn auch aus allen Weinbauzonen Wiens, vom Bisamberg, Nussberg, Sievering, Mauer und Oberlaa. Fünf Lagen, fünf Bodentypen. Der Wein erschien 2012 zum ersten Mal und gibt sich in der Nase burgundisch mit viel Schmelz und feiner Frucht; am Gaumen feine Pfirsichfrucht, etwas nussig und schönes Süße-Säure-Spiel. Für meine Begriffe etwas zu restsüß. Meine Empfehlung fällt deshalb auf einen weiteren Wein von Zahel, der aus einer außergewöhnlichen autochthonen Rebsorte, der Orangetraube, vinifiziert wurde. Ob man sich nun vom Namen beeinflussen lässt, oder ob die Sorte wirklich so intensiv ist – es ist erstaunlich, wie stark der Wein nach Orangenzeste riecht. Der 2012 Orange T von 40 Jahre alten Rebstöcken, die der Großvater nachveredelt hat, duftet nach Orange und Holunderblüte; am Gaumen überzeugen Mandarine und grüner Apfel, dazu Weinbergspfirsich und Zitrusnoten. Alexander Skoff vinifiziert daraus nur etwa 2 000 bis 3 000 Flaschen, aber das Projekt zeigt Eines deutlich: seine Experimentierfreude.

WEINGUT EDELMOSER, MAUER

Michael Edlmoser ist einer der modernen Weinmacher Wiens: schlank, blond, gutaussehend, eloquent und gut ausgebildet. Manchmal, wenn er erzählt, blitzt sein Zungenpiercing durch. „Meine Erinnerung an die Zeit in Kalifornien“, lacht er. Er absolvierte seine Ausbildung in Klosterneuburg, sammelte Erfahrungen bei Emmerich Knoll und im kalifornischen Weingut Ridge Vineyards und bringt sein Wissen nun seit 1998 in den Betrieb ein. Das Weingut liegt in einer der teuersten Wohngegenden Wiens, in Mauer, und bietet nicht nur den betuchten Nachbarn einen Heurigen mit 400 Sitzplätzen, sondern auch grandiose Weine. „Sieben Mal im Jahr ist der Heurigen für je drei Wochen offen“, verrät Michael Edlmoser. Da packt die ganze Familie mit an. Überhaupt ist Tradition ihm wichtig: Seit dem Jahr 1374 betreibt die Familie Weinbau an den südlichen Ausläufern des Wiener Waldes. Das muss erhalten werden.
 

Michael Edelmoser, Weingut Edelmoser Mauer

Michael Edlmoser schafft es scheinbar mühelos, die Traditionen seiner Familie mit den modernen
Anforderungen und dem Zeitgeist zu verknüpfen. Die jungen Weintrinker finden Gefallen an seiner Einsteigerlinie „Cult“, die Wiener Straßenkunst auf die Flasche bringt. Für die Serie haben Künstlerinnen und Künstler der Wiener Street-Art-Szene die Etiketten mit Artworks versehen, jung, dynamisch und cool. „Reiß auf das Flascherl und trink“, – so beschreibt Michael Edlmoser die Weine dieser Linie, die im Fachhandel zu haben ist. Ansonsten ist das Sortiment relativ gestrafft. Großes Augenmerk gehört natürlich dem Wiener Gemischten Satz, aus dem er drei starke Weine vinifiziert.
 
Mein Favorit: Die 2011 Dorflage aus den Sorten Grüner Veltliner, Burgunder, Riesling, Neuburger, Muskat-Sylvaner, Traminer, Zierfandler und Rotgipfler strahlt facettenreich im Glas. Der Wein duftet nach getrockneter Mango und reifer gelber Frucht, er ist reif und dicht, opulent und mineralisch-salzig und spiegelt tiefgründig sein Terroir wider. „Ich bin nicht dafür bekannt, leichte Weine zu machen – meine Weine dürfen gerne Schmackes haben“, bekennt der ambitionierte Weinmacher, der die Trauben von etwa 20 Hektar Rebfläche vinifiziert. Seine Weine haben es in sich und lassen sich klar ihrem Erzeuger zuordnen. Michael Edlmoser experimentiert viel und gerne und Wien hat mit ihm einen Winzer, dessen Weine zu den besten der Stadt gehören.

WEINGUT COBENZL, GRINZING

Eine Stadt wie Wien braucht natürlich ein städtisches Weingut. Und das blickt auf eine traditionsreiche Historie zurück. Schon im 13. Jahrhundert wurde auf dem Latisberg Wein angebaut, im Jahr 1774 ging der Besitz an Graf Johann Philipp Cobenzl über und – um das im Zeitraffer darzulegen – 1907 übernahm die Stadt Wien den Besitz. Der Name des Grafen ist heute noch Programm, der Berg und das Weingut werden gleichermaßen Cobenzl genannt. Wunderschön gelegen blickt man von hier oben aus den Weinbergen hinab auf die Stadt und hat nicht das Gefühl, sich in einer Großstadt zu befinden. Das Weingut Cobenzl wird gerne für Hochzeiten gebucht, sogar Trauungen in den Weinbergen stehen auf dem Programm.
 

Thomas Podsednik, Weingut Cobenzi Grinzing

Seit 1988 ist Thomas Podsednik Betriebsleiter des Weinguts. Ihm ist es gelungen, die Qualitäten der Weine so zu steigern, dass das Weingut seinem Namen als Vorzeigebetrieb der Stadt alle Ehre macht. Auch optisch hat sich das Weingut sehr zum Vorteil verändert, der lichtdurchflutete moderne Verkostungs-
raum zieht Besucher an und bietet die Möglichkeit, in schickem Ambiente die Weine zu verkosten. Auf 51 Hektar Rebfläche werden die klassischen Wiener Sorten zu drei unterschiedlichen Weinlinien ausgebaut: Classic, Senator und Lagenweine – so die hausinterne Klassifikation. 25 Prozent der Fläche ist darüber hinaus mit roten Sorten bestockt. Klasse zeigt die 2011 Pinot Noir Bellevue Reserve, die sich intensiv beerenfruchtig mit einem Hauch Orangenzeste in der Nase präsentiert, und am Gaumen geradlinig und intensiv mit viel Frucht, angenehmem Frucht-Säure-Spiel und schier endloser Länge überzeugt. Ein Wein mit Schmackes!

WEINGUT WIENINGER, STAMMERSDORF

Kommt man zu Fritz Wieninger aufs Weingut, fällt zu allererst auf, was für ein Betrieb herrscht. An der Probiertheke machen zwei junge Männer gerade ein Tasting. Die Tafel in der Mitte des lichtdurchfluteten Raumes ist bereits für ein Weinmenü eingedeckt, Fritz Wieninger sitzt im Gespräch mit einem österreichischen Journalisten, sein Sohn Maximilian kommt vorbeigeschlendert und würde am liebsten mit seinem Vater eine Runde Tischtennis spielen und im oberen Geschoss findet eine Besprechung statt. Wir schauen uns erst mal um und wärmen uns am brennenden Kamin.
 
Fritz Wieninger, Weingut Wieninger Stammersdorf
Beeindruckend ist es geworden, das neue Weingut mitsamt Büros und Verkostungsraum, das auf 1 500 Quadratmetern funktional die Ebenen miteinander verbindet. Hier ist nichts dem Zufall überlassen, alles perfekt geplant (dank seiner Frau Lissi). Auch der Keller (sechs Meter unter der Erde) imponiert bei der
Führung: am meisten aber der 25 Meter lange Keller aus dem 17. Jahrhundert im alten Teil des Gebäudes, der einen optisch verführt. Ebenso imponiert, wie ruhig und gelassen Fritz Wieninger bei all der Betriebsamkeit auf dem Weingut bleibt. Echter Profi und nicht umsonst Wiens Vorzeigewinzer und Antriebsfeder einer neuen Generation von Weinmachern. Und natürlich die Weine: Fritz Wieninger hat dank konsequenter Qualitätspolitik mit seinen Weinen Einzug in die Karten der internationalen Sternegastronomie gehalten.
 
Seit 2008 ist das Weingut biozertifiziert und Fritz Wieninger hat sich entschieden, den Betrieb komplett auf biodynamische Bewirtschaftung umzustellen. „Ich will das alte Wissen wieder erlernen“, erklärt er seine Motivation. Das Ergebnis ist ein lebendiger Boden mit gesunden Reben und hochwertige Weine. „Die Trauben schmecken nach Trauben und die Beeren sind kleiner“, erklärt der Top-Winzer und ergänzt: „Wichtig ist, dass man sich einlässt auf die Natur und intuitiv entscheidet, was das Richtige ist.“ Klasse hat sein Danubis aus dem Jahrgang 2005, eine Cuvée aus den Sorten Cabernet Sauvignon, Merlot und Zweigelt, der nach dunklen Beeren und einem Hauch von Tabak und warmer Würze duftet. Im Mund ist der Wein kraftvoll und vollmundig mit Noten von Waldbeeren, Lakritz und Schokolade, feiner Extraktsüße. Ein Wein mit großem Potenzial.

WEINGUT MAYER AM PFARRPLATZ & ROTES HAUS, HEILIGENSTADT

Das ist Geschichte pur. Bis ins Jahr 1683 lässt sich die Historie dieses Weinguts zurückverfolgen. Angegliedert ist der älteste Heurigen Wiens, nebenan, im Denkmal geschützten Vorstadthaus hat Ludwig van Beethoven im Jahr 1817 an seinem Eroica und der 9. Symphonie gearbeitet. Bis 2007 hat Wiens Grandseigneur und Vorzeigewinzer Franz Mayer die Geschicke des Familienweinguts geleitet und als kein Nachfolger in Sicht war, sein Weingut an Hans Schmid, Gründer einer international agierenden Werbeagentur übereignet. Konsequent wurde seitdem daran gearbeitet, das Weingut und die Kellertechnik zu modernisieren und Schritt für Schritt die Qualitäten der Weine anzuheben. Zur Unternehmensgruppe gehört auch das Rote Haus, einst ein Grinzinger Betrieb, das seinen Namen von einem Weinbergshäuschen mitten in den Weinbergen in Grinzing erhielt.
 
Heute gehören beide Weingüter unter ein Dach, es werden zwei verschiedene Weinlinien ausgebaut. 90 Prozent der 53 Hektar Rebfläche gehört den weißen Sorten, wobei der Riesling einen hohen Stellenwert einnimmt. Seit fünfeinhalb Jahren ist Gerhard Lobner als Geschäftsführer für die beiden Weinlinien verantwortlich. Er liebt es, schon ganz früh morgens durch die Weingärten zu laufen und nach dem Rechten zu schauen. Letztendlich hat er – genau wie sein Team – nur Eines im Sinn: die Qualitätsschraube ganz nach oben zu drehen.
 
Die Weinlinie Mayer am Pfarrplatz nährt dabei den österreichischen Gaumen; die Weine sind klassisch ausgebaut, fruchtig-leicht mit mineralischer Frische und guter Würze sowie knackiger Säure, die Weine des Roten Hauses sind mit reiferer Frucht behaftet und zeichnen sich durch reifere und rundere, vollere Art aus. Sie sind eher international ausgerichtet. Interessant zu sehen beim 2012 Wiener Gemischter Satz vom Nussberg. Der Nussberg vom Mayer am Pfarrplatz duftet nach Apfel, Birne, Schmelz und Kräutern sowie Weinbergspfirsich und zeigt sich am Gaumen geradlinig und klar mit knackiger Säure und viel Granny Smith. Während sich der 2012 Wiener Gemischter Satz Nussberg vom Roten Haus mehr mit Noten von weißer Johannisbeere und reifem Pfirsich sowie rotem Apfel präsentiert und im Mund mit reifer weißer und gelber Frucht und mehr Opulenz aufwartet. Zwei tolle Weine äußerst unterschiedlicher Machart.

Jutta Kalchbrenner, Weinbau Jutta Ambrositsch

WEINBAU JUTTA AMBROSITSCH

Das Wort „Quereinsteigerin“ liest man am häufigsten, wenn man über Jutta Kalchbrenner recherchiert. Ja – sie hat früher in der Werbung gearbeitet und ... ja – das hat wenig mit Weinmachen zu tun. Inzwischen macht sie aber nunmehr seit neun Jahren Wein, und den richtig gut, sodass man sie inzwischen eher als Vollblutwinzerin bezeichnen muss. Dass sie eine perfekte Netzwerkerin ist, kommt ihr dabei zugute. Zwar entfährt ihr gleich zu Beginn des Gesprächs: „In Wien Wein machen, das ist eigentlich Irrsinn“, aber die Arbeit im Weinberg ist ihr inzwischen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie davon nicht mehr lassen mag. Seit 2010 ist sie Mitglied bei den „11 Frauen und ihren Weinen“ und ihre Weine werden vorwiegend in der gehobenen Gastronomie verkauft; fast die Hälfte verkauft sie nach New York.
 
2004 tauschte Jutta Kalchbrenner ihren Job als Grafikerin gegen das Leben im Weinberg ein. „Ich wollte aus dieser großen Blase heraus und habe gespürt, dass ich etwas Handwerkliches machen möchte.“ Sie begann mit einem Weinberg im südlichen Burgenland und machte dort Blaufränkisch. Quasi „back to the roots“, denn ihre Eltern betreiben eine Forstwirtschaft im Burgenland. Auch ein wenig Weinbau, doch das sei „komplett an ihr vorbeigegangen“. Als Jutta Kalchbrenner (damals noch Ambrositsch) nach vielen Verhandlungen Weinberge in Wien angeboten bekam, war es endgültig um sie geschehen. Mit Akribie und Feingefühl pflegt sie ihre Weingärten und gehört inzwischen zu Wiens begnadeten „Weinkünstlern“. „Meine Freunde haben es mir auch gedankt, plötzlich gab es für sie Picknicks in den Weinbergen“, so die Vollblutwinzerin. Ihre Freunde helfen regelmäßig bei der Ernte und ihr Terrier Edgar ist auch immer dabei, wenn sie im Weinberg arbeitet. Dort liegt ihr die Stadt zu Füßen, wenn sie ihrer Passion folgt. Inzwischen bewirtschaftet sie knapp drei Hektar alte Weingärten (der älteste von 1936) und macht daraus mineralisch-saftige Rieslinge, kräuterwürzige Grüne Veltliner und facettenreiche Weine aus Gemischtem Satz. Wie den Sieveringer Ringelspiel Wiener Gemischten Satz aus dem Jahrgang 2012, der nach Mandarine und Litschi, Birne, Orangenzeste und Zitrusaromen duftet und sich am Gaumen schmelzig und geschmeidig mit exotischen Noten und druckvollem Zitrusabgang präsentiert.

WEINGUT HAJSZAN NEUMANN, HEILIGENSTADT

Stefan Hajszan ist ein echter Typ. Wer ihn kennt, wird nicht widersprechen. Der Gastronom, der seit geraumer Zeit auch überzeugter Winzer ist, ist extrovertiert und begrüßt uns herzlich auf seinem Weingut in Grinzing. Das ist allerdings gerade eine riesige Baustelle. Überall hämmert und sägt es, wir nehmen kurzerhand im hinteren Teil des Restaurants Platz, um die Weine zu probieren.
 
Stefan Hajszan, Weingut Hajszan Neumann_Heiligenstadt„Der Weinkeller des Weinguts wurde früher im 18. Jahrhundert als Kurbad genutzt“, erfahren wir. „Später war es ein Weingroßhandel und wir haben es 2008 von der Stadt Wien übernommen, nachdem es dann ein Jugendzentrum mit Kegelbahn war.“ Mitten in Wiens traditionellster Wein- und Heurigengegend eröffnete der Gastronom das Restaurant und gliederte gleich noch einen modern ausgestatteten Keller an. Vor nunmehr zwölf Jahren hat Stefan Hajszan mit dem Weinmachen begonnen. „Am Anfang war’s ein Weingarten mit 1 000 Quadratmetern“, berichtet er, heute bewirtschaftet er 20 Hektar Rebfläche nach biodynamischen Richtlinien. „Wenn schon, denn schon“, lacht der umtriebige Bio-Winzer. „Den Pferdemist bekomme ich von der Spanischen Hofreitschule“, grinst er. Networking ist alles. Seine Frau kümmert sich um das Restaurant (Die Winzerei), wo die Bio-Philosophie des Weinguts abgerundet wird. Die Weine sprechen ihre eigene Sprache und sind doch so wie ihr Macher: expressiv und glasklar, mit voller Frucht und Eleganz. Vom 2012 Weißleiten Wiener Gemischter Satz bekomme ich eine Fassprobe, die sich mit Aromen von Stachelbeere, Grapefruit, Ananas und Weinbergspfirsich vielschichtig in der Nase zeigt und am Gaumen opulent mit glasklarer Frucht (Grapefruit, Limette …) und Schmelz, angenehmer Säure und sehr lang im Glas steht.

WEINGUT CHRIST, JEDLERSDORF

Nächster Halt: das Weingut Christ im 21. Bezirk von Wien. Das Weingut samt Heurigenbetrieb ist ein moderner Bau aus Naturstein, Holz und viel Glas, das auf den ersten Blick zum Dableiben einlädt. „Unser Weingut ist seit 400 Jahren landwirtschaftlicher Betrieb“, sagt Rainer Christ gleich zur Begrüßung. „Und seit 30 Jahren ein reines Weingut.“ Auch hier lange Familientradition, die es zu wahren gilt. 2004 hat Rainer Christ das Weingut übernommen und legt seitdem allergrößten Wert auf die Gesundheit seiner Trauben. Alles, was den Trauben schadet, ist schlecht. So wird bei ihm die gesamte Ernte nur von Hand gelesen und in kleinen Gebinden transportiert. Im Keller, der völlig neu renoviert wurde und seit 2005 in Betrieb ist, wird das Traubenmaterial mit Hilfe der Schwerkraft transportiert. Hier regiert einzig die Gravitation; die Hauptsache ist der schonende Umgang mit den Trauben. Fünf Klimazonen sorgen für ideale Reifebedingungen und bei der Kellerführung sorgt bei uns das blaue Licht rund um die Tanks zwar für leichten Schwindel, es hält aber die Fruchtfliegen auf einem geringen Level, wie wir erfahren.
 
Rainer Christ ist ein Perfektionist und lässt keine Manipulation zu. Bei den Weißweinen gibt es beispielsweise nur eine grobe Filtration, bis die Weine auf die Flasche kommen, seine Roten (ein Viertel der Ernte) reifen bis zu 40 Monate in den Fässern und werden ebenfalls nicht geschönt. Auch bei den Fässern geht der ambitionierte Weinmacher keine Kompromisse ein und lässt nur mit luftgetrockneten Hölzern arbeiten.
 
Die Trauben wachsen zum größten Teil am Bisamberg, seit einigen Jahren hat er aber auch knapp zwei Hektar am Nussberg, der Vorzeigelage Wiens. Seinen Weinen merkt man die geologische Vielfalt und die schonende Behandlung an, sie sind elegant, feinwürzig, klar und mit facettenreicher Frucht und guter Struktur. Mein Liebling ist der 2012 Weißburgunder „Der Vollmondwein“, der nur bei Vollmond gelesen wird. Der Wein imponiert mit kühler Würze und fast minziger Aromatik, Kräutern und weißer Frucht; im Mund ist er erfrischend mit Noten von Apfel und Birne und einem Hauch weißer Johannisbeere. Trinkspaß pur! So facettenreich wie die Wiener Winzer. Wien im Glas zeigt sich expressiv und glasklar wie seine Macher, gleichermaßen regional geprägt wie auch von internationaler Größe.

Ilka Lindemann

 

Information

DIE ZAHLEN

Mit seinen 700 Hektar Rebfläche zählt Wien zwar nicht gerade zu den großen Anbaugebieten, die Weinberge am Stadtrand in den Regionen Nussberg, Bisamberg und Maurerberg bieten
mit ihren Bodenformationen und den klimatischen Bedingungen allerdings beste Voraussetzungen für hohe Qualitäten. Außerdem ist der Wein seit Urzeiten mit der Donaumetropole verbunden. Archäologische Funde belegen, dass hier bereits um 750 vor Christus Weinbau betrieben wurde. Am 17.8.1784 wurde übrigens der Heurige geboren: Kaiser Joseph II. erlaubte, dass die Winzer zusätzlich auch andere Lebensmittel
aus eigener Erzeugung verkaufen durften. Bis heute betreiben viele Weingüter nebenher einen Heurigen, wo traditionell Speisen und Weine auf gehobenem Niveau angeboten werden.

GEHEIMTIPP

Genuss der Weine von Jutta Ambrositsch: An etwa zehn Wochenenden im Jahr betreibt sie den mittlerweile weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten und beliebten „Buschenschank In Residence“ in Grinzing.
Himmelstraße 7, 1190 Wien, ehem. Karl Hengl.

DIE WINZER

Weingut Zahel:
 
Weingut Edlmoser:
 
Weingut Wien Cobenzl:
 
Weingut Wieninger:
 
Weingut Mayer am Pfarrplatz: 
 
Rotes Haus:
 
Weinbau Jutta Ambrositsch:
 
Weingut Hajszan Neumann: www.hajszanneumann.com
 
Weingut & Heuriger Christ:

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.