Ausgabe 19/2017

Übermotiviert

Wenn Sie mich fragen, ob ich an einem Motivationstraining teilnehmen würde, müsste ich entschieden ablehnen. Ich habe zu viel über solche Veranstaltungen und die Stars der »Selbst­optimierungsszene« gelesen und gehört, als dass ich dem Ganzen noch etwas abgewinnen könnte. Die Bilder von extatischen Anzugträgern, wahlweise in der Rolle des Coaches oder des sinnsuchenden Besuchers, lösen bei mir automatisch einen Fremdschämeffekt aus. Ich kann mir einfach nicht erklären, warum vernunftbegabte Leistungsträger viel Geld für so eine Inszenierung ausgeben. 
Trotzdem kam ich neulich, ganz ohne mein Zutun, in die Situation, einem Motivationstrainer ausgeliefert zu sein. Er war für eine Veranstaltung als Redner gebucht. Hätte ich das rechtzeitig gewusst, hätte ich die Pause zwischen den interessanten Fachvorträgen etwas verlängert, um dem Hokuspokus zu entgehen. Doch in diesem Fall war es zu spät. Ich saß in der ersten Reihe, an Flucht oder unauffälliges Hinausschleichen war nicht zu denken. Also wurde ich zwangsmotiviert und zwar dazu, meine Nachbarn abzuklatschen, sie zu umarmen und auf einen wilden Musikmix aus Helene Fischer und AC/DC abzufeiern. Für mich waren das die längsten 45 Minuten meines bisherigen Lebens. Weil ich die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte und das Thema Motivation nunmal gesetzt war, machte ich mir Gedanken über meine eigene Motivationslage. Was treibt mich an? Wo kommt das her? Wo führt das hin? Und was treibt eigentlich alle anderen hier im Raum an? 
Auf einige dieser Fragen weiß ich mittlerweile eine Antwort, andere werden vielleicht für immer unbeantwortet bleiben. Außer natürlich Sie helfen mir dabei: Was ist Ihre Motivation, als Winzer jedes Jahr aufs Neue auch unter widrigen Bedingungen Wein zu machen? Ich bin gespannt auf Ihre Antworten...

Holger Klein
Stellv. Chefredakteur
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