Ausgabe 15/2019

Nüchtern betrachtet

ddw15/2019

Die Hundstage stehen uns zwar noch bevor.
Der Sommer hat aber bereits im Juni ordentlich
Gas gegeben. So hatten vielleicht auch Sie
schon die Gelegenheit, bei der ein oder anderen
Hochzeits- oder Geburtstagsfeier in der
Mittagssonne ordentlich ins Schwitzen zu kommen. Wer in
der Hitze einen klaren Kopf behalten und trotzdem nicht
mit Wasser anstoßen möchte, freut sich, wenn der Gastgeber
vorausschauend alkoholfreie Alternativen für die klassischen
»Anstoß-Getränke« vorgesehen hat. Alkoholfreies Bier und
alkoholfreie Cocktails gehören schon zum Standard, alkoholfreie
Weine sucht man dagegen oft noch vergeblich auf dem
Tablett der Bedienung.
Warum lassen wir uns dieses Marktsegment bisher zu einem
großen Teil entgehen, fragte ich mich vergangenes Wochenende
auf einem 40. Geburtstag, als ich
mich nach alkoholfreien Getränken erkundigte.
Wenn es um alkoholfreies Bier ging,
rümpften vor 15 Jahren auch noch viele die
Nase. »Ich trinke ein richtiges Bier oder gar
nichts« —
solche Aussagen gehören mittlerweile
der Vergangenheit an. In Deutschland
wird alkoholfreies Bier immer beliebter. Vor
allem im Hitzesommer 2018 war das autofahrertaugliche
Hopfengetränk sehr gefragt.
In dem Jahr produzierten deutsche Brauereien
davon nämlich gut sechs Millionen
Hektoliter. Mittlerweile ist der Anteil am
gesamten Bierabsatz auf sieben Prozent
gestiegen. Als Grund für den gesteigerten
Konsum alkoholfreier Biere wird neben der
verbesserten Qualität insbesondere das gestiegene
Gesundheitsbewusstsein gesehen. Aus unterschiedlichsten
Erwägungen stehen immer mehr Konsumenten
selbst einem moderaten Alkoholgenuss kritisch gegenüber.
Deshalb ist es als positive Entwicklung zu sehen, dass diese
mittlerweile auf eine breite Auswahl an alkoholfreien Getränken
zurückgreifen können. Auch einige deutsche Weinerzeuger
halten für diese Zielgruppe erfreulicherweise ein
adäquates Angebot bereit.
Im April haben unsere politischen Vertreter in Brüssel
ebenfalls das Potenzial dieser Käuferschicht bzw. den Wandel
im Konsumverhalten erkannt und sich dafür ausgesprochen,
sogenannte »entalkoholisierte und teilentalkoholisierte
Weine« in die EU-Weinregelungen einzubeziehen. Diese
Entscheidung war nicht unumstritten, insbesondere die
Südeuropäer sahen sie sehr kritisch: Diese alkoholfreien
Produkte seien keine Agrar- sondern Industrieprodukte und
gehörten deshalb nicht in eine gemeinsame Marktordnung
für Agrarprodukte.
Angesichts einer bereits bestehenden deutschen Regelung
zu alkoholfreien Weinen wäre eine einheitliche europäische
Regelung für den deutschen Weinsektor hingegen durchaus
begrüßenswert. Voraussetzung wäre natürlich, dass bestehende
deutsche Regelungen wie die Bezeichnung »alkoholfrei
« erhalten bleiben. Zudem sollte die für Wein geltende
Verschnittregelung künftig auch auf alkoholfreien und alkoholreduzierten
Wein anzuwenden sein. Würden alkoholfreie
Weine in die EU-Weinregelungen einbezogen,
ginge davon auch ein Impuls an
Wissenschaft und Technik aus, die Verfahren
zur Entalkoholisierung weiter zu verbessern.
Oft wird die geringe Verbreitung
des alkoholfreien Weines darauf zurückgeführt,
dass der Alkohol einen besonders
großen Einfluss auf den Geschmack und
das Bouquet hat.
Es bleibt abzuwarten, ob das neu gewählte
EU-Parlament nach
der Sommerpause das
bisherige Gesetzgebungsverfahren
zur
Reform der Gemeinsamen
Agrarpolitik
im Sinne des alten
EU-Parlaments fortführen wird und die
Regelungen zu den alkoholfreien Weinen
beibehält. Für den Ausbau dieses
Marksegments wäre das jedenfalls
von großer Bedeutung. F