Ausgabe 26/2017

Fairer Wettbewerb

Titel WW 26/2017

Der Aufbau des bisherigen deutschen Weinrechts war systematisch und logisch gedacht. Die traditionellen Bezeichnungen der Lagen, Bereiche und Anbaugebiete gaben relativ zuverlässig Auskunft über den geografischen Ursprung. Sie beruhten auf tatsächlichen Namen von Rebflächen, Orten, Flüssen, Regionen oder Ländern. Rebsorten- und Geschmacksangaben waren ebenfalls mit Einschränkungen informative Angaben, die erkennen ließen, wie der Wein den schmecken könnte, wenn man die Flasche noch ungeöffnet vor sich hatte. Die Qualitäts- und Prädikatsbezeichnungen orientierten sich mehr oder weniger am Reifegrad der Trauben und boten zumindest für die spätreifenden Sorten auf Traditionen und Erfahrungen beruhende Informationen.
Als schwere Mängel des Systems erwiesen sich das Nebeneinander von Groß- und Einzellagenbezeichnungen, den viel zu niedrig angesetzten Mindestmostgewichten, zugleich fehlenden Begrenzungen nach oben, oder der Ignoranz, die Qualitätsstufe allein am Mostgewicht statt an weiteren Parametern zu orientieren. Das im Laufe der Jahre weiter ausgehöhlte System erlaubte die Produktion hoch angereicherter und zugleich nahezu beliebig restsüßer Weine, bis hin zum Sündenfall, dass einer der wertigsten Begriffe wie die Spätlese, den kaum ein anderes Weinland bieten kann, aus frühreifen Sorten zum Synonym für »lieblichen, billigen Wein« wurde, wie es ein Vertreter einer Großkellerei einmal formulierte. Für angereicherte Weine sah das Weinrecht ursprünglich eine Restzuckerbegrenzung vor, die mehr als alles andere von den Winzern qualitative Anstrengungen verlangt hätte, doch die wurde gestrichen. Vor allem aber war das alte Weinrecht fair und berücksichtigte, dass es nicht nur auf die Lage und ihren Namen sondern auch auf die Kunst des Winzers ankam. Er musste sich mühen, um herausragende Weine zu erzeugen. Viele Spitzenwinzer in den süddeutschen Weinregionen würden heute auf Tafelweinflächen wirtschaften, hätte das romanische Recht schon früher gegolten. Deshalb muss man fragen, ob das Prinzip der geborenen Qualität, das jetzt in vielen Köpfen schwirrt, nicht ein Rückfall in feudale Zeiten ist. Der Grundsatz geborener Qualität schafft Pfründe und Werte. Mit Leistung, Qualität, Auslese und Wettbewerb hat das nichts zu tun. Natürlich kommt es auf die Lage an, aber nicht nur und nicht in jedem Jahr. Glücklicherweise richtet der Deutsche Weinbauverband seine Politik nicht daran aus.
Wenn es jetzt um eine Neuordnung der deutschen Weinwirtschaft geht, dann können die aus dem romanischen Recht stammenden Schutzgemeinschaften sinnvolle Strukturen sein, mit denen sich kleinteilige Vermarktungsverhältnisse wie sie in der Landwirtschaft in Europa und im Weinbau üblich sind, besser organisieren lassen. Die einzelnen Regionen können in ihren Vermarktungsmöglichkeiten gestärkt werden, in dem sie hoffentlich mehr Profil für ihre Weine gewinnen. Aber es wäre töricht, im gleichen Zug ineffiziente, dem Wettbewerb entzogene Strukturen zu schaffen. Weine müssen sich im Wettbewerb beweisen. Das gelingt mit Profil und gewonnener und nicht geborener Qualität. Die Befürworter der geborenen Qualität kann ich gut verstehen: Wer wünscht sich nicht ein sorgloses Auskommen allein aufgrund des Namens und der Abstammung. Doch der Name muss erst mal bekannt sein und das hat seine Grenzen, was sich an der Vielzahl der auf privater Basis geschaffenen »Großen und Ersten Lagen« ablesen lässt: Das Publikum ist weder in der Lage noch Willens und schon gar nicht in ausreichender Zahl vorhanden, in die Verästelung profilsuchender Winzer und ihrer Funktionäre einzutauchen. Das ist in den romanischen Ländern nicht anders: Von den über 500 DOC-, DOCG- und IGT-Weinen in Italien spielt nur eine Minderheit eine wirkliche Rolle am Markt. Also bitte nicht der Reform zuliebe das Kind mit dem Bad ausschütten. Bleibt noch, Ihnen allen frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr zu wünschen.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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