Ausgabe 23/2017

Strohfeuer entfacht?

Titel WW 23/17

Angesichts des Bildungsstands jüngerer Generationen und ihrer oftmals lebensfernen Wirklichkeiten muss man bezweifeln, ob noch allzu viele wissen, was unter dem Begriff Strohfeuer verstanden wird. Soll man ihn deshalb noch verwenden, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorgänge zu beschreiben? Aber auch aus anderem Grund ist es heute vermutlich nicht mehr opportun das Wort zu gebrauchen, könnte es doch fast so etwas wie der Inbegriff sinnlos verpuffter Energie und die sträfliche Steigerung des Kohlendioxid-Gehalts in der Atmosphäre sein, die heute zu Recht geächtet ist.
Sie wissen jedoch was gemeint ist, auch mit Blick auf die Finanzwelt und die Politik von EZB-Präsident Mario Draghi. Man mag von ihm und seinem Finanzgebaren halten, was man will, und die Käufe von Staatsanleihen als eben jenes Strohfeuer betrachten, das Unsummen an Geld verbrennt. Man wird ihm aber einen gewissen Erfolg nicht versagen können. Die fundamentalen Zahlen sprechen für sich.
Die Wirtschaft boomt, nicht nur in Deutschland. Auch andere EU-Länder berappeln sich allmählich von der großen Finanzkrise, die 2007 mit der amerikanischen Immobilenblase ihren Anfang nahm. Heutzutage erklimmen das Bruttosozialprodukt und die Einkommen der Bevölkerung neue Rekorde, während im Gegenzug die Arbeitslosigkeit Monat für Monat auf historische Tiefststände sinkt. In einigen Regionen herrscht Vollbeschäftigung. Unternehmen suchen händeringend nach Mitarbeitern. Die Industrie läuft auf Volltouren, und selbst Handel und die Gastronomie erfreuen sich aller Orten fröhlicher Auslastung. Die Steuereinnahmen sprudeln, und so freudig wie jetzt gaben die Verbraucher ihr Geld noch selten aus.
Die Inflation steigt gelinde, ist aber noch lange nicht da angelangt, wo Draghi sie sehen will, auch wenn die gesamte Entwicklung in die von ihm gewünschte und prognostizierte Richtung läuft. Ist ein Wunder geschehen? So gut wie alle partizipieren von der Entwicklung mit Ausnahme der Sparer, und niemand weiß so recht, woher es kommt, wie es zu erklären ist. Nur das viele Geld? Warum schreibe ich das?  Nun, auch die Weinbranche und der Handel mit Weinen profitieren vom Boom. In den letzten Wochen und Monaten jagt ein hochkarätiges Wein-Event das andere: Weinmessen, Präsentationen, Verkostungen und auch die vom Meininger Verlag veranstalteten Weintage rund um das Fachhandelsmeeting der WEINWIRTSCHAFT und die FINEST 100 für Fachhändler, Gastronomen und Sommeliers erfahren beste Resonanz. Das wäre nicht so, würden die Verbraucher nicht mitziehen. Viele Händler berichten über eine rege Nachfrage nach hochwertigen, exklusiven Weinen. Mancher meint, es kann gar nicht exklusiv und teuer genug sein. Erstmals tauchen wieder Käufer auf, die nicht gleich nach dem Preis fragen.
Doch woher kommt der Sinneswandel der Konsumenten? Was löst die Spendierfreudigkeit aus?  In der Tat werden sich viele angesichts von Mini- oder Nullzinsen fragen, was das Geld auf der Bank soll und ob man es nicht vielleicht besser in die Annehmlichkeiten des Lebens investiert. Offensichtlich befreien sich unter der Maxime Draghis auch deutsche Konsumenten von ihrer zwanghaften Sparsamkeit. Hochwertige Weine und Schaumweine könnten auch hierzulande davon profitieren.
Bleibt die Frage: und danach? Was, wenn Draghi, wie es Kritiker vermuten, wirklich nur ein Strohfeuer entfacht hat und von der Glut nicht mehr als ein Häufchen Asche übrig bleibt? Wenn auf den Rausch ein Kater folgt? Scheren wir uns mal nicht um die Folgen. Wer immer nur negativ denkt, verpasst die Zukunft, und die bringt, auch wenn es mal schlechter läuft, neue Chancen. Bis ein echter Umschwung eintritt, wird noch etwas Zeit vergehen, vermutlich hält die Entwicklung bis weit ins Jahr 2019 an. Die kleine Weinernte 2017 dürfte somit auch beim Wein für die eine oder andere Übertreibung sorgen. Gut, wer da Maß hält und sich nicht im Überschwang der Glückseligkeit vergaloppiert, weder als Produzent, Händler noch als Konsument. Eigentlich wäre es Zeit für die dringend notwendigen Preisanpassungen. Doch die sollte man nicht  spekulativ, sondern besser mit Fingerspitzengefühl anpacken.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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