Ausgabe 23/2016

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WEINWIRTSCHAFT Ausgabe 23/2016

Die Welt ist nicht so, wie sie sein soll«, das wird vermutlich jeder schon mal gedacht haben. Auch die Welt im Einzelhandel ist nicht so, wie sich das viele in Zeiten des digitalen Wandels wünschen und andere befürchten. Dennoch, eines ist sicher: Bis auf Weiteres hält die digitale Transformation an. Am weitesten ist sie bei Non-Food wie Büchern, Elektronik, Sport und Spiel oder Fashion und Lifestyle gediehen. Zwischen 20 und 30 Prozent liegt der Online-Anteil in den Pionierbranchen, in denen sich inzwischen allerdings Sättigungsgrenzen abzeichnen. Dort, wo es noch nicht so weit ist und der Online-Boom erst richtig einsetzt, wie beispielsweise bei den rund 9.000 Juwelieren und Händlern mit Schmuck und Uhren, fegt es traditionelle Anbieter förmlich hinweg.

Der Konsument nutzt inzwischen je nach Lust und Laune und kaum berechenbar, wie es selbst den Protagonisten des digitalen Handels scheint, stationäre und Online-Kanäle zum Einkaufen. Doch es gilt, klaren Kopf zu bewahren und keiner Hysterie zu verfallen: Am gesamten Einzelhandels­umsatz in Deutschland hat der Online-Handel einen Anteil von knapp 9 Prozent erreicht. Auch in näherer Zukunft soll es nur wenig mehr sein, wie es die Marktforscher von GfK Geomarketing auf Basis einer groß angelegten Studie prognostizieren. Sie rechnen mit einem Anstieg des Online-Handels auf circa 15 Prozent in zehn bis 15 Jahren. Doch wo soll das Wachstum herkommen? Die Phantasie großer Wachstumsraten im Non-Food ist raus, weshalb sich die Aufmerksamkeit des Handels und der Onliner inzwischen dem Lebensmittelhandel zuwendet. Dort dümpelt der Anteil des Online-Handels noch nahe Null, entsprechend groß sind hier die Träume. Selbst kleine Wachstumsraten versprechen gigantische Umsatzzuwächse, weshalb die Internet-Branche auch mit »tektonischen« Verschiebungen innerhalb des Online-Umsatzes vom Non-Food- zum Food-Bereich rechnet. Keiner der großen Konzerne von Amazon und Alibaba über Aldi bis Rewe will abseits stehen, weshalb alle ordentlich in den Aufbau entsprechender Online-Portale, Lieferketten und Logistik-Lösungen investieren. Die größten Probleme machen von Natur aus die Frischeartikel und der Aufbau funktionierender Lieferketten auf den letzten Kilometern zum Kunden. In Ballungsräumen funktioniert das sicher besser als auf dem platten Land. Der Bedarf dürfte jedoch genau andersherum bestehen. Für’s Erste scheint alles denkbar und möglich: Vom Fuß- und Fahrradkurier, über Elektromobile, die traditionellen Paketdienste und Heimservicelieferanten bis hin zu ferngesteuerten Mini-Helikoptern. Vieles mutet an, als sei Daniel Düsentrieb am Werk gewesen, und es zähle mehr der Wunsch als die Wirklichkeit. Realitätssinn dürfte aber vielen gut tun.

Heute schon kann sich jeder einen Salatkopf oder eine Flasche Wein per Taxi nach Hause liefern lassen: Aber um welchen Preis? Die Rechnung wird ohne den Wirt, sprich, die schon von Staats wegen sparsamen Konsumenten gemacht. Der Wocheneinkauf an Lebensmitteln inklusive Wein, Sekt und Bier eines Zweipersonenhaushalts übersteigt auch in Zukunft nicht den Durchschnitt von 50 bis 100 Euro. Bei den hippen, neuen, unablässig mobilen Verbrauchern, die ihre Nahrungsaufnahme dem mobilen Lebenswandel opfern, wird es eher weniger sein. Was macht es Sinn, 100 Euro für Lebensmittel auszugeben, wovon die Hälfte verschimmelt und wo der Besteller für zwei Lieferungen pro Woche 20 Euro Versandkosten berappen soll? Das wird sich keiner leisten wollen und können, und reich wird davon auch kein Lieferant. Schon heute zeigt sich in den bereits »gesättigten« Online-Märkten, wie die Konsumenten ticken. Online wird gekauft, weil‘s bequem und günstig ist, die Vielfalt groß und eine vollständige Transparenz über Angebot und Preise besteht. Krass rational, nennt das die indigene Smartphone-Jugend und geizt mit dem Geld wie die Alten. Im stationären Handel kann man dagegen die Ware anfassen, und sie ist sofort verfügbar. Wein gibt’s ab und an zum Probieren, und wenn’s gut läuft, ist jemand für die Beratung da, und reklamieren geht auch ohne digitale Hilfsmittel. Ganz preiswert und sofort.

Hermann Pilz
Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
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